Die erste Zeltnacht ist überstanden. Ich war mit Faserpelzeinteiler in den Schlafsack gekrochen und habe bis gegen fünf Uhr gut geschlafen. Nach zweimaligem einschlummern stehe ich gegen acht Uhr auf. Der Besuch des Sanitärraumes kostet einige Überwindung, aber angenehm heißes Wasser stellt die ihre Funktion erfüllende Dusche zur Verfügung. Den Bart lassen wir dann mal wachsen. Dann passt das Outfit auch besser in die Umgebung. Ich genieße einen herrlich ruhigen Blick auf die Dächer von Ushuaia. Auf dem naturbelassenen Campingplatz beobachte ich ein kleines Greifvogelpaar, das vielleicht zehn Meter von mir entfernt die Wiese nach Verwertbarem absucht. Die frei laufenden Pferde haben sich bis an die Zelte herangewagt, bevor der Hund des Hauses zusammen mir Fernando, dem Campingplatzchef, auf einem Quad sitzend sie wieder den Wiesenhang hinauftreiben.
Nach Mittag fahren wir in den Parque Nationale Tierra del Fuego. In diesem endet die Ruta 3 und beherbergt das Schild, welches das Ende der Welt, fin del mundo, manifestiert. Eintritt zahlen. Ich genieße jeden Meter, tuckere mit 30 Stundenkilometer die Piste entlang, nehme jeden Mirrador mit. Als erstes erreiche ich einen Landungssteg am Beagel Kanal. Eine Hinweistafel beschreibt die zu sehenden Inseln und den Grenzverlauf zwischen Argentinien und Chile. Weiterfahrend ist rechts und links der Piste undurchdringlicher Urwald. Die Baumstämme sind mit Moosen bewachsen, immer wieder sind Fingerkuppen große orangerot leuchtende Pilze an den Baumstämmen zu sehen. Braungrüne mit abgestorbenen Bäumen bespickte Sumpflandschaften tauchen auf, in denen wilde Gänse eine Heimat gefunden haben. Am Lago Roca versuchen drei Jugendliche sich mit einem fast zahmen Fuchs zu fotografieren. Den möchte ich auch gerne knipsen. Wie so oft hat sich das Objekt der Begierde aus dem Staub gemacht, bevor ich die Kamera zur Hand habe. Die Seenlandschaft mit den zahlreich blühenden Pusteblumen und den schneebedeckten Bergen ringsum bilden ein kleines Idyll. Ich vermisse die Aufschrift fin del mundo auf der Hinweistafel jenseits der Parkplatzabsperrung. Wir mogeln uns mit den Motorrädern durch die Absperrung, positionieren die Motorräder akribisch neben dem Hinweiser, um das Beweisfoto des ersten Zieles der ersten Reisehälfte zu machen.
Ich gehe noch die mit Holzstegen befestigte vielleicht 500 Meter lange Runde, die einen freien Blick auf Seitenarm des Beagelkanals zulässt. Der Himmel ist aufgeklart die Wasseroberfläche leicht gewellt. Mir gehen Gedanken durch den Kopf, die die vergangen vier Wochen passieren lassen. 5460 Kilometer auf Straßen und Pisten liegen hinter mir. Dem anfänglich frühsommerlichen Wetter folgten rasch kühlere Temperaturen. Einen Regentag verbrachten wir kräftesammelnd in Chaiten, an der Carretera Austral. Schöne Einblicke in die wenig vom Menschen gestaltete, schwer zugängliche Region Chiles konnte ich aufnehmen. Den Gegensatz zwischen dem saftigen Grün Chiles und dem Wüstencharakter der der argentinischen Pampa, mit ihren kräftigen Winden. Mit vielen Menschen die sich die gleiche Aufgabe gestellt haben, aber sie unterschiedlich lösen, als Backpacker , Radfahrer, Auto- oder Motorradreisender habe ich gesprochen, alle sind Individualisten, die viele Strapazen auf sich nehmen, um diesen Erdteil kennenzulernen.
Ein Ziel ist erreicht. Ein bisschen Stolz empfinde ich, diesen Wendepunkt erreicht zu haben, viel Spannung ist in mir, wenn ich an die zukünftigen Kilometer denke. Ich wünsche uns eine weitere unfallfreie Fahrt, mit hoffentlich nur lösbaren Störungen.
Erst kurz vor halb acht kehre ich aus dem Park zurück. Vito der Zehnjahresreisende hat uns heute Abend zum fantastisch schmeckenden polnischen Gullarch eingeladen. Danach gibt es eine Art Wendepunktfete. Vito bringt eine Gitarre mit in den wieder mollig warmen Gruppenraum. Birgit, die österreichische Malkünstlerin offenbart ein weiteres Talent. Aus dem Internet zieht sie sich ihr bekannte Texte und Note, spielt auf Vitos Gitarre und singt phänomenal gut.