31. Dezember 2013 – Dienstag

Rainer wäscht, Theo und ich lassen waschen. Ich wage nochmals den Versuch meinen nicht gerade als unempfindlich zu bezeichnenden Fahreranzug, von Profis reinigen zu lassen. In einem heißen Spülbad reinige ich mein arg verfettetes Campingkocherset. Das in Ushuaia beschädigte Laptopkabel hat mich hier in Chile wieder eingeholt. Die argentinischen Dreipolschlitzstecker passen jetzt natürlich nicht mehr. Ich lade den Laptop an meiner Motorradsteckdose, ohne laufenden Motor. Bei der dritten Abzapfung  des Akkustroms fürs Laptop deutet die veränderte Blinkfrequenz der Twin an, dass ich zu viel des guten Stroms entnommen habe. Hoffentlich geben mir die Jungs Schiebestart. An der Playa wird eine Bühne für die Silvester Fiesta vorbereitet. Die Lautsprecherproben höre ich bereits am frühen Nachmittag bis zu unserer Cabana. Ein gemütlicher Kaffee mit von Rainer mitgebrachten Puddingteilchen, leitet bei uns den genüsslichen Teil des Jahresschlusses ein. Anna Maria und Viktor bringen uns noch den großen Wäschesack mit der gereinigten Wäsche zurück. Anna Maria teilt mir mit einem ernsten Gesichtsausdruck mit: lavar ropa mucho trabajo. Ich stimme ihr zu und entschuldige mich mit der langen Reisedauer. Das Ergebnis ist wiederum perfekt. Der Anzug fast neuwertig. Auch Theo hätte das Waschergebnis nicht für möglich gehalten.

Eine Stunde vor Mitternacht, ihr habt schon drei Stunden 2014, besuchen wir die Fiesta. Über 1000 Menschen, vielleicht 3000, verkleidet mit glänzenden Augenmasken, übergroße Brillen deren implantierten LEDs in schrillen Farben leuchten, Kopfbedeckungen mit Lametta Haaren in lila, grün und silbern.  Auf der Bühne präsentiert sich ein junggebliebener Mittfünfziger. Zwei im Takt hüpfende Tanzchicas animieren das Publikum zum Stimmungsgesang ihres Chefs zu tanzen.

Kurz vor zwölf wird auf Konservenmusik umgestellt. Alle strömen an die Uferpromenade um einen guten Blick auf das Feuerwerk zu haben. Mit feliz ano kriege ich von meiner Nachbarin einen Wangenkuss, eine andere Senora setzt mir einen Plastikhut auf, eine ältere kleine Senora winkt mich zu sich herunter und schmückt mich mit einem weißen Halsband. Feliz ano höre ich überall, wünsche es auch jedem in meiner Nähe. Ich fühl mich mitten drin, in der Herzlichkeit der Chilenen.

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30. Dezember 2013 – Montag

Der Jahreswechsel steht vor der Tür. Rainer schlägt vor bis zur Villa Kunterbunt zu fahren, um dort mit anderen Weltenbummlern zu feiern. Die Antwort auf seine Nachfrage, ob Übernachtungsgelegenheiten frei wären lässt zu lange auf sich warten. Wir wollen als Alternative eine Cabana in einem Küstenort am Pazifik erreichen.

Beim Herausfahren meines Motorrades aus der Garage bemerke ich das rege Treiben in der Nachbarstraße. Es ist Markt. Ich gehe ein paar Stände entlang, um mir etwas Obst für die Fahrt zu kaufen. Vier Äpfel und zwei Bananen passen noch in den Tankrucksack.

Die grobe Richtung heißt Conception, eine Großstadt. Etwas südlich davon liegt Lota, eine kleinere Stadt an der Pazifikküste, in deren Nähe auch ein kleiner Nationalpark liegt und damit touristisch erschlossen sein sollte. Angenehme Temperaturen, leicht bewölkter Himmel, goldgelbe Getreidefelder wohin das Auge schaut, unterbrochen von großen zusammenhängenden Waldgebieten, die forstwirtschaftlich genutzt werden. Viele Holztransportlastwagen fallen mir auf. Teilweise Lastwagen mit Anhänger voll beladen, teilweise ohne Holzstämme, dann ist der Anhänger als Ladung auf dem Zugfahrzeug geschnallt. Ein riesiges Papierwerk ist offensichtlich der Grund  des regen Verkehrs. Ich fahre Kilometerlang an die Lagerflächen der Holzstämme vorbei. Dichte Rauchschwaden verlassen die Kamine der Fabrik. Die letzen 20 Kilometer nach Lota hin sind erfreulich kurvenreich, dafür ist Lota selbst eine Enttäuschung für uns, da hier nicht der erwartete Tourismus sondern die Industrie sich etabliert hat. Auch Conzepcion bietet nicht die Kulisse, in der wir einen behaglichen Jahreswechsel feiern können. Erst das nochmals mehr als 30 Kilometer entfernte Dichato ist ein Volltreffer. Neuwertige, saubere Cabana in einer Seitenstraße, Motorräder aus dem Sichtbereich der Öffentlichkeit, Waschservice organisiert durch Anna Maria, die Cabana Chefin und sogar ein Willkommenstrunk wird uns durch Victor, Mann von Anna Maria, gereicht.

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29. Dezember 2013 – Sonntag

Früh habe ich meine Ausrüstung zusammengepackt. Ich nutze die Zeit bis meine Begleiter reisefertig sind für Computerarbeit. Der Himmel hat sich zugezogen, ein kühler Wind bläst. Um den Laptop mit Strom zu versorgen lasse ich mich an einem Laternenmast nieder, an dem auch eine Steckdose angebracht ist. Den Sockel des Laternenmastes im Rücken, auf einer Plastiktüte auf dem Boden sitzend, den Blick durch Bäume hindurch zum See gerichtet suche ich nach Fotos und Worten die ich euch schicken kann. Das ist Camping. Den Spruch haben wir vor etlichen Jahren schon geprägt, als wir den Sand im Salat zwischen den Zähnen spürten, oder mitten in der Nacht aus dem vom Gewitterregen durchnässten Zelt unter den als Sonnenschutz gedachten Pavillon flüchteten und den Rest der Nacht mit den letzten Bierreserven verbrachten.

Der Motor der Twin wird nicht warm bis wir die argentinische Grenzstation am Ende von Villa Pehuenia erreichen. Die Ausreise ist schnell im Reisepass bestätigt. Ich bin froh meinen Freund den Regenkombi, eigentlich als Kälteschutz, bereits angezogen zu haben. Die Straße ist nass, Sprühregen fällt vom Himmel. Die vielleicht 15 Kilometer entfernte chilenische Grenzstation fordert mehr Geduld von uns. Ich beobachte wie eine Familie ihr gesamtes Gepäck vom Pickup laden muss. Es wird durch die Durchleuchtungsanlage der Station geschleust. Was mir auf einem Flughafen ganz natürlich vorkommt, scheint mir hier an einer Grenzstation, die nur über eine holprige Piste erreichbar ist, übertrieben. In der Warteschlange stehend, fallen mir die Äpfel ein, die Notration für den Tag. Lebensmittel dürfen nicht nach Chile eingeführt werden. Nachdem Einreisestempel und Motorraddokument erledigt sind, begleitet uns ein Zöllner und nimmt unser Gepäck pflichtbewusst aber nicht übertrieben streng in Augenschein. Einen Apfel esse ich noch vor überschreiten der Grenze, den anderen, durch mehrere Druckstellen lädierten, opfere ich der Entsorgungstonne, die sicherlich mehrmals am Tag geleert werden muss.

Die Wolken hängen tief in den rundlichen, dicht bewaldeten Bergkuppen, hier und da treffen mich Regentropfen, maximal 15 Gad. So stellte ich mir die Anden vor, so sind sie hier und jetzt. Zwar noch immer nicht lange Unterwegs zwinge ich mich zum Fotostopp. Einmal nach vorne, zur Seite, zwei durch Zoom fokussierte Bildausschnitte, weiterfahren. Nach der folgenden Kurve tauche ich in eine Nebelwand ein. Glück gehabt beim Einfangen des Augenblicks. Ich verliere an Höhe, die Wolken befinden sich wieder über mich. Ein mit 30 Stundenkilometer, die hinter sich befindlichen Verkehrsteilnehmer ausbremsender Pickup, lasse ich rechts liegen. Erst eine Baustellensperrung stoppt meine euphorische Gangart. Nach der Freigabe für unsere Fahrtrichtung durch den mit Funkgerät ausgestatteten Verkehrsmanager, endet bald die Schotterpiste. Eine kurvenreiche, gut asphaltierte Straße, weckt in mir Erinnerungen an dynamisches Motorradfahren im weit entfernten Europa.

