Wir entscheiden uns am späten Vormittag noch eine Nacht in unserer Luxuscabana zu verweilen. Christian, unser Vermieter stimmt zu. Er empfiehlt als Halbtagestrip einen Aussichtspunkt auf den Gletscher San Rafael.
Ich biege direkt in unserem Städtchen Puerto Rio Tranquilo in ein unscheinbares Sträßchen ab. Es führt zunächst in ein breites Tal. Einige Behausungen inmitten von eingezäunten Weideflächen säumen den Weg. Im Gegensatz zur Carretera Austral bin ich quasi alleine unterwegs. Ich genieße das entspannte Fahren, halte häufig an, erkunde zu Fuß die nächste Umgebung. An einem Wasserfall suche ich auf dem Boden liegend nach einer Position für die Kamera, um ein Selbstauslöserfoto zu machen. Ein weißer Pickup nährt sich mir langsamer werdend. Ich begrüße den jungen Fahrer mit einem freundlichen hola buenos dias, me llamo Frank. Francisco erkundet alleinreisend Patagonien. Er stammt aus der Umgebung von Santiago. Berlin, Köln und München hat er bereits besucht und ist dabei Deutsch zu lernen. Wir machen ein Erinnerungsfoto von uns.
Das paradiesische Fleckchen Erde gibt mir hinter jeder Biegung neue, wunderschöne Einblicke in die Natur. Das Zusammenwirken von Flusslauf, Waldlandschaft, Bergwelt mit schneebedeckten Gipfeln und der bewölkte Himmel mit dem kräftigen blau der Atmosphäre entzückt mich.
Ich höre Hundegebell. Rechts der Piste sehe ich eine Behausung. Ruhig, ruhig befiehlt ein Mann jenseits des Zaunes. Ich stoppe, lasse das blubbern des Motors verstummen, nehme meinen Helm ab und Grüße in Spanisch und füge yo soy aleman hinzu.
Ein Holzschild mit dem Symbol einer dampfenden Kaffeetasse und dem Wort comidas lässt auf eine bewirtete Unterkunft schließen. Was er den für mich tun könne, kommt leicht gestresst zu mir rüber. Er sei alleine und die zu backende Brote benötigen seine Aufmerksamkeit. Abendessen gibt es bei meinen Freunden in einer Cabana in Tranquilo, entgegne ich und mir ist empfohlen worden den Gletscher von einem Aussichtspunkt betrachten zu können. Er beschreibt mir den Weg zum Aussichtspunkt. Auf dem Rückweg verabreden wir uns auf einen Kaffee.
Ich parke die Twin neben einem Geländewagen hole meine Wanderschuhe aus dem Topcase und melde mich bei einem jungen Mann, der von hieraus Gletscherwanderungen anbietet. Der camino hoch zum Aussichtspunkt kostet 3500 Pesos. Meinen Helm, die Motorradstiefel, den Tankrucksack und die Protektorjacke darf ich in der mollig warmen Tourguidehütte abstellen. Der kurze Marsch führt über einen mit Holzstegen präparierten Pfad durch dichten Wald. Baumfarne und Orchideen säumen den Weg. Dann geht es steil bergauf zu einer zehn mal fünf Meter großen Plattform.
Mir zu Füßen liegt die Endmoräne des gewaltigen Gletschers. Im Laufe der Jahrhunderte bis das Gletschereis hier angekommen ist, hat es soviel Verunreinigung aufgenommen, dass der Gletscher hier mehr einem Geröllfeld gleicht. Weiter entfernt wird das Eis sauberer und glänzt, dort wo Sonnenstrahlen die Oberfläche erreichen, blendend weiß. An dem abgeschliffenen, mir gegenüberliegenden Bergfuß erkenne ich um wieviel höher der Gletscher einst war. Die Dimensionen sind gewaltig. Ich versuche mir vorzustellen wie lange eine Wanderung bis zur Gletscherquelle dauern würde. Es ist Ein Augenblick, in dem ich mir winzig vorkomme, in dem die Natur mir mitteilt nur ein Eiskristall des gesamten Gletschers zu sein. Ich verbringe einige demütige Minuten hier auf der außer mir menschenleeren Plattform.
Beim Anziehen der Motorradbekleidung erzählen mir Gabriela und Matias, dass sie in der Sommersaison aus Nordchile hierher Anreisen und als Tourguids ihr Geld verdienen. Sie sind Naturverbunden und lieben Patagonien.
Thomas steht entspannt an seiner Haustür, als ich mein Motorrad parke. Er bittet mich in sein Haus. Es ist angenehm temperiert. Mir fällt sofort die Verarbeitungsqualität seines Hauses auf. Es ist wesentlich aufwändiger verarbeitet als alles was ich bisher in Chile gesehen habe. Er beginnt zu erzählen. Alle Erdteile der Welt hat er erlebt. Er stammt aus München. Seine Frau ist Thüringerin. Vor der Heirat haben sie 13monatige Weltreise unternommen, um die Ehetauglichkeit zu prüfen. 2001 das Fleckchen Erde gefunden, wo wir beide gerade sitzen. Zwei Jahre Haus gebaut, dabei im Auto gewohnt. Info: Es sind 50 Kilometer Schotterstrecke bis zu nächsten Zivilisation. Eigene Wasserturbine zur Stromerzeugung. Trinkwasser aus eigenem Bach. Hostaleriebetrieb seit 2004. Internet zwei mal zwei Stunden täglich. Seine Emails gehen in eine Kodierbox dann übers Stromnetz zu einem Freund ins 150 Kilometer entfernte Coyhaique. Dessen Kodierbox lädt die Daten in einen Computer, und zack ist die Email in fünf Minuten versandt. Er und seine Frau haben ein Langzeitvisum, das dreijährige Töchterchen hat doppelte Staatsbürgerschaft. Es wird bis zum 14. Lebensjahr zu Hause unterrichtet, mit jährlichem Test an Staatsschule. Ab dann Gastfamilie und Abitur in entfernter Stadt.
Ich kann mich kaum losreißen aber die Zeit ist bei Thomas verflogen und ich hoffe noch rechtzeitig zum Abendessen unser Cabana u erreichen.