15. Februar 2014 – Samstag

Seit Tagen schwirrt die Lagunentour durch meinen Kopf. Ein Reisebericht von einem Geländewagenfahrer beschreibt diese 420 Kilometer lange Strecke als äußerst anspruchsvoll, rät zu mindestens drei Übernachtungen im bolivianischen Hochland, bei denen die Temperaturen in bis zu 4700 Meter Höhe deutlich unter dem Gefrierpunkt fallen. Belohnt werden soll man mit herrlichen Ausblicken, auf mit Flamingos bevölkerten Lagunen, die in unterschiedlich Farben leuchtenden und auf zahlreiche Vulkane.

Wir wollen den Begriff anspruchsvoll unseres Autoren, der diese Tour im Oktober 2013 erlebt hat, testen. Die Ruta 5 führt uns unbefestigt aus Uyuni Richtung Südwesten in eine ebene, steppenhafte Landschaft. Zunächst werden wir auf der alten Piste geleitet, die unmittelbar neben der der neuen, in Bau befindlichen Trasse liegt. Ich verpasse wohl das Umleitungsende, das mich auf die gut befahrbare Piste zurückführt hätte. Mit einem Mal wird der Untergrund dunkler und mein Motorrad fängt beängstigend an zu schlingern. Ich schaffe es vor einem Entwässerungsgraben die Africa Twin zu stoppen. Unter meinen Stiefelsohlen haftet klebriger Matsch. Ein Landcruiser Fahrer auf der Piste hält an, steigt aus seinem Wagen und leitet mich auf die Piste.

Unser Weg führt uns über Vila Vila nach San Christobal, wo wir nochmal die Motorradtanks füllen. Nach weiteren 60 Kilometer gut und zügig  zu befahrener Piste erreichen wir Vila Alota. Dort scheint ein Anfahrpunkt, der von Uyuni operierenden Geländewagentouren zu sein. Eine holländische Touristin ist heute Morgen in San Pedro de Atacama gestartet und wurde über die Lagunenroute hierher chauffiert. Von dieser gut ausgebauten Piste zweige in 30 Kilometer ein steiniger, anstrengend zu befahrener Weg ab. Auch die Gesichter der anderen Mitfahrer der Holländerin machen einen geräderten Eindruck auf mich.

Wir biegen also nach den 30 Kilometern auf den holprigen Track ab. Trialmäßig zirkeln wir die schweren Motorräder um Felsbrocken zunächst bergab, um dann langsam an Höhe zu gewinnen. Ein mulmiges Gefühl schleicht sich in meine Magengegend. Wie leicht kann ein Sturz in diesem abgelegen Gelände zu enormen Problemen führen, wie bekommt man einen Defekt am Motorrad oder gar eine Verletzung von uns gehändelt. Wie weit sollen wir in den Track hineinfahren in der Hoffnung, dass wir auf ein wieder gut befahrbares Stück stoßen?

Tapfer rackern wir uns 20 Kilometer bis zur ersten Lagune Canapa. Ich fahre bis an den Uferbereich und sehe tatsächlich zahlreiche Flamingos, die seelenruhig mit ihren Schnäbeln das seichte Wasser nach Beute absuchen. Sie lassen mich auf wenige Meter an sich heran, wohlwissend dass der komische Tourist nicht ins kalte Wasser hereinkommt. Mit einigen schönen Bildern auf dem Chip holpern wir weiter.

Der Pistenzustand verbessert sich nicht. Die Tourjeeps versuchen immer wieder neue Pfade in die weitläufige Landschaft anzulegen, um den für die Insassen strapaziösen und fürs Fahrzeug materialmordenden Untergrund zu umfahren. So stehen uns zahlreiche Spuren zur Auswahl. Manche scheinen zu einem anderen Ziel zu führen, aber die seitlichen Bergketten lassen nur eine Richtung zu.

An der zweiten Lagune namens Hedionda befindet sich eine Unterkunft. Der körperlichen Anstrengung und der Tageszeit nach wäre hier ein optimales Tagesziel erreicht. Die verschlossene Eingangstür lässt mich um das Gebäude nach Personal rufend gehen. Zwei junge Männer scheinen das Lagunenhotel zu betreuen. Mir wird ein Zimmer gezeigt und die Abendspeise erklärt. Theo hatte zwischenzeitlich mit einem Guide eines Tourjeeps Kontakt, der zur Weiterfahrt bis zum über 30 Kilometer entfernten Hotel Desierto riet.

Die steinigen Pfade verwandeln sich in zahlreiche sandige, von den Jeep Reifen geprägten Spuren. Es sind nicht fünf oder zehn, es sind hunderte Spuren. Hauptspuren, die uns einen festen Untergrund geben, weisen häufig eine Wellblechstruktur auf, die beim Überfahren das Motorrad zu zerlegen scheinen. Plötzlich auftauchende Weichsandstücke versuchen mir den Lenker aus den Händen zu reißen. Die sinkende Sonne wirft lange Schatten in die tief eingefahrenen Spuren. Ich kann durch das getönte Brillenglas meine Fahrspur nicht mehr einschätzen. Häufig beginnt die Twin zu tänzeln, jeden Muskel angespannt versuche ich einen Sturz entgegenzuwirken. Der Schatten eines nahen Vulkankegels taucht die mehrere hundert Meter Breite Piste in Dunkelheit. Ich möchte am liebsten die Brille ausziehen, doch dazu müsste ich anhalten und käme in den unstabilen Bereich des Motorrades. Noch mehr eiere ich durch das Sandmeer. Endlich ist der Schattenbereich überwunden. Ich erreiche ein Hinweisschild.  Zum Hotel Desierto geht es rechts entlang und soll  nach zwei Kilometer erreicht sein. Ich warte auf Theo, nach den schnell gemachten Fotos höre ich lang, gespannt nach seinem Boxer. Beunruhigt setze ich den Helm auf, um zurückzufahren. Mit dem sehe ich Mann und Maschine hinter der Sandkuppel auftauchen. Kurz danach blicken wir auf die Hotelanlage, die einzige Zuflucht in der Weite in mehr als 4600 Meter Höhe.