An einem riesigen Lavagesteinsfeld des zuletzt 2009 ausgebrochenen llaima Vulkans pausieren wir. Die Wolken geben leider keine Sicht auf den Gipfel des Vulkans frei. Der Ausbruch hat die fruchtbaren Flächen in ein tristes offensichtlich totes Stück Natur umgewandelt. Bei näherer Betrachtung aber erkenne ich auf dem grobporigen Gestein bereits wieder Flechten und niedrigwachsende Pflanzen, die eine Wiederbelebung des Areals eingeläutet haben. Gewohnt geradlinig führt uns die S51 durch eine sanft hügelige, mit golden gefärbten, erntereifen Getreidefeldern gespickten Landschaft, bei mittlerweile locker bewölktem Himmel und angenehmen Temperaturen, in die Stadt Temuco. Nach lästiger Stadtquerung und weiteren guten hundert Kilometer finden wir in Tragiuen im Hostal Sonja Unterschlupf. Ein unserem Hostal nahegelegenes Restaurant versorgt uns mit Kalorien und anderem Lebenselixier.

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28. Dezember 2013 – Samstag

Kurz nach dem Losfahren erreichen wir die für den Vortag angepeilte Zielstadt Neuquen. Sie fesselt uns mit hoher Verkehrsdichte und roter Welle.Es ist heiß, der Himmel wolkenlos, ich transpiriere unter den Motorradsachen. Gerade mal angefahren stoppt uns die nächste Ampel. War doch die Pampa schön. Es scheint, halb Argentinien sei hier unterwegs. Nur sehr langsam verlassen wir den urbanen Bereich. Das lebendige grün weicht dem monotonen Steppenland, hier und da wird Öl aus dem Boden gepumpt. Die Straße steigt sachte an. Ich erreiche eine Art Passhöhe von der sich vor mir weit entfern die Andenkordilliere aufbäumt. Ein Schnappschuss ins hinter mir liegende Steppenland und weiter nach Zapala, das heutige Etappenziel. In der touristisch unterentwickelten Stadt gibt es keine Unterkunft für uns. Die nächste von Garmina prophezeite schein 115 Kilometer entfernt zu sein. Also Gas auf.

Auf Asphalt fahren wir die Ruta Provincial 13 in eine immer lebendiger werdende Andenlandschaft. Rechts unserer Strecke treiben Gauchos eine aus unzähligen Tieren bestehende Rinderherde in einen Ferch, von dem aus sie über Rampen auf Lastwagen verladen werden. Kurven lassen Motorradfeeling aufkommen. Ein Einblick in ein malerisches, saftig grünes, mit einem Wasserlauf durchzogenes Tal zur Linken. Ich erreiche ein kleines Dorf. Eine moderne landwirtschaftliche Anlage mit mehreren Silos, die nicht wirklich in die Szene hier passt, ist wohl der Grund für die befestigte Straße, die ab der Ortsausfahrt in eine Piste schlechter Qualität übergeht. Deutlich langsamer, hochkonzentriert nehme ich die kommenden 70 Kilometer Piste in Angriff. Überholende und entgegenkommende Autos und Lastwagen wirbeln dichte Staubwolken auf. Je nachdem wie der heftige Wind zur Streckenrichtung bläst, kann ich mehr oder weniger lang die Piste nicht sehen. Ich erreiche ein Hochplateau. In der Ferne erkenne ich einen schneebedeckten Vulkankegel. Bevor die Piste mich wieder in tiefere Gefilde führt, durchfahre ich eine wüstenähnliche Sandlandschaft. Mit Grasbüscheln bewachsen Dünen säumen meinen Weg. Langsam verliere ich an Höhe. Große, alte mit dicken Stämmen Araukarien stehen vereinzelt in der Landschaft. Welch ein Kontrast zu der lange erlebten Monotonie der Pampa.

Ich erreiche Villa Pehuenia. Es liegt direkt am Lago Alumine. Ein vom Tourismus lebender Ort. Wir verbringen die Nacht auf dem Camping Munipical. Christian, ein Argentinier, hat in unserer Nachbarschaft seinen Wohnwagen abgestellt, kommt zu mir herüber und fragt nach meiner Herkunft. Ich beginne meine in Spanisch wohl schon recht gut klingende Geschichte von unserem Vorhaben ihm zu erklären. Er hinterfragt auf Spanisch, lässt durchklingen das seine Vorfahren deutschstämmig sind, höre Städtenamen wie Hamburg und Danzig, vom Jahr 1943 wird gesprochen. Es wird dämmerig und mein Zelt ist noch nicht aufgebaut.

Morgens auf dem Weg zur Morgentoilette treffe ich Christian der mich mit einem Guten Morgen begrüßt. Als ich bemerke wie gut er Deutsch spricht, beschwere ich mich, dass er mich mit meinem stümperhaften Spanisch hat erzählen lasse. Er konnte meine Ausführungen verstehen und wollte meine Bemühungen mich in Spanisch auszudrücken honorieren. Leider ist die Zeit zu kurz, um mal Informationen eines Einheimischen über sein Land und die Sicht eines Argentiniers über Europa zu erkunden. Beim Austausch der Emailadressen erfahre ich, dass seine Frau Marmelade herstellt und staube daraufhin noch ein Glas köstlicher Waldfruchtmarmelade ab.

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27. Dezember 2013 – Freitag

Ich packe früh meine Zeltausrüstung zusammen. Beim Frühstückholen gehe ich nochmal bis zur Playa, um die gestern Abend versäumten Fotos nachzuholen. Als ich sehe, dass das Wasser sich weit zurückgezogen und somit große Steinplatten sichtbar gemacht hat, bin ich etwas enttäuscht. Zudem steht die Sonne auf der falschen Seite. Die Stimmung eines Augenblicks ist eben nicht reproduzierbar.

Irgendetwas von 450 Kilometer sind für heute anvisiert. Wir kommen nach elf los, müssen noch Sprit bunkern. Fünf Autos sind noch vor uns, als der Tankwart mit einer Pylone die Zufahrt zur Zapfsäule blockiert. Ottokraftstoff ist aufgebraucht. Nueve combustible en una hora mas o menos. Wir warten, um das Risiko wegen Spritmangels liegen zu bleiben zu minimieren. Ich vertreibe mir die Zeit mit Kommunikation mit dem brasilianischen Paar, dessen Auto gleich hinter uns steht und das diesmal krankheitsbeding seinen Urlaub nicht mit dem Motorrad verbringt. Sie sind vernarrt in den Südamerikanischen Kontinent. Auch Stürze mit dem Motorrad bedingt durch die extremen Winde oder die Monotonie der Pampa kann sie von ihrer Reiselust nicht abbringen. Beim besprechen unseres Routenverlauf, weisen beide immer wieder auf Sehenswürdigkeiten hin, die uns entgangen sind. Wir tauschen Kontaktdaten aus bevor wir uns vom tanken des frisch eingetroffenen Sprits  aus den Augen verlieren.

Die Straße führt ins Landesinnere. Heiß, wollkenlos, monotone Pampa, Ölförderpumpen. In der Ferne sehe ich ein grünes Band in die Eintönigkeit verlaufen. Ein Blick zum Navi zeigt mir das ich mich dem Rio Negro nähere. Die Umgebung wird grüner, lebendiger. Kreisrunde Felder werden mit einem Radialbewässerer fruchtbar gemacht. Neben der Straße verlaufen Bewässerungskanäle.  Eine Brücke führt über den Rio Negro. So fasziniert von dem plötzlichen unerwarteten lebendigen grüntönen halte ich auf der Brücke an, fotografiere und nehme an Fahrt auf, um auf meine Begleiter wieder aufzuschließen. Eigentlich hätte ich sie schon eingeholt haben als sich die Straße gabelt. Keiner von beiden ist zu sehen, also folge ich Garminas Angaben. An einem Pförtnerhaus frage ich nach zwei anderen Motorradfahrern. Er habe sie nicht gesehen. Ein Nachbar erkundigt sich nach meinem Problem. Erbittet mich zu sich herüber. Ich solle mich in den Schatten stellen, seine Frau bringe mir Wasser. Seine vielleicht 15 jährige Tochter dolmetscht englisch spanisch. Zwei Wege führen nach der Gabelung nach Neuquen, ich bin auf dem kürzeren aber der sei nach dem Ortsausgang geschottert. Ich beschließe zu drehen. Meine hilfsbereite Familie müsse eh in meine Richtung etwas erledigen und würde mich auf den richtigen weg leiten. An einer Tankstelle erfährt mein Retter noch das zwei Motorräder vorbeigefahren seien. Wir verabschieden uns, ich bedanke mich für die liebe Hilfe. An der Polizeikontrolle an der Stadtausfahrt erfahre ich das meine Amigos fünfzehn Minuten Vorsprung haben. Irgendwann finde ich beide bei einer Pause im Schatten einer Baumreihe.

Abends finden wir einen Campingplatz direkt am Ufer des Rio Negro. Im Supermarkt wird mir empfohlen einen nahen Mirrador auf das Flusstal zu besuchen. Dort gelingen mir noch einige stimmungsvolle Fotos. Auf dem Weg zur Dusche lädt mich ein junger Argentinier zum Assado ein. Eine Klicke feiert mit einem gegrillten Lamm den Geburtstag einer hübschen 26 Jährigen Argentinierin. Das Lamm schmeckt sehr gut, Alkoholika fließen reichlich, ein gelungener Tagesabschluss.

