In 50 Meter rechts, dann Fähre fahren. Das ist meine persönliche Lieblingsansage meines Navigationssystems. Sie hat für mich etwas Aufregendes an sich. Das Befahren der Fähre über die Stahlrampen, die dumpf klingenden Poltergeräusche, die vom gesamten Bootskörper lautstark reflektiert werden, das sichern des Motorrades mithilfe von Spanngurten und den Fährarbeitern. Die Überfahrt stellte eine Pause vom aktiven Motorradfahren dar. Ich habe Zeit Fotos zu machen, die vom Bootrumpf erzeugte weiße Gicht zu beobachten, die wärmenden Sonnenstrahlen zu genießen. Von Punta Arenas nach Porvenir heißt meine heute zu nutzende Fährverbindung. Neben mir befestigt Yohann sein Fahrrad. Die Radfahrer sind für mich die wahren Helden. Die vielen Pistenkilometer auf den schmalen Reifen, die häufigen Steigungen und vor allem der zermürbende Sturm und alles mit Muskelkraft, ganz schön taff. Kurz nach neun legen wir ab, zweieinhalb Stunden dauert die Fahrt. Yohann hat erfahren, dass auf dieser Überfahrt häufig Delphine in Bootsnähe zu sehen sein sollen. Bewaffnet mit einen Riesentele auf seiner Speigelreflexkamera begibt er sich auf das Oberdeck und verharrt dort die gesamte Fahrzeit. Mir wird es nach einer halben Stunde zu kalt draußen. Ich verschwinde in das kuschelig Innere des Schiffes, schreibe am Tagebuch, beobachte die Menschen. Lange vor dem Einlaufen in Porvenier suche ich auch nochmal die Wasseroberfläche nach Delphinen, Walen und Pinguinen ab. Erst im Hafenbecken sehe ich dreimal Pinguine die für einen Augenblick aus dem Wasser springen, um anschließend wieder unter der Wasseroberfläche zu verschwinden.
Der Himmel zeigt viel blaue Atmosphäre, dazu weiße Wolken, die Landschaft wird von den Sonnenstrahlen verwöhnt. Feuerland, fin el mundo, ich erwarte eine mystische, dunkle, menschenfeingliche Umgebung. Die grellen Farben, mit denen die Menschen hier Häuser, Lagerhallen, Schiffe und andere von ihnen genutzte Dinge streichen, drücken Lebensfreude und Liebe zu ihrem Land aus. Eigentlich rechnete ich mit einer zügigen Fahrt, doch Porvenier lässt mich oft anhalten um Eindrücke aufzunehmen. Garmina lotst mich auf die Y635, eine Piste mit Feldwegcharakter. Yohann hatte mich bei einer Pause mit seinem Fahrrad schon kurz nach dem Hafen überholt. Er hat vielleicht eine halbe Stunde Vorsprung. Man tritt der rein denke ich bei mir. Vor mir sichert ein Pickup den Viehtrieb einer Schafherde ab. Natürlich muss das aufs Foto. Ich erzähle der Seniora, dass meine Frau in Alemannia auch 70 Schafe hat. Vor mir sei eine Herde von 1500 Schafen. Ich könne mich langsam durch die Herde schlängeln, also rein ins Abenteuer. Die Schafe empfinde ich als wesentlich chaotischer als die Rinder, die ich im Torres del Paine Park überholen musste. Sie laufen unberechenbar mal vom Motorrad weg, dann doch wieder zurück. Mehrmals muss ich abbremsen und ausweichen. Doch alle Schafe überstehen meinen Überholvorgang ohne Blessuren.
Die Piste fährt sich gut, der Wind bläst von hinten. An einer Informationstafel lerne ich, dass hier einst nach Gold geschürft wurde. Der Gewinnungsvorgang ist bildlich dargestellt. Die werden wohl alles schon mitgenommen haben, denke ich mir. Ich biege links auf die Y71 ab. Die Piste ist breit, die Oberfläche asphaltähnlich. Den Motor halte ich auf um die 4000 Touren. Mit um die 80 Sachen fahre ich etwa alle fünf bis zehn Kilometer an einer Estancia Zufahrt vorbei. Eine lange gerade Piste führt in Grundstück hinein, Gebäude sind von der Piste aus, auf der ich fahre, selten zu sehen. Die Strecke bis zur chilenisch argentinischen Grenzstadt San Sebastian zieht sich, durch leicht hügeliges Steppenlandland manchmal mit bodennahem Buschbewuchs. Rechts von mir auf dem Grund einer Estancia herrscht ungewöhnliche Regsamkeit. Mehrere Pickups verteilen sich auf den kargen Weidenflächen. Ich sehe wie signalrote Kabel verlegt werden. Mir kommen einige Sattelzüge mit durch Planen blick- und schmutzdicht verpackter Ladung vorsichtig fahrend entgegen. In der Entfernung erkenne ich geländegängige Bohrfahrzeuge.
Ich erreiche die Grenzstation. Motorrad abstellen, rein in die betriebssame Office. Meinen Helm lege ich auf einen Tisch ab, warte auf die Abfertigung. Zunächst die policia, die mich als Person abhandelt. Dann zum aduana zwecks Einfuhr der Twin. Im Hintergrund beschallt ein Radio die gesamte Station lautstark. Mein Sachbearbeiter etwas zottelig anzuschauen, zeigt seine musikalischen Gene, durch rytmisches Finger- und Fußtrommeln. Er blättert in dem Internationalen Fahrzeugschein und füttert seinen Computer mit der Tastatur. Ein im Hintergrund wandelnder älterer Zollbeamter beobachtet seine Kollegen. Als er nahe dem Radio gelangt, reduziert er die Lautstärke auf ein angenehmes Niveau. Ich greife zu meinem Helm. Ein zweiter Helm liegt daneben. Mein Blick schweift durch die Menschenmenge. Ich stelle mich dem jungen Mann, der offensichtlich eine asiatische Abstammung hat, vor. Er ist Anfang August in seiner Heimatstadt Ontario gestartet und seitdem fast 30000Kilometer mit seiner GS 800 gefahren. Ich starte die Twin und nehme die letzten 80 Kilometer mit starkem Wind in Angriff. Bald blicke ich auf den Atlantik. Ich sehe entfernt Ölpumpen mit riesigen Sammeltanks. Erdöl wird wohl auch der Grund der Betriebsamkeit an der Estancia gewesen sein. In Rio Grande treffe ich meinen Motorradkollegen vom Grenzübertritt vor einem Hostal wieder. Wir werden beide in ein Dreibettzimmer einquartiert, kaufen gemeinsam für Morgen Vorräte im Supermarkt ein und gönnen uns eine riesige Pizza mit einem leckeren Bier.