Ich bin fünf Minuten vor Weckerablauf wach. Draußen prasselt der Regen auf die Wellblechdächer. Im Bad funktioniert das Licht nicht. Eine Katzenwäsche im Taschenlampenschein muss jetzt reichen. Fernando schaut zum offenen Fenster und meint verschlafen, lluvia todo noche. Kurz nach vier stehe ich mit anderen Machupicchu Wanderern vor dem verschlossenen Frühstückslokal. Zwanzig Minuten später sitze ich vor einer Tasse Kamillentee, schaue die Butter und die dünnflüssige Marmelade mit meinen drei Tischgenossen an. Nach halb fünf endlich kriegen wir dann die Frühstücksbrötchen. Im Dunkeln gehe ich mit übergezogener Regenkombi, Regenschirm und Marschproviant in einer Plastiktüte zum Einstieg des Machupicchu. Doch der ist streng bewacht. Ein Inkaenkel verlangt Pass und Eintrittsticket. Das habe ich alles unter dem verschlossenen Regenkomi. Ich lege den Schirm und die Tüte beiseite, fummle die Kombi auf, warte bis er meinen Papieren einen zustimmenden Blick zuwirft, packe alles wieder ein, und kämpfe mich die endlosen aus gebrochenen Felssteinen geformten Stufen hoch. Rasch steigt meine Temperatur unter der nach außen und innen Wasserdichten Kombi. Oft verweile ich nach Luft schnappend, tue aber so als wolle ich die sportliche Jugend vorbeilassen. Die Dämmerung setzt ein, ich kann den Weg ohne Taschenlampenlicht richtig einschätzen. Nach anderthalb Stunden erreiche ich total verschwitzt den Sammelplatz, an dem wir Touristen den Inkaguids zugeteilt werden. Unter einem Schutzdach lüfte ich mich. Aus meinem Oberhemd und dem Merinofunktionshemd wringe ich einigen Schweiß heraus. Die gegen Bezahlung nutzbare Toilette hat auch einen Händetrockner, mit dem ich mein Unterhemd etwas trockener bekomme. Ich höre wie mein Name draußen gerufen wird. Ich werde der englischsprachigen Gruppe zugeteilt, angeführt von einem Inkaenkel namens Alex.
Wir durchschreiten einen letzte Kontrollstation, zeigen ein letztes Mal Eintrittsticket und Reisepass, und mit den ersten Sätzen die Alex uns gegenüber äußert, geht für mich trotz des feuchten, dunstigen, mit tief in den Berggipfeln hängende Wolken die Sonne auf. In mehr als zwei Stunden an verschiedenen Plätzen der riesigen Anlage erklärt er uns die Inkakultur. Die Entstehung der nie beendeten Machupicchu Stadt. Die Organisation des einst vom heutigen Ecuador bis weit hinunter nach Chile reichenden Reiches. Die soziale Struktur mit einer Ober- Mittel- und Unterklasse. Das Steuersystem. Die Architektur, das Bildungswesen, die Medizintechniken, die Landwirtschaft, die Astrologie, nicht zu vergessen, die Religion, nach der jeder Inka nach seinem Tod in einer höheren, besseren Ebene geboren wird.
Die körperliche Anstrengung deutlich in meinen Knochen spürend, hat dieser Wahnsinnskerl, der sich von jeden unserer Gruppe mit einer Umarmung verabschiedet mit dem Wunsch, tragt meine Geschichte hinaus in die Welt, mir eine neue Sichtweise auf diesen Kontinent geweckt.
Ich steige frühzeitig den Inkatrail hinab, schaffe es noch ein Stück Torte mit einem Kaffee in Aguas Calientes zu genießen bis ein Nobelzug mich zum Hidroelektika zurückbringt.
Gegen 15 Uhr fahre ich mit meinem Chauffeur von gestern und einer heiteren jungen Truppe die lange Strecke nach Cusco zurück. Dabei klaut uns zunächst ein Bergrutsch, der über eine Stunde lang Felsmassen über unsere Piste ins Tal befördert, dann ein festgefahrener Lastwagen und kurz vor Cusco ein geplatzter hinterer Reifen soviel Zeit, dass ich erst gegen 22 Uhr 30 mein Hostal total erschöpft erreiche.