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26. Dezember 2013 – Donnerstag

Heute ist fahren angesagt. 330 Kilometer Pampa liegen heute Morgen vor uns. Die Temperaturen liegen jenseits der 35 Grad. Es ist eintönig. Nach anderthalb Stunden liegen die ersten 100 Kilometer hinter uns. In der kurzen Pause versuche ich den Schatten meines Motorrades zu nutzen. Dafür müsste ich mich auf den Boden setzen. Zu unbequem, also lasse ich die Funktionsunterwäsche meine Schweißproduktion aufsaugen. Der beim Weiterfahren Fahrtwind trocknet meine feuchte Wäsche,kühlt dabei meinen Körper auf angenehme Temperaturen. Es ist Öde. Auf dem Schotterstreifen neben der Fahrbahn wechseln sich Tierkadaver und geplatzte Lastwagenreifendecken ab, oder sind es doch mehr Reifendecken? Der ständig blasende Wind wirbelt losen Sand zu mehrere Meter hohe Windhosen auf. Wenn das Auge über die weiten Flächen schweif, kann es irgendwo immer die beigen Sandwolken erkennen. Sekundenschlaf überfällt mich. Ich denke an Hülsmann und all die anderen Schreiber, die diesen Abschnitt zwischen Buenos Aires und Ushuaia exakt so beschrieben haben. Doch Erfahrungen kann man nicht erlesen, man muss sie erfahren, um sie ins Hirn einzubrennen. Mein Vorschlag für eine Nutzung der Pampa wäre ein Windpark, der die globalen  Energiesorgen drastisch verringern könnte.

Nach ermüdender Fahrt erreichen wir Las Grutas, bauen die Zelte auf und ich gehe noch zur nahegelegenen Playa. Der Atlantik hat Flut, das Wasser lässt wenig Platz für den Strand, an dem sich viele braune Körper sonnen und die Wellen des Meeres genießen. Über 25 Grad Wassertemperatur, vereinfachen mir das Hineinspringen in die Fluten. Im Wasser liegend, die Menschen am Strand beobachtend, die Sonnenstrahlen im Gesicht spürend, denke ich mir, dass jeder Tag auf dieser Reise immer auch einen, die Seele beglückenden, Moment geboten hat.

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25. Dezember 2013 – Mittwoch

Mein erster Weg heute führt mich wieder zur Tankstelle. Der Gastraum, der für Kunden eine wohlige Pausenumgebung bietet, öffnet leider erst in einer halben Stunde. Vor dem Laden komme ich nicht ins WiFi. Ich schlendere die eigentlich einzige Straße von Puerto Pirmides Richtung Strand. Der Wind bläst heute Morgen kühl, der Himmel ist bedeckt. Ich vermisse meine wärmende Jacke. Die liegt im Zelt. Endlich hat meine Tankstelle aufgemacht. Fabricio, der geschäftstüchtige Kaufmann, begrüßt mich wie einen Stammgast mit einem feliz navidad. Ich erfrage noch mal den inoffiziellen Tauschkurs. Ocho. Ich will diez. Wir einigen uns auf achtfünfzig. Ich handle noch einen Kaffee raus und zwei media luna. Das schlechte WiFi entschuldigt er und lässt mich über sein I-Phone mit seinem Password ins Internet. Man das geht mal richtig ab.

Mit Brot komme ich zu den Zelten zurück. Nach dem Weihnachtsfrühstück brechen Theo und ich zu einer Erkundungstour von der insula Valdez auf. Schotter führt uns 60 Kilometer zu einer Stelle, von der man Seelöwen beobachten kann. Der Hinkefuß, das Areal ist privat und wir sollen zunächst ein üppiges Mahl zu uns nehmen, um dann mit einem Guide die Meerestiere zu besuchen. Alternativ können wir nach weiteren 40 Kilometer diese Tiere ohne Schutzgebühr bewundern, teilt uns der hilfsbereite junge Mann am Restaurant mit. Auf dem Weg dahin führt die Piste einmal so nah an die Steilküste heran, dass ich anhalte, und die vielleicht 50 Meter zur ungesicherten 60 Meter steil abfallenden Küste geh. Unten liegen in beide Richtungen von mir hunderte der Seelöwen. Ihre Köpfe sind allesamt zum Land hin gerichtet. Sie kommen nur soweit aus dem Wasser, dass ihr Flossenende noch von der Brandung erreicht wird. Aus meiner Entfernung zu ihnen scheinen sie regungslos beieinanderzuliegen. Was veranlasst sie zu solch einem Verhalten, frage ich mich.

An dem für den Tourismus präparierten Seelöwenbesichtigungspunkt darf ich meine Motorradsachen beim Ranger ablegen. Befreit von der für Wanderungen ungeeigneten Motorradkleidung gehe ich den Lehrpfad entlang. Mittels Plakaten wird mir mitgeteilt, dass dieser Küstenabschnitt vor zehntausenden Jahren unter Meeresniveau lag. An der Steilküste kann ich die einzelnen Schichtungen mit unzähligen Einlagerungen ehemaliger Meeresbewohner erkennen. An die Seelöwen komme ich auf 50 Meter heran. Es wird darum gebeten den Pfad nicht zu verlassen, um die Seelöwen nicht zu stören, aber auch der eigenen Sicherheit wegen. Sollten sie mal ihre im Tonnenbereich liegende Masse in Bewegung setzen, ist man besser nicht in Reichweite. Vom Lehrpfad aus kann die Einfahrt in einen Naturhafen eingesehen werden. Diesen nutzte bereits Darwin auf seinen Entdeckerreisen. In der Ferne bemerke ich, wie mehrere Pinguine aus dem Meer an Land gehen. Drei von ihnen watscheln zielgerichtet ins Hinterland. Einer dreht in meine Richtung ab und beginnt zu meinem hoch über dem Meer gelegenen Aussichtspunkt aufzusteigen. Durch kurze Verschnaufpausen unterbrochen kommt er mir so nahe, dass wir uns fast mit Handschlag begrüßen könnten. Natürlich muss in so einer Situation wieder etwas nicht funktionieren. Der Acku meiner Leihkammara  ist leer. Auf dem Rückweg zum Rangerhaus sehe ich noch mehrere Schmuckeidechsen im gelb grün metallic Design, und Geckos in saharabeige, die sich bewegen müssen, sollte ich sie bemerken.

Roberto, der seit 23 Jahren der Chef der Station ist, lädt mich ein mich von seiner Assadoplatte zu bedienen. Er zeigt mir auf seiner Spiegelreflexkammara Bilder von einem Orka, den er heute Morgen beim Frühstücken eines Seelöwen erwischt hatte. Er selbst Stamme aus Rawson, die Stadt in der wir zuvor gecampt hatten. Er betreibt ganzjährig die Station. Jetzt im Sommer ist es sehr heiß, aber auch die Winter bleiben angenehm warm. Wir tauschen Mailadressen aus, er verspricht mir ein Orkafoto und eines mit ihm und mir vor der Africa Twin, wovon er auch mal eine besessen hatte, zu senden. Er packt noch eine vom Wind schon angefranste Argentinienfahne aus, die er mir schenkt.

Nochmal 70 nicht enden wollende Pistenkilometer fahre nach Piramides zurück. Abends beginnen Theo und Rainer mit dem grillen. Rainer holt seine Spiegelreflex und berichtet mir von einer Multikulti Veranstaltung an der Grillanlage. Deutscher Grill mittig, links von uns drei argentinische Familienväter die halbe Lämmer auf den Punkt bringe, rechts ein kolumbianisches Durcheinander von vielleicht zehn jungen Leuten. Jeder hat in einer Hand ein Gefäß mit etwas alkoholischem drin. Kolumbien favorisiert Rotwein mit Zucker und Eiswürfel in ausgehöhlter Melone. Von Argentinien muss ich Whisky Cola probieren. Unser anfänglich übersichtlicher Grillrost füllt sich mit Spenden von links und rechts. Gespräche aus einem Gemisch aus Englisch, Spanisch und Deutsch würzen den beeindruckenden Abend.

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24. Dezember 2013 – Dienstag

Ich freue mich nach der langen WiFi Abstinenz mal wieder skypen zu können. Nein, nicht der Campingplatz hat WiFi, ich muss zur Tankstelle gehen und komme dann mit dem Computer raus in die Welt. Ich gönne mir beim Kommunizieren einen Kaffee und einen media luna. Auf dem Rückweg kaufe ich Frühstück ein und nutze Rainers heißes Wasser für den zweiten Kaffee. Der Strand wird inspiziert.

