18. Januar 2014 – Samstag

Schon seit einigen Fahrtagen spüre ich beim nutzen der hinteren Bremse ein rubbeln im Fahrwerk. Beim festeren Abbremsen um vom Fahrbahnrand noch ein Foto von Iqieque zu machen vibriert es vom Hinterrad her beängstigend. Wiederum kontrolliere ich den hinteren Bremssattel, keine Auffälligkeiten. Bisher hatte ich mich mit dem Gedanken beruhigt, dass die zwar ungebrauchten aber schon viele Jahre daheim gelagerten Bremsbeläge, die ich vor der Verschiffung eingebaut hatte, vielleicht verglast seien und deshalb das anormale Bremsverhalten erzeugt. Ich fahre nochmal an, bremse ab, alles scheint normal zu funktionieren.

Wir sind heute auf dem Weg nach Arica, der letzten chilenischen Stadt vor der Landesgrenze zu Peru. 250 anstrengende Kilometer durch die heiße und meist monotone Atacama liegen hinter uns. In Cuya, einem  vielleicht 100 Einwohner beherbergendes Pueblo, das aus einer Polizeikontrollstelle entstanden ist, finden wir einen schattenspendenden Baum für eine Pause. Beim Anhalten merke ich die schwergängige Hinterradbremse. Ich kippe die Africa Twin über den Seitenständer, Theo wackelt am Hinterrad. Das Radlager ist bereits soweit ausgeschlagen, dass der Bremssattel an der Radnabe schleift, die noch verbleibenden 100 Kilometer bis zur Stadt Arica mit meinem Motorrad zu fahren scheint mir zu risikoreich.

Ein Polizist könnte mir einen kostenintensiven Transport nach Arica vermitteln. Alternativ frage ich an der Polizeikontrolle anhaltende Lastwagenfahrer nach einer Transportmöglichkeit. Die lehnen wahrscheinlich wegen einer nur umständlichen Verladung des schweren Motorrades auf die hohen Ladeflächen ab. Das Auto von Luis, einem chilenischen Tourist, ist mit Überhitzung kurz vor seiner Heimatstadt Arica ebenfalls liegengeblieben. Er hat bereits einen Abschleppdienst angefordert, und bietet mir an, diesen mit zu nutzen.

Abenteuerlich verladen wir zu viert die Twin auf die zerklüftete Ladefläche des zum Pannenwagen umgebauten Pickups. Lange dauert die Fahrt über die lange ansteigende und wieder abfallende, mit vielen Baustellen gespickte Ruta 5 nach Arica. Ich kann vom Beifahrersitz des Abschleppwagens aus, die von der untergehenden Sonne eingefärbten Berghänge beobachten. Tief unter uns im Tal sehe ich grüne Vegetation. Nach Sonnenuntergang müssen wir noch ein langes Stück unbefestigte Baustellenpiste befahren. Marco, der chilenische gelbe Engel, scheint Hunger zu bekommen. Er lässt den Pickup, beladen mit meinem Motorrad und Luis seinen Hyundai auf der Abschleppkralle, flitzen. Mit jedem Schlagloch glaube mehr, meine Twin nicht mehr beulenfrei wiederzusehen. Marco begleitet die aus dem Radio tönende Andenmusik, Luis sitz mit seiner Frau Pati und dem erwachsenem Sohn Javier in zweiter Reihe, die Füße abgestützt auf grobe Abschlepputensilien. Theo kämpft sicherlich mit der schwindenden Helligkeit und dem losen Untergrund.

Mit Motorbremse fährt der Pickup die lange Abfahrt von der Hochebene nach Arica hinunter. Endlich erreichen wir den Wohnsitz von Luis. Sein Auto ist schnell von der Kralle abgelassen. Luis möchte auch hier den Rampentrick mit einer gottgegebenen Böschung anwenden. Ich hatte im Stillen gehofft, dass sich eine professionelle Abladung meiner Twin bieten würde. Drei mögliche stellen werden diskutiert, scheitern aber an einem Stück Brett oder Balken, um den Abstand zum sicheren Untergrund zu überbrücken. Aufgegeben wird nicht, schließlich kann jede Minute ein neuer lukrativer Auftrag einflattern. Luis findet einen vielleicht 60 Zentimeter hohen Betonsockel, von dem aus ich auf die Straße fahren könnte. Marco steuert mit der Breitseite auf wenige Zentimeter heran. Langsam rollt das Vorderrad auf den Halbmeter tieferen Sockel, das Hinterrad folgt problemlos, mir fällt ein Stein vom Herzen.

Theo und ich dürfen bei Luis seiner Familie übernachten. Ein schrecklicher Tag findet bei einem Bier und von Pati geschmierten Brötchen sein Ende.

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