Wir beziehen ein beheiztes, geräumiges, fast ausschließlich aus Granitsteinen der Umgebung gebautes Zimmer. Selbst der Bettunterbau ist stabil aus Gesteinsbrocken gefertigt. Die draußen geparkten Jeeps haben knapp 30 Gäste hierher kutschiert, mit denen wir gemeinsam zu Abend essen. Leider steht der Mond, fast voll, hoch am Himmel. Ich hätte gerne in dieser Höhe die volle Pracht des Sternenhimmels angeschaut.

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10. Februar 2014 – Montag

Wieder mit meinen ganzen Utensilien bepackt, sitze ich auf der Africa Twin und fahre bei sonnigen aber kühlen Wetter den gestern bereits bewunderten Bereich des Lauca Parks. Die mitunter stark beschädigte Asphaltdecke erfordert ein konzentriertes Steuern des Motorrades. Den gestern aus der Ferne schemenhaft gesehene Vulkan Parinacota wächst heute mit jeder Straßenwindung. An den vielen, kleinen Gewässer suchen Flamingos und andere Wasservögel nach Nahrung, häufig kreuzen Vicunas und Lamas die Straße. Große Herden von den Vierbeinern weiden in der mit Hochlandgras bewachsenen Ebene. Doch für mich ist der wahre Champion des Lauca Parks eben der Parinacota mit seinem Lago Chungara, in dem er sich bei Windstille spiegelt. Ich weiß nicht, wie oft ich den Vulkan heute aus verschiedenen Perspektiven abgelichtet habe. Doch dieses Grenzgebiet nach Bolivien beheimatet insgesamt vier Vulkane, die über 6000 Meter messen. Einer davon, der Vulkan Guallatire, bläst Rauch ab. Er soll einer der aktivsten Vulkane der Anden sein.

Meine Ausreise aus Chile, an dem kleinen Grenzübergang in 4600 Meter Höhe, ist Formsache und in zehn Minuten erledigt. Bis zur bolivianischen Grenzstation sind es vielleicht 15 Kilometer. Auf der Fahrt dorthin passiere ich eine vier Kilometer lange Lastwagenschlange. Die auf die Abfertigung wartenden Fahrer unterhalten sich in kleinen Gruppen, schauen nach ihren Fahrzeugen oder dösen im Fahrerhaus. Beim Vorbeifahren wünschte ich für einige Stunden mit ihnen tauschen zu können. Dann würde ich die erhabene Atmosphäre genießen.

Bolivien, mal was Neues. An der Zollstation treffe ich Theo, der seit längerem mit dem Zöllner versucht, seine BMW für Bolivien zu registrieren. Es scheitert offensichtlich an einem Computerprogramm, das heute nicht so richtig will. Letztendlich führt uns ein Kollege unseres Bearbeiters zu einem Speditionsbüro, in dem eine junge, hilfsbereite Senora die fehlenden Kontrollnummern im System heraussucht und alle Unterlagen für die Einreise vorbereitet. Die 20 Bolivianos kann ich ihr erst nach der Tauschaktion mit einer in Trachten gekleideten Senora, die mir von einem Polizisten empfohlen wird, zahlen. Eigenartige Wechselstube, denke ich mir und fühle mich übers Ohr gehauen.

Mit unserem Startkapital gehen wir auf die Suche nach einer Tankstelle. Die in der Grenzstadt Tambo Quemado führt wenn überhaupt nur Diesel. Die nächste Tankstelle soll im über 200 Kilometer entfernten Patacamaya sein. Das ist zu weit. Wir können nicht glauben, dass an einer Hauptverbindungsstraße kein Sprit zu bekommen sein soll, also fahren wir los. Als nach etwa 100 Kilometer die BMW nach neuem Kraftstoff ruft, fahren wir an einem Rastplatz an. Auf dem großen, unbefestigten Parkplatz sind unsere Motorräder die einzigen Fahrzeuge. Neben dem Gebäude steht ein Auto. Die Wirtin bietet uns fünf Liter, die sie aus ihrem PKW abzapft an. Damit schaffen wir es bis zwei Kilometer vor der geplanten Tankstelle. Als ich den Reservekanister füllen will, fragt mich einer der vier sich unterhaltenden Tankwarte, wie viel ich für einen Liter zahlen will. Wie bei der Wechselsenora fühle ich mich unsicher. Der Tankwart fängt mit 10 Bolivianos an. Ich stutze und wage cinco zu sagen. Ich fülle den Kanister für 10 Bolivianos mit 2,6 Liter. Als ich kurz danach mit Theo zum Auftanken der Motorräder an die Tankstelle rolle, fülle ich zunächst den Hecktank, in dem genau 12 deutsche Liter passen. Hier werden 13,4 Liter eingefüllt. Der Gesamtbetrag wird nicht an der Zapfsäule abgelesen, sondern die Literzahl mit den ausgehandelten 5 Bolivianos multipliziert. Normalerweise läge der Touristenpreis bei neun Bolivianos. Erzürnt über diese Behandlung suchen wir mit vollen Tanks eine Unterkunft.

Das Loch mit den kleinen Bettbewohnern in Patacamaya lehne ich ab. Wir starten noch durch nach Oruro, wo wir nach eifriger Suche gut unterkommen. Es war ein langer, anstrengender Tag.

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