Zum Abend stellen wir entsetzt fest, dass unser Metzger heute Abend wohl Heiligabend feiert. Bis auf Fleisch kaufen Rainer und ich alles fürs Festmahl ein. Er zweigt zum Campingplatz ab, ich laufe  ans andere Ende von Puerto Piramides in einen kleinen Supermercado. Anstatt mir eine Alternative zu meinem Fleischwunsch zu verkaufen, schickt er mich zu einem naheliegenden Lebensmittelladen. Um 18 Uhr mache er heute auf, so das Stück handgeschrieben Papiers hinter der Glaseingangstüre. Mas o menos tröstet mich ein Passant, der mir als Uhrzeit 18:05 anzeigt. Andere Kunden kommen, setzen sich auf den Boden vor dem Laden, oder gehen am Schaufenster des benachbarten Geschenkladens spionieren. Um 18:30 verliere ich die Geduld, laufe zum vorherigen Laden zurück. Ich finde in einer Gefriertruhe panierte Fleischlappen. Die müssen in Fett gebraten werden, so Rainers professionelles Urteil. Der Wind hat zugelegt. Hinter der Gestrüpphecke unserer Zelte ist es nahezu windstill. Mit zwei Kochern legen wir los. Nudeln mit panierten Fleischlappen heißt unser ehrgeiziges Ziel. In der Pfanne passt immer nur eins der sechs Fleischstücke hinein. Die gebratenen werden auf einem Teller liegend mit einem Topf vor Auskühlung und Sandkörnern geschützt. So richtige Festtagsstimmung will beim Essen nicht aufkommen.

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23. Dezember 2013 – Montag

Beim Zeltabbau sucht uns Juan Carlos auf. Er erkundigt sich nach unserem befinden und ob wir denn gestern Pescados bekommen hätten. Wir erzählen von dem guten Essen in der Pizzeria. Ich höre wie er mir etwas von einem regalo beizubringen versucht. Er entfernt sich in Richtung seiner kleinen Behausung. Wir haben im Schweiße unseres Angesichts aufgepackt, verdrücken die letzten Cerealien unseres Frühstückes, als Juan Carlos mit einer Tupperdose voll mit frisch entköpften Garnelen zurückkehrt. Theo ärgert sich beim Anblick der Schalentiere sein Frühstück zu früh eingenommen zu haben. Wir stopfen noch in uns hinein was geht. Ich bringe die restlichen zu ihm zurück. Dabei verabschiede ich mich von Juan Carlos, seinem Bruder und seinem Freund, die ich beim Matetrinken im Schatten der Wohnung antreffe.

Es wird heiß. Die Ruta 3 verläuft nach Puerto Madryn hin auf etwa 500 Meter über Meeresniveau. Während der Fahrt kühlt der Wind noch. Sobald wir stehenbleiben beginnt die Schweißproduktion. War doch gar nicht so schlimm mit dem kühleren Wetter denke ich mir.  Ich bin ja absolut kein Stadtmensch, aber wenn ich dann in eine hineinfahre, die Kontraste zwischen Meer, gepflegte Uferpromenade mit flanierenden Menschen, Einkaufsmeilen und Architektur erlebe, empfinde ich so etwas wie Schutz in einer Gemeinschaft in der weitläufigen überlebensschwierigen Pampa. Wir drehen ein paar ungeplante Ehrenrunden in Madryn, bevor in die  nach Puerto Piramides führende Straße einbiegen. Wir drücken die Nationalparkgebühr für ausländische Touristen in Höhe von 130 Pesos ab. Argentinier zahlen 15 Pesos. Als ich gelblich grünes Steppengras sich mit dem tiefen Blau des Atlantiks und dem wolkenlosen Himmel im Vorbeifahren wahrnehme, ziehe ich die Notbremse, drehe und genieße einen Augenblick. In Puerto Piramides landen wir auf einem Campingplatz. Die Sanitäranlagen sind neu, die Plätze naturbelassen, WiFi gibt es an der nahen Tankstelle. Auf den angelegten Grillstellen bereitet Rainer saftige Steaks und Fleischwürste, dazu gibt es Tomatensalat, alles veredelt mit ein wenig Sandkorn.

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22. Dezember 2013 – Sonntag

Ich wache in meinem  Etagenbett oben liegend auf. Ganz still ist es draußen. Einige Minuten vergehen bis die Räder eines Autos die groben Steine der Schotterstraße mit den dafür typischen Geräuschen verdichtet. Das unbefestigte von ein paar Bäumen und einem Grasstreifen am Zaun zum Nachbarn hin aufgelockerte Grundstück, auf dem auch unsere Motorräder stehen, ruht friedlich. Ich gehe eine Runde, blicke über die Mauer. Die gewaltige Staubwolke am gestrigen Abend hat sich komplett gelegt. Das Szenario, das ich bei der gestrigen Ankunft empfunden habe, relativiert sich. Vieles macht den Eindruck, dass sich hier die Stadt Comodoro ausdehnt, neuen Platz für zugewanderte Menschen schafft.

Rasch führt die Ruta 3 weg von der Küste rein ins Landesinnere. Auch heute wieder herrscht ungewohnt viel Verkehr. Die durchweg hochwertigen Autos mögen mich mit 120 Stundenkilometer überholen. Wolkenlos präsentiert sich der Himmel, es ist deutlich über 20 Grad warm. Trotz der Eintönigkeit der Pampa könnten mich einige Panoramen und Objekte zum Anhalten bewegen. Doch es sind knappe 400 Kilometer zu bewältigen. Nach dem Übernachtungsdesaster von gestern möchte ich heute etwas mehr Zeit für die Suche einer ansprechenden Herberge haben.

Rawson, ein kleines Küstenstädtchen, bietet uns einen Campingplatz. Für ungefähr fünf Euro gibt es eine dürre Anlage, in der die Parzellen mit pappelähnlichen, blätterlosen Buschbäumen eingeteilt sind. Aus der Dusche kommt warmes Wasser, der Himmel noch immer wolkenlos, T-Shirt Temperaturen. Schnell stehen die Zelte. Juan Carlos, Chef vom Campingplatz, empfiehlt uns einige Lokale und beschreibt den Weg zum Supermercado. Wir tingeln zur Beach. Das Traumwetter hat endlos viele Menschen an die Playa gelockt. Es wird sich gebräunt, Beachball gespielt, auf mehrsitzigen pedalangetriebenen Mobilen dem Strand entlang flaniert. Vor einer Woche noch habe ich morgens in Ushuaia Schneegegriesel erlebt und war über den beheizten Gemeinschaftsraum glücklich. Hier und jetzt hat der angenehme Sommer begonnen.

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21. Dezember 2013 – Samstag

Vor zehn Uhr verlassen wir Puerto San Julian. Die Pampa hat uns wieder. Der Wind bläst erträglich, der Himmel ist nahezu wolkenlos, die Fahrbahn von guter Qualität. Unsere Geschwindigkeit pendelt zwischen 90 und 100 Stundenkilometer. Wir werden oft überholt. Einige Fahrer grüßen uns durch doppeltes kurzes Hupen, andere Insassen richten ihr Smartphone durch das herabgelassene Fenster auf mich, freundlich verabschieden sie sich mit Händewinken und weichen langsam aus meinem Sichtfeld. Jeder scheint sich in der Einöde auf Abwechslung zu freuen. Beim ersten Stopp liegen bereits hundert Kilometer hinter uns. Danach noch mal das gleiche. Der Kartenausschnitt von Garmina zeigt mir, dass die von mir befahrene Ruta 3 mich bald an die Atlantikküste bringt. Rechts und links der Ruta sehe ich wieder Ölpumpen. Die behäbigen, unentwegten Bewegungen der Pumpenteile begeistern mich. Ich halte und nutze Rainers Ersatzkamera, die er mir anbot nach dem Desaster mit meinem Fotoapparat.

Achtung Kurven warnt das gelbe Verkehrszeichen. Ich fahre von dem topfebenen, um die 200 Meter hoch liegende Plateau hinunter. Der erste Blick auf den tiefblau erscheinenden Atlantik weckt mein Wahrnehmungsempfinden. Endlich wieder Kontraste. Das helle Blau des Himmels, die brauntöne der Felsplatten, auf denen sich die Wellen des Atlantiks mit einer spritzenden weißen Gicht brechen und die gelbblühenden Pflanzenkissen seitlich der  Fahrbahn. Das Auge gibt dem Gehirn Nahrung. Es darf wieder Arbeiten.

An einem Mirrador auf einen Strand hält ein Argentinier neben uns, fragt neugierig wo wir herkommen. Uns teilt er mit, dass der ungewohnt starke Verkehr durch das nahe Weihnachtsfest verursacht wird. Viele Argentinier, die in den südlichen Provinzen leben, stammen aus dem Norden. Die Weihnachtszeit in Verbindung mit den zweimonatigen Schulsommerferien gibt ihnen die Möglichkeit, Freunde und Verwandte zu besuchen.

