Gegen acht beginne ich meine Koffer wieder zu beladen. Für die heutige Motorradtour habe ich beschlossen mich wärmer zu verpacken. Dicker Faserpelzeinteiler unter den Standartmotorrad-sachen und obendrüber noch den Regenkombi, wenn auch nicht gegen Regen sondern vielmehr gegen den auskühlenden Fahrtwind. Kurz nach zehn sitzen wir wieder im Sattel und fahren die ab hier asphaltierte Carretera Richtung Süden. Meist geht es kilometerlang geradeaus bevor eine Kurve die Richtung für weitere endlose gerade Kilometer verändert. Ich falte mich hinter der Scheibe der Twin zusammen. So minimiere ich die Windgeräusche im Helm und halte den Fahrwind vom Oberkörper ab. Die Wolken hängen tief in den Bergen. Dort wo der Himmel schüchtern aufreißt, sehe ich frisch weiß getünchte Berggipfel.
In Puerto Cardenas endet die Straßenbefestigung unerwartet. Zwei unterschiedliche aber aktuelle Karten zeigen die Ruta sieben eigentlich als befestigt an.
Lange Abschnitte der Etappe bis Puyuhuapi weisen eine relativ glatte, mit einer guten Asphaltstraße vergleichbaren, Oberfläche auf. Meist wähle den dritten Gang, halte den Motor bei knappen 4000 Umdrehungen. Das sind gute 50 Stundenkilometer. Ich stehe auf den Rasten. Dadurch blicke ich aus einer höheren Position auf die Straße. Schlaglöcher kann ich so früher erkennen und habe meistens noch die Möglichkeit diese zu umfahren. Obwohl die Fahrwerke unserer Motorräder auf diese Belastungen ausgelegt sind, freuen sich abends meine Gelenke über jedes umfahrene Schlagloch. Obwohl es Sonntag ist muss ich viele Baustellen passieren an denen emsig gearbeitet wird. Alte Wellblechröhren, die Niederschlagwasser von der Bergseite zum Tal hinführen, werden durch größere modernere Betonröhren ersetz. Mancherorts werden Berghänge mit Baggerkraft abgetragen, um die Fahrbahn zu verbreitern. Dann treffe ich immer auf Abschnitte, die neu geebnet und verdichtet werden. An diesen Stellen weiß das Motorrad nicht wo es hinwill. Es eiert um all seine Achsen. Geschwindigkeit stabilisiert und das Hinterrad auf Zug halten, die elementaren Enduroweisheiten, versuche ich anzuwenden.
Oft kämpft die Carretera um ihr Dasein gegen die Natur. Hier ist die Spur nur sehr schmal, so dass vielleicht zwei Lastwagen aneinander vorbeikommen. Rechts und links von ihr ist Urwald. Dann öffnet sich die Landschaft und der Mensch hat die Möglichkeit Vieh weiden lassen. An den weit auseinander liegenden Behausungen erkenne ich Gewächshäuser aus Plastikfolie, in denen vor Kälte geschützt, Gemüse gedeiht. Die Weiden sind zur Carretera hin durch Zäune abgegrenzt. Viele alte, imposante Bäume wurden nicht gerodet. Aus Astwerk sind Zaunelemente geflochten, die zu Ferchen zusammengefügt sind. Ich durchfahre ein Gebiet wie es die Siedler vor hunderten Jahren in Nordamerika auf ihrem Weg westwärts vorgefunden haben müssen.
Gegen 17 Uhr erreichen wir Puyuhuapi. Es liegt an einer malerischen Fjördspitze. Bei der, wie meistens zeitaufwendigen Suche nach einer Cabana, schickt mich eine Seniora, deren Cabana schonbelegt ist, zu einer Adresse zwei Blocks weiter. Fast schon angekommen pfeift ein Polizist den ohne Helm fahrenden Theo zu sich. Der gehorcht anstandslos und holt sich seine Rüge ab. Beim Abendessen erfahre ich, dass er gleich drei Verstöße gegen chilenisches Gesetz begangen hat. Fahren ohne Helm, rauchen beim Motorradfahren und frei zugängliches mitführen von Alkohol. Er hatte einen zwei Liter Tetrapack außen an seinem Koffersystem befestig. Im Nachhinein wird ihm klar, warum viele Passanten, die seine Transportweise vorher beobachtet hatten, verstohlen geschmunzelt haben.