Nach über 400 Kilometer erreichen wir Comodoro Rivadavia. Nach längerer vergeblicher Suche einer Unterkunft, frage ich in einem Motel das auch mit Cabanas wirbt nach. An der Wand hängen Bilder, die die Ausstattung der Herbergen darstellen. Mein Handelsversuch wird mit hundert Peso Nachlass honoriert. Die Adresse sei auf dem Stadtplan, den ich aus der Touristeninformation habe nicht verzeichnet. Einen Straßennahmen den ich ins Navi eingeben könnte gäbe es nicht. Doch der Cabanavermieter würde uns in fünfzehn mit seinem Auto dorthin führen. Wir warten länger als eine halbe Stunde in der spätnachmittaglichen Hitze bis ein rundum verbeulter Duster uns durch ganz Comodoro zurück führt. Von der vierspurigen durch Grünstreifen getrennten Hauptstraße biegt unser blausilberner Duster in einen unbefestigten Weg ab. Der vom regen Verkehr aufgewirbelte Staub, lässt den Boden vor dem Vorderrad schwerlich erkennen. Die schnellen Blicke in die Umgebung sehen Bimssteinwände, Wellblech, Plastikfolien, Stacheldrähte, bösartig bellende Hunde, Kinder die im Dreck mit einem Ball spielen. Der Duster hält. Ein eisernes Schiebetor wird für uns geöffnet, das den Weg auf einen mit einer Steinmauer, in deren oberste Mauerlage zerbrochene Glasscherben eingearbeitet wurden, freigibt. Von Stahlwinkel, die unter 45 Grad nach außen gerichtet an der Mauer befestigt sind, werden drei Reihen Stacheldraht getragen. Die Fotos von der Cabana, die ich bei den Mietverhandlungen sah, kann ich in der uns angebotenen Behausung  nur mit viel gutmütiger Fantasie zuordnen.

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20. Dezember 2013 – Freitag

Letzte Nacht hat der Wind lautstark an unserer Cabana gepfiffen. So laut, dass ich Angst vor einem Umfallen meines Motorrades bekam. Das Kantholz aus dem Torres del Paine Nationalpark, mit dem ich mein Motorrad zusätzlich abstützen konnte, hatte ich vergessen in Ushuaia wieder mit unter die Spanngurte meiner Hecktasche zu Spannen. Da ich eh spät dran war und das Kantholz eigentlich zehn Zentimeter zu lang war, somit über die Lenkerbreite hinausragte, ließ ich mich dazu hinreißen, es am Ende der Welt zu lassen. Bei den vielen Holzöfen würde schon jemand Verwendung dafür finden. Heute Nacht um 2:20 Uhr bereue ich meine Kurzsichtigkeit. Die Twin steht aber mit dem Seitenständer in ihrem Windschatten und ich hoffe, dass die Kraft des Windes nicht die robuste Aufnahme des Seitenständers überlastet. Es dauert lange bis ich nochmal Schlaf finde.

Wie am Morgen zuvor wecken mich neben den Windgeräuschen auch blendende Sonnenstrahlen. Die Twin steht noch. Skypen mit meinen Eltern, die ich in Deutschland mit den vier Stunden Zeitverschiebung meistens gegen 11:30 Uhr erreiche, heute von der benachbarten Tankstelle aus. Ich verabschiede mich von der Kassiererin und bedanke mich deren WiFi kostenlos genutzt zu haben. Ich gehe zur gleich gegenüber unserer Cabana liegenden Polizeikontrollstelle. Die Polizeibeamten bewachen rund um die Uhr, wer in die am Atlantik endende Stadt hinein und wieder hinausfährt. Fremde müssen sich ausweisen und das Kennzeichen ihrer Fahrzeuge wir aufgenommen. Wir Exoten mit unseren Motorrädern waren in den letzten zwei Tagen eine willkommene Abwechslung im monotonen Alltag der Polizisten. Ich frage nach ob wir bei unserer baldigen Abreise nochmals unseren Reisepass zeigen müssen. Den trage ich tief unter meinen vielen Schalen Kleidung. Ich kriege den dann nur mit viel Einsatz heraus gekramt. Er gibt mir zu verstehen, dass er uns zuordnen kann und wir direkt starten können.

Rainer ist nicht sicher ob die hohe Windstärke eine sichere Fahrt heute gewährleiste. Theo und ich fahren probehalber aus Puerto Santa Cruz auf das nahe Hochplateau um die Windverhältnisse dort zu prüfen. Nach einigen pro und contra Diskussionen entschließen wir zu starten. Wir erreichen Puerto Santa Cruz gegen 13 Uhr. Eigentlich zu früh zum Pausieren. Der Wind war aber unterwegs doch recht kräftezehrend und die nächstmögliche Übernachtungsmöglichkeit liegt 170 Kilometer von uns entfernt.

Bei der Unterkunftsuche fragen wir neuerdings zunächst in der Touristeninformation freie Cabanas und deren Preise nach. Ich erwische diesmal eine flippige knapp sechzigjährige die scheinbar auf Motorradkunden steht. Ich kriege sofort ein Stück selbstgebackenen Trockenkuchen angeboten, ein kopierter Stadtplan wird herausgeholt und eine Preisliste hiesiger Cabanavermieter landet auf dem Tisch. Sie greift zum Hörer. Mir wird ein Preis unterbreitet. Ich versuche mitleidig den Preis zu reduzieren. Aber keine Diskussion. Wir Jungs stimmen vor der Touristeninformation ab. Beim erneuten Kontakt reduziere ich den geforderten Preis geringfügig, doch mein schwarz- und langhaariges, dauergewelltes einmeterfünfundfünzig großes und vielleicht siebzig Kilo schweres Energiebündel lehnt ab. Sie tritt hinter ihrem Tresen hervor. Der Kuchen wird mundgerecht geschnitten und mir die Tupperdose in die Hand gedrückt. Sie greift nach ihrer Digicam, drückt diese ihrer englischsprachigen Untergebenen in die Hand schmeißt ihre Mähne mit einen Tief von unten eingeleiteten Hüftschwung in Position. In einer Glasscheibe überprüft sie ihr Outfit. Energisch gehen wir drei auf meine zwei Amigos zu. Theo und Rainer stelle ich vor. Beide kriegen Kuchen verabreicht. Sie klettert auf meine Africa Twin, die Kollegin muss knipsen. Dann noch ein Bild mit uns drei Motorradfahrern. Wir werden von der Cabanavermieterin abgeholt, womit die überschwängliche südamerikanische Einwickelstrategie ein abruptes Ende nimmt.

Ein Versuch meine liebgewonnene Kamera zu reparieren scheitert. Dies sei Richtung Norden fahrend erst im über dreihundert Kilometer entfernten Comodoro Rivadavia wahrscheinlich. Schade. So gibt es für euch maximal Handybilder.

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19. Dezember 2013 – Donnerstag

Durch das Fenster der Cabana scheinen Sonnenstrahlen. Keine Wolke verdeckt den azurblauen Himmel. Es ist schon fast beängstigend windstill. Heute soll gewaschen werden, an Rainers Motorrad muss der Gabelsimmerring getauscht werden und ich darf an der benachbarten Tankstelle mein Motorrad waschen. Das wollte ich eigentlich nicht während der Reise tun, aber die Fährüberfahrt von Feuerland auf das Festland, hatte viel Salzwasser auf unsere Gefährte verteilt. Das aggressive Salz soll runter von der Twin. Mit im Supermercado gekauftem Schwamm, einem Eimer heißen Wassers aus unserer Cabana geht’s zur Tanke. Bald hole ich einen zweiten Eimer. Es ist bereits weit nach Mittag, als ich mit sauberer Twin und Utensilien zur Cabana zurückkehre.

Auch Rainers Motorrad ist wieder Einsatzbereit. Wir begeben uns auf die Fahrt zu einer naheliegenden Pinguin Kolonie. Die Straße endet an einer Marineeinrichtung mit einem Schlagbaum. Ein Wachmann kommt auf mich zu. Ich erkläre ihm, dass wir Pinguine beobachten wollen. Er nickt zustimmend, nimmt unsere Personalien und die Kennzeichen der Motorräder auf und erklärt uns den Weg. Wir gehen vielleicht 30 Minuten bis wir die kleine Kolonie sehen. Ich vermisse hektisches lautes Geschnatter der vielleicht 50 Zentimeter großen Spezie. Die Brandung des Atlantiks übertönt die anderen Umweltgeräusche. Schätzungsweise gruppieren sich immer zwischen fünfzig und hundert Pinguine zu einer Gemeinschaft. Sie stehen eng beieinander auf einer kreisrunden Fläche. Mal setzt sich einer hin, ein anderer beugt sich vor. Meistens werden aber nur die Köpfe ruckartig gedreht. Eine Gruppe steht nahe am Wasser. Einer wagt es sich von seinen Kumpeln zu entfernen. Er scheint in die Fluten springen zu wollen. Blick zum Atlantik, einige beugende Verrenkungen, dann noch mal schauen wie die anderen sein Vorhaben bewerten. Doch noch mal ein paar Watschelschritte zurück. Es scheint als hätte jeder einzelne von ihnen schon persönliche Bedürfnisse, die aber ohne Zustimmung der anderen nicht in die Tat umgesetzt werden. Ich habe mich langsam recht nah an sie herangeschlichen und sitze in Hocke um sie zu fotografieren. Sie beobachten auch mich und scheinen zu Überlegen, ab welcher Distanz sie mich als Gefahr erkennen und fliehen müssen. Nach vielen Fotos, die sich nur durch die unterschiedlichen Zoomeinstellung und Kopfdrehungen der Pinguine unterscheiden entferne ich mich langsam, so dass sie mit einer Sorge weniger wieder Gruppenpflege betreiben können.

Der Wind bläst wieder kräftiger. Für ein Selbstauslöserbild richte ich die Kamera bodennah auf einem Stein aus. Dabei treffen Sandkörner auf das Objektiv. Einige müssen sich in der Optik eingenistet haben. Leider kann ich das Problem auch nicht in der reinlichen Umgebung der Cabana lösen.

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18. Dezember 2013 – Mittwoch

Eine Stadtrundfahrt auf der Suche nach einer Wechselstube bringt uns heute Morgen auf Trab. Unser Cabanavermieter nannte mir die Straße in der sich Banken und Wechselstuben befinden sollten. Theo navigiert uns dahin. Mehrere Straßensperrungen vereinfachen das Auffinden der Cambios nicht. Was ist noch ätzender als das suchen eines Computerkabels in der südlichsten Stadt der Welt. Das Suchen einer Wechselstube mit drei Motorrädern in Rio Gallegos. Glücklicherweise finden wir einen Parkplatz, auf dem unsere Motorräder alle unterkommen. Ich warte, Rainer und Theo versuchen unsere dahin geschmolzenen Geldreserven aufzustocken. Ich passe auf unsere Motorräder auf. Mir gegenüber ist ein stark frequentiertes öffentliches Amt. Eine Seniora möchte  wohl auch dorthin, sieht mich am Straßenrand auf meine Freunde warten. Sie ist neugierig. Woher ich komme, Wohin ich unterwegs sei, wie lange ich unterwegs sei, will sie wissen. Mit meinem immer noch kümmerlichen Spanisch, aber Alberto sei Dank für seine unermüdliche Geduld,  kann ich ihren Informationsbedarf soweit stillen, dass ich mit einem suerte und einem Wangenkuss  verabschiedet werde. Ich halte unverschämter Weise auch die andere Wange hin, die wird auch noch gerne abgebützt.

Der Wind hat sich gelegt. Ohne großartige Pause ziehen wir in drei Etappen bis Puerto Santa Cruz. In einer hochwertigen Cabana finden wir für zwei Nächte Unterschlupf.

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17. Dezember 2013 – Dienstag

Der Motor ist noch nicht warmgelaufen, da schalte ich mein Motorrad an der heutigen ersten Grenzstation wieder ab. Die Ausreise aus Argentinien ist schnell abgehandelt. Einige Kilometer weiter muss die Twin wieder in Chile deklariert werden. Dann stehen endlose, üble Pistenkilometer mit kräftezehrendem Wind auf dem Programm. Wenigstens regnet es nicht. Die Kälte kriecht durch die Winddichte Regenkombi an meinen Körper. Ich kann nur schwerlich das Motorrad sicher in der Spur halten. Das Umfahren von groben Bodenunebenheiten fällt mir schwer. Ein Lastwagen kommt mir entgegen. Die Staubfahne zieht zu meiner Fahrbahnseite rüber. Wir kommen uns näher. Ich wechsle die Spur, fahre soweit wie möglich nach rechts, noch weiter rechts führt eine kleine Böschung direkt ins Weideland. Mit dem aneinander Vorbeifahren bringt mich zunächst seine Druckwelle ins Straucheln. Fast zeitgleich spüre ich, wie eine Ladung Staub gespickt mit feinen Steinchen, an der Motorradbrille vorbei mein Gesicht peelt. Für einen Augenblick ist die Sichtweite kleiner einem Meter. Geschafft. Weiter geht der läppische Kampf mit dem Wind.

Wir machen eine Pause. Theo entdeckt sofort das Schutzhäuschen, indem er seine Zigarette entzünden kann. Beim Versuch eine Panoramaaufnahme zu machen, bricht der Fotoapparat mehrmals ab, weil mir eine harmonische Schwenkbewegung nicht gelingt. Vielleicht Zwei Kilometer nach der Pause weicht der Schotterpiste einer Betonstraße. Mit einer Störgröße weniger lässt es sich gleich flotter vorankommen. Doch bevor die Fähre uns von Feuerland aufs Festland bringt wechselt die Betonstraße nochmals in Schotterpiste.

Fähre fahren. Das hatten wir zuletzt schon. Heute geht es nur darum eine kurze Meerenge zu überwinden. Doch die See ist rau. Der Kapitän muss mit seinen Motoren die Auffahrrampe in Position halten, damit die Motorräder, die Personenwagen, die Lastwagen und die Omnibusse in den Fährenrumpf einfahren können. Die Fähre schwankt ordentlich. Ich verlasse nur kurz mein Motorrad, um ein Foto vom Passagierdeck aus zu machen. Unruhe, dass die ungesicherte Twin durch den Seegang umfallen könnte, lässt mich für den Rest der Überfahrt auf ihr sitzend verbringen. Häufig schwappt die vom Schiff erzeugte Gicht über die Bordwände. Zunächst bleiben wir von dem Salzwasser verschont. Doch beinahe das andere Ufer schon erreicht bläst der Wind viel fein zerstäubtes Salzwasser auf uns und unsere Motorräder.

An der heutigen zweiten Grenzstation in Monte Aymond tut sich der Zöllner schwer mit dem Einreisedokument für das Motorrad. Rainer hat schon längere Zeit eine der vier Schalter besetzt. Theo und ich versuchen es an einem anderen Schalter. Unser Zöllner scheint mit unserem Anliegen überfordert. Die Dienststellenleiterin erfragt nochmals unsere Nationalität und unser Zielland. Anschließend vermittelt uns, unser Zöllner zu seiner Kollegin, die mittlerweile Rainers Auftrag erledigt hat. Wir werden der langen Warteschlange vor dem Schalter der Zöllnerin vorgezogen. Unser Zöllner arbeitet die Standardkundschaft ab. Unsere Abfertigung dauert noch zehn Minuten.

In Rio Gallegos finden wir rasch eine akzeptable Cabana. Geschlaucht von den Anstrengungen des Tages freue ich mich auf eine geruhsame Nacht.

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16. Dezember 2013 – Montag

Ich hänge mein Netbook an die Multisteckdose, die auch meinen europäischen Zweipinstecker aufnehmen kann. Fernando hatte beobachtet, wie ich dafür ein über Nacht geladenes Tablett auszog. Er kommt mit einer Steckleiste, um beide Geräte ans Stromnetz anzuschließen. Die dickeren Pinne meines Steckers drückt er mit hohem Kraftaufwand in die Steckleiste. Ihm kam der Kraftaufwand wohl auch untypisch hoch vor, prüfend zieht er den Stecker wieder heraus. Oh Schreck, am Stecker ist nur noch ein Pin.

Nach dem Frühstück fange ich mit dem Abbau der Campingausrüstung an. Das wird niemals eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Es ist trocken und annähernd windstill. Das Chaos an Gepäck, das ich im Zelt lagere, versuche ich auf die kleinen Sitzbänke und den Tisch direkt in meiner Nähe geordnet unterzubringen. Schlafsack zum Lüften auf das Motorrad legen, Thermarest Unterlage zusammenrollen, Schlafsack komprimieren, Zeltheringe herausziehen und, und, und. Gegen viertel nach zwölf verabschiede ich mich von Vito und Michael, die meine Packkünste beobachtet haben. Ich fahre rein in die City von Ushuaia, um mein Steckerproblem zu lösen. Parkplatzsuche in Geschäftsnähe. Helm abziehen, absteigen, defektes Kabel aus dem Tankrucksack nehmen, nachfragen. Beim vierten Stopp nimmt die hübsche Seniora das passende Kabel aus einer Schublade, testet die Passgenauigkeit am Adapterteil des Netbooks.

Froh darüber weiter mein Netbook verwenden zu können, starte ich exakt um dreizehn Uhr die geplante Etappe nach San Sabastian. Bei meinen Aktivitäten In Ushuaia habe ich noch geschwitzt, jetzt nach mehr als fünfzig Kilometer kriescht die Kälte mir wieder unter die Motorradsachen. Ich krame meine Dreifingerhandschuhe aus dem Topcase, drehe den Regler der Griffheizung höher. Wolkenreise könnte man den heutigen Streckenabschnitt taufen. In der weit einsichtigen Landschaft beobachte ich tiefgraue, fast die Erde berührende, schwere Wolken, die sich in der Ferne entleeren. Der Mond hat den Atlantik zu sich gezogen. Weite Wattflächen haben sich gebildet. Die wärmenden Sonnenstrahlen bilden Nebelschwaden. Doch ein bisschen mystisch hier auf Feuerland.. Eine der dunklen Wolken hat die Straße vor mir getroffen. Auch hier erzeugt die Wärme der Sonne Dampfschwaden.

Im einzigen Motel von San Sebastian genieße ich die reinlichen Verhältnisse, dusche ausgedehnt heiß. Beim Abendessen gesellen sich Rosi und Alfred zu uns. Die beiden Deutschen kommen aus dem Norden Argentiniens und wollen Morgen Ushuaia erreichen. Sie haben auch die Verschiffung über die Villa Kunterbunt abgewickelt, sie haben ein Zeitfenster von sechs Monaten. Wir tausche Erfahrungen aus, kriegen Ratschläge für unsere weitere Reiserute, geben Empfehlungen für deren Weiterreise.

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15. Dezember 2013 – Sonntag

Die ganze Nacht hat es geregnet. Dank des Tarps, worunter ich mein Zelt aufgebaut habe, sind die Zeltwände nahezu trocken geblieben. Schneeflocken erreichen den Boden, bleiben aber, Gott sei Dank, nicht liegen. Heute Morgen gibt es kein Wasser. Ich sitze gegen 7:15 Uhr im lauwarmen Gemeinschaftsraum, beschäftige mich mit dem Computer. Gegen neun hat Fernando das Wasserproblem gelöst. Ich Dusche heiß. Dann folgt ein ausgedehntes Frühstück. Wir entschließen uns heute noch in Ushuaia zu verweilen. Nachmittags klart das Wetter auf. In Daunenjacke sonne ich mich im Faltcampingstuhl. Michael, der Schweizer, ihm war gestern Abend beim Bilderanschauen vom Nationalpark ebenfalls aufgefallen, dass die Worte „fin del mundo“ auf meinem Zielfoto fehlen. Das beliebte Schild stehe unten im Ort in Hafennähe. Bei meiner kleinen Stadtrundfahrt finde ich es. Nach dem Abendessen gehe ich mit Vito, dem Zehnjahresreisenden, den hinter unserem Campingplatz verlaufenden Wanderweg. Leider verliert das Licht schnell an Intensität. Meine Fotos wirken eher fade. Aus dem Gemeinschaftsraum beobachten wir die Abendröte.

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14. Dezember 2013 – Samstag

Die erste Zeltnacht ist überstanden. Ich war mit Faserpelzeinteiler in den Schlafsack gekrochen und habe bis gegen fünf Uhr gut geschlafen. Nach zweimaligem einschlummern stehe ich gegen acht Uhr auf. Der Besuch des Sanitärraumes kostet einige Überwindung, aber angenehm heißes Wasser stellt die ihre Funktion erfüllende Dusche zur Verfügung. Den Bart lassen wir dann mal wachsen. Dann passt das Outfit auch besser in die Umgebung. Ich genieße einen herrlich ruhigen Blick auf die Dächer  von Ushuaia. Auf dem naturbelassenen Campingplatz beobachte ich ein kleines Greifvogelpaar, das vielleicht zehn Meter von mir entfernt die Wiese nach Verwertbarem absucht. Die frei laufenden Pferde haben sich bis an die Zelte herangewagt, bevor der Hund des Hauses zusammen mir Fernando, dem Campingplatzchef, auf einem Quad sitzend sie wieder den Wiesenhang hinauftreiben.

Nach Mittag fahren wir in den Parque Nationale Tierra del Fuego. In diesem endet die Ruta 3 und beherbergt das Schild, welches das Ende der Welt, fin del mundo, manifestiert. Eintritt zahlen. Ich genieße jeden Meter, tuckere mit 30 Stundenkilometer die Piste entlang, nehme jeden Mirrador mit. Als erstes erreiche ich einen Landungssteg am Beagel Kanal. Eine Hinweistafel beschreibt die zu sehenden Inseln und den Grenzverlauf zwischen Argentinien und Chile. Weiterfahrend ist rechts und links der Piste undurchdringlicher Urwald. Die Baumstämme sind mit Moosen bewachsen, immer wieder sind Fingerkuppen große orangerot leuchtende Pilze an den Baumstämmen zu sehen. Braungrüne mit abgestorbenen Bäumen bespickte Sumpflandschaften tauchen auf, in denen wilde Gänse eine Heimat gefunden haben. Am Lago Roca versuchen drei Jugendliche sich mit einem fast zahmen Fuchs zu fotografieren. Den möchte ich auch gerne knipsen. Wie so oft hat sich das Objekt der Begierde aus dem Staub gemacht, bevor ich die Kamera zur Hand habe. Die Seenlandschaft mit den zahlreich blühenden Pusteblumen und den schneebedeckten Bergen ringsum bilden ein kleines Idyll. Ich vermisse die Aufschrift fin del mundo auf der Hinweistafel jenseits der Parkplatzabsperrung. Wir mogeln uns mit den Motorrädern durch die Absperrung, positionieren die Motorräder akribisch neben dem Hinweiser, um das Beweisfoto des ersten Zieles der ersten Reisehälfte zu machen.

Ich gehe noch die mit Holzstegen befestigte vielleicht 500 Meter lange Runde, die einen freien Blick auf Seitenarm des Beagelkanals zulässt. Der Himmel ist aufgeklart die Wasseroberfläche leicht gewellt. Mir gehen Gedanken durch den Kopf, die die vergangen vier Wochen passieren lassen. 5460 Kilometer auf Straßen und Pisten liegen hinter mir. Dem anfänglich frühsommerlichen Wetter folgten rasch kühlere Temperaturen. Einen Regentag verbrachten wir kräftesammelnd in Chaiten, an der Carretera Austral. Schöne Einblicke in die wenig vom Menschen gestaltete, schwer zugängliche Region Chiles konnte ich aufnehmen.  Den Gegensatz zwischen dem saftigen Grün Chiles und dem Wüstencharakter der der argentinischen Pampa, mit ihren kräftigen Winden. Mit vielen Menschen die sich die gleiche Aufgabe gestellt haben, aber sie unterschiedlich lösen, als Backpacker , Radfahrer, Auto- oder Motorradreisender habe ich gesprochen, alle sind Individualisten, die viele Strapazen auf sich nehmen, um diesen Erdteil kennenzulernen.

Ein Ziel ist erreicht. Ein bisschen Stolz empfinde ich, diesen Wendepunkt erreicht zu haben, viel Spannung ist in mir, wenn ich an die zukünftigen Kilometer denke. Ich wünsche uns eine weitere unfallfreie Fahrt, mit hoffentlich nur lösbaren Störungen.

Erst kurz vor halb acht kehre ich aus dem Park zurück. Vito der Zehnjahresreisende hat uns heute Abend zum fantastisch schmeckenden polnischen Gullarch eingeladen. Danach gibt es eine Art Wendepunktfete. Vito bringt eine Gitarre mit in den wieder mollig warmen Gruppenraum. Birgit, die österreichische Malkünstlerin offenbart ein weiteres Talent. Aus dem Internet zieht sie sich ihr bekannte Texte und Note, spielt auf Vitos Gitarre und singt phänomenal gut.

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13. Dezember 2013 – Freitag

In der Nacht werde ich von Stimmengeflüster geweckt. Wei, mein kanadischer Freund und Zimmergenosse, flüstert mit einer Gestalt die neben seinem Bett steht. Ich verstehe nur einzelne Worte. Policia und Rezeptione sind darunter. Nach vielleicht zehn Minuten ist der Spuk vorrüber, der Eindringling verlässt unser Zimmer. Morgens erklärt mir Wei, dass der junge Mann verfolgt wurde und sich bei uns versteckte bis die Polizei kam.

Gegen sechs Uhr stehen wir beide auf, packen und Frühstücken kurz etwas Brot mit Käse, trinken dazu Wasser. Wei hatte im Wetterbericht erfahren, dass es ab elf Uhr in Ushuaia regnen soll. Wir versuchen also die 240 Kilometer vorher zu schaffen. Wir geben das gleiche Hostal als Ziel ins Navi ein. Ich habe seit zwei Tagen nichts von Rainer und Theo gehört, nehme aber an, dass sie bereits in Ushuaia eingetroffen sind. Falls ich sie dort nicht finden sollte, würde ich versuchen auch in diesem Hostal eine Übernachtung zu machen.

Wei gibt seiner 800 GS die Sporen. Er fährt deutlich über 100 Stundenkilometer. An einer Baustelle hole ich ihn ein. Er hatte meine langsamere Gangart bemerkt und erkundigt sich ob bei mir alles in Ordnung sei. Ich sehe unseren Abstand auf der endlos einsichtigen Ruta drei immer grösser werden, bis mir die Straße wieder selbst gehört. Der Himmel ist bedeckter als gestern, doch häufig sehe ich noch die Sonne. Der Wind ist deutlich spürbar, aber nicht beängstigend. Landschaftlich herrscht karges, hügeliges Wiesenland vor. Meine Geschwindigkeit pendelt sich wieder auf um die 90 Stundenkilometer ein, meine Augen suchen nach Motiven, die die SD Karte des Fotoapparates füllen könnten. Weiter nach Osten vorankommend lebt Feuerland auf. Am Lago Fagnano sind mehrere Mirradore angelegt, an denen die erdgeschichtliche Entstehung Feuerlands beschrieben wird und wie die Menschen hier lebten. Dann folgt ein 500 Meter hoher Pass südlich des Lago Escondido. Ich nutze den erhabenen Standpunkt für letzte Fotos bevor ich nach Ushuaia erreiche.

Langsam tuckere ich durch die südlichste Stadt der Erde, rechts und links Ausschau haltend nach den Motorrädern von Rainer und Theo. Die knapp 60000 Einwohner zählende Stadt scheint mir doch recht unübersichtlich. Ich erreiche das in Garmina gespeicherte Hostal. Dort steht die BMW von Wei vor einer Garageneinfahrt. Für mich wäre nur noch ein privates Hostalzimmer zu einem üppigen Preis verfügbar. Ich darf mich aber dem WiFi bedienen. Theo gibt mir umgehend seinen Standort per Whatsapp durch. Die Hostalmanagerin erklärt mir den Weg zum Campingplatz. Insgeheim hoffe ich, dass die beiden dort eine feste Unterkunft bezogen haben. Theo erwartet mich am Eingang. Sicher schlafen wir im Zelt, höre ich aus seinem Mund. Noch immer es nicht glauben wollend fahre ich zwanzig Meter weiter. Direkt am Wegesrand geparkt stehen die Motorräder, gleich dahinter die Zelte.

Um jede Sache, die ich aufwändig in dem arg eingeschränkten Platzangebot verstaut habe und auch benötige, bin ich froh. Also ran an die Arbeit. Gefühlte zwei Stunden brauche ich bis alles steht und fürs Schlafen vorbereitet ist. Ich drehe noch eine Runde durch die Stadt, kaufe noch etwas Abendessen ein. In einer Gemeinschaftsküche werden Nudeln mit Tomatensoße und Hackfleischboulette angerichtet. Ich lerne Vito, ein ehemaliger Überlandbusunternehmer polnischer Herkunft, in Aachen ehemals beheimatet kennen. Sein Zeitfenster sind erst einmal zehn Jahre. Der knapp fünfzig jährige hat all sein Hab und Gut verflüssigt und ist seit zwei Monaten von Monte Video mit seinem Wohnmobil unterwegs. Am Tisch neben uns speisen Birgit und Michael. Sie tingeln alles im Rucksack mitführend ein Jahr durch Südamerika. Bis spät in die Nacht sitzen wir mit reichlich Vino tinto im Herbergsraum des Campingplatzes in wohlig warmer Atmosphäre. Für mich war das einer der gemütlichsten Abende der gesamten Tour.

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12. Dezember 2013 – Donnertag

In 50 Meter rechts, dann Fähre fahren. Das ist meine persönliche Lieblingsansage meines Navigationssystems. Sie hat für mich etwas Aufregendes an sich. Das Befahren der Fähre über die Stahlrampen, die dumpf klingenden Poltergeräusche, die vom gesamten Bootskörper lautstark reflektiert werden, das sichern des Motorrades mithilfe von Spanngurten und den Fährarbeitern. Die Überfahrt stellte eine Pause vom aktiven Motorradfahren dar. Ich habe Zeit Fotos zu machen, die vom Bootrumpf erzeugte weiße Gicht zu beobachten, die wärmenden Sonnenstrahlen zu genießen. Von Punta Arenas nach Porvenir heißt meine heute zu nutzende Fährverbindung. Neben mir befestigt Yohann sein Fahrrad. Die Radfahrer sind für mich die wahren Helden. Die vielen Pistenkilometer auf den schmalen Reifen, die häufigen Steigungen und vor allem der zermürbende Sturm und alles mit Muskelkraft, ganz schön taff. Kurz nach neun legen wir ab, zweieinhalb Stunden dauert die Fahrt. Yohann hat erfahren, dass auf dieser Überfahrt häufig Delphine in Bootsnähe zu sehen sein sollen. Bewaffnet mit einen Riesentele auf seiner Speigelreflexkamera begibt er sich auf das Oberdeck und verharrt dort die gesamte Fahrzeit. Mir wird es nach einer halben Stunde zu kalt draußen. Ich verschwinde in das kuschelig Innere des Schiffes, schreibe am Tagebuch, beobachte die Menschen. Lange vor dem Einlaufen in Porvenier  suche ich auch nochmal die Wasseroberfläche nach Delphinen, Walen und Pinguinen ab. Erst im Hafenbecken sehe ich dreimal Pinguine die für einen Augenblick aus dem Wasser springen, um anschließend wieder unter der Wasseroberfläche zu verschwinden.

Der Himmel zeigt viel blaue Atmosphäre, dazu weiße Wolken, die Landschaft wird von den Sonnenstrahlen verwöhnt. Feuerland, fin el mundo, ich erwarte eine mystische, dunkle, menschenfeingliche Umgebung. Die grellen Farben, mit denen die Menschen hier Häuser, Lagerhallen, Schiffe und andere von ihnen genutzte Dinge streichen, drücken Lebensfreude und Liebe zu ihrem Land aus. Eigentlich rechnete ich mit einer zügigen Fahrt, doch Porvenier lässt mich oft anhalten  um Eindrücke aufzunehmen. Garmina lotst mich auf die Y635, eine Piste mit Feldwegcharakter. Yohann hatte mich bei einer Pause mit seinem Fahrrad schon kurz nach dem Hafen überholt. Er hat vielleicht eine halbe Stunde Vorsprung. Man tritt der rein denke ich bei mir. Vor mir sichert ein Pickup den Viehtrieb einer Schafherde ab. Natürlich muss das aufs Foto. Ich erzähle der Seniora, dass meine Frau in Alemannia auch 70 Schafe hat. Vor mir sei eine Herde von 1500 Schafen. Ich könne mich langsam durch die Herde schlängeln, also rein ins Abenteuer. Die Schafe empfinde ich als wesentlich chaotischer als die Rinder, die ich im Torres del Paine Park überholen musste. Sie laufen unberechenbar mal vom Motorrad weg, dann doch wieder zurück. Mehrmals muss ich abbremsen und ausweichen. Doch alle Schafe überstehen meinen Überholvorgang ohne Blessuren.

Die Piste fährt sich gut, der Wind bläst von hinten. An einer Informationstafel lerne ich, dass hier einst nach Gold geschürft wurde. Der Gewinnungsvorgang ist bildlich dargestellt. Die werden wohl alles schon mitgenommen haben, denke ich mir. Ich biege links auf die Y71 ab. Die Piste ist breit, die Oberfläche asphaltähnlich. Den Motor halte ich auf um die 4000 Touren. Mit um die 80 Sachen fahre ich etwa alle fünf bis zehn Kilometer an einer Estancia Zufahrt vorbei. Eine lange gerade Piste führt in Grundstück hinein, Gebäude sind von der Piste aus, auf der ich fahre, selten zu sehen. Die Strecke bis zur chilenisch argentinischen Grenzstadt San Sebastian zieht sich, durch leicht hügeliges Steppenlandland manchmal mit bodennahem Buschbewuchs. Rechts von mir auf dem Grund einer Estancia herrscht  ungewöhnliche Regsamkeit. Mehrere Pickups verteilen sich auf den kargen Weidenflächen. Ich sehe wie signalrote Kabel verlegt werden. Mir kommen einige Sattelzüge mit durch Planen blick- und schmutzdicht verpackter Ladung vorsichtig  fahrend entgegen. In der Entfernung erkenne ich geländegängige Bohrfahrzeuge.

Ich erreiche die Grenzstation. Motorrad abstellen, rein in die betriebssame Office. Meinen Helm lege ich auf einen Tisch ab, warte auf die Abfertigung. Zunächst die policia, die mich als Person abhandelt. Dann zum aduana zwecks Einfuhr der Twin. Im Hintergrund beschallt ein Radio die gesamte Station lautstark. Mein Sachbearbeiter etwas zottelig anzuschauen, zeigt seine musikalischen Gene, durch rytmisches Finger- und Fußtrommeln. Er blättert in dem Internationalen Fahrzeugschein und füttert seinen Computer mit der Tastatur. Ein im Hintergrund wandelnder älterer Zollbeamter beobachtet seine Kollegen. Als er nahe dem Radio gelangt, reduziert er die Lautstärke auf ein angenehmes Niveau. Ich greife zu meinem Helm. Ein zweiter Helm liegt daneben. Mein Blick schweift durch die Menschenmenge. Ich stelle mich dem jungen Mann, der offensichtlich eine asiatische Abstammung hat, vor. Er ist Anfang August in seiner Heimatstadt Ontario gestartet und seitdem fast 30000Kilometer mit seiner GS 800 gefahren. Ich starte die Twin und nehme die letzten 80 Kilometer mit starkem Wind in Angriff. Bald blicke ich auf den Atlantik. Ich sehe entfernt Ölpumpen mit riesigen Sammeltanks. Erdöl wird wohl auch der Grund der Betriebsamkeit an der Estancia gewesen sein. In Rio Grande treffe ich meinen Motorradkollegen vom Grenzübertritt vor einem Hostal wieder. Wir werden beide in ein Dreibettzimmer einquartiert, kaufen gemeinsam für Morgen Vorräte im Supermarkt ein und gönnen uns eine riesige Pizza mit einem leckeren Bier.

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