11. Dezember 2013 – Mittwoch

Mario prophezeite mir gestern Abend, dass der Sturm anhalten werde und die geplante siebenstündige Wanderung auf der Nordseite des Torres del Paine nicht ratsam sei. Also bepacke ich die Africa Twin. Mario lässt sich noch zu einem  Abschiedsfoto überreden. Der  Sturm hat sich in einen erträglichen Wind gewandelt. Ohne Fotopausen komme ich auch auf der Piste zügig voran. Gegen Mittag erreiche ich Puerto Natales, fülle die Tanks auf, prüfe den Reifendruck.

Bald ändert sich die Landschaft. Beidseitig der meist schnurgeraden Asphaltstraße sehe ich steppenartiges Gelände. Die seltener werdenden Baumgruppen sind vom offensichtlich ständig aus der gleichen Richtung kommenden Windes gezeichnet. Mir ist der Wind im Nacken. Nur bei den seltenen Fotopausen merke ich, dass er doch noch da ist. Das Navi zeigt mir noch 120 Kilometer bis Punta Arena an. Die Fahrtrichtung zeigt nun gen Süden, das bedeutet der Wind bläst jetzt von rechts, ist aber locker zu ertragen. Gegen 16 Uhr 30 erreiche ich Punta Arenas. Theo hatte mir seinen Übernachtungspunkt per WhatsApp zukommen lassen. Da ich ohne WiFi Netz diese Daten nicht nutzen kann, starte ich die wenig geliebte Unterkunftsuche. Das erste Hostal erscheint mir zu teuer, die Seniora lässt nicht mit sich Handeln. Wieder aufsitzen Naviunterkünfte laden losfahren. Das zweite Hostal nennt mir den gleichen Preis, keine Verhandlung. Der Senor gibt mir eine Informationsprospekt von einer Unterkunft für Backpackers, gleich die Ecke herum. Eine ältere Senora mit ihrem Enkel auf den Arm bestätigt mir den guten Preis. Das Motorrad soll beim gegenüberliegenden Nachbarn geparkt werden, das Frühstück bestehe aus Kaffee, Brot und Belag sei selbst zu beschaffen, WiFi sei Ehrensache. Meine Euphorie sinkt. Dann zeigt sie mir die maximal dreimal drei Meter großen Räume in denen je zwei Etagenbetten stehen. Ich verabschiede mich höflich. Kurz vor sechs beziehe ich ein Hostalzimmer. Um fast ein Drittel heruntergehandelt, genieße ich ein Bett zum Schlafen, eines als Ablage und ein privates Badezimmer, nicht viel größer als die Nasszelle eines Wohnwagens. Ich schaffe es noch Geld zu tauschen, Kleinigkeiten im Supermarkt mit weihnachtlich musikalischer Untermalung einzukaufen, den Abfahrtort der Fähe zu besichtigen bevor ich in einem Schnellrestaurant das schlechteste Essen der Reise nur teilweise aufnehme.

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10. Dezember 2013 – Dienstag

Um 2:20 Uhr werde ich von den heulenden Geräuschen durch einen aufgezogenen Sturm  geweckt. Ich sorge mich um die Africa Twin, die nur auf dem Seitenständer neben der Hauswand abgestellt ist. Die patagonischen Winde sollen gar Touristenbusse umgeworfen haben. Diese Vorstellung lässt mich aufstehen, mich anziehen, mit einer Taschenlampe durch die, Gott sei Dank, menschenleere Rezeption rund um die Hostelaria laufen. Sie steht noch. Ich rangschiere den Brocken näher an die Hauswand, die dem Motorrad Windschutz bietet. Wenn mir nicht zum Schnattern kalt wäre, würde ich mir den faszinierenden Sternenhimmel gerne noch etwas länger anschauen.

Heute  sollte ein Wandertag werden. Mario, der Hostelaridirektor, hat, nachdem ich den Reservierungsauftrag durch Christian und die vergebliche Suche nach seiner Hostelaria in Calafate erklärt hatte, sich fürsorglich um mich gekümmert. Er empfahl mir bereits an meinem Ankunftsabend, einige Attraktionen in der Umgebung und nannte mir den Zeitaufwand. Da das Programm eher nach einer Halbtagestour aussieht und der Sturm sich nicht beruhigt hat, tummle ich mich in meiner Nobelunterkunft. Etwas Wäsche waschen, Reisetagebuch schreiben und Bilder auswerten. So starte ich erst gegen elf Uhr dreißig. Mit Wanderschuhen, Outdoorhose und Daunenjacke gekleidet. Darüber die Regenkombi, der Wärme und des Schmutzschutzes wegen. Mit dem austreten aus dem Gebäude beginnt der Kampf mit dem Wind. Ein mulmiges Gefühl will mich zurück mein sichers Zimmer locken. Ich tuckere los. Nein der zweite Gang ist mir zu schnell. Unaufhaltsam wirken unterschiedlich starke Böen auf mich und die AT ein. Mit dem losen Untergrund der Piste gelingt mir kein sauberes Fahren. Ich brauche für 18 Kilometer fast anderthalb Stunde bis ich den Parkplatz erreiche, an dem der Wanderweg zum Wasserfall beginnt. Ich stelle die AT hinter einem Kleinbus, der etwas Windschutz bietet. Die Fahrzeugfront habe ich zum ankommenden Wind hin ausgerichtet. Ich rangiere das Motorrad so, dass es etwas schräger zum Seitenständer hin steht. Die rechte Seite stütze ich mit einem 6×4 Kantholz ab, dass ich bei einer vorherigen Rast gefunden hatte.

Den Tankrucksack vor meinem Bauch haltend, den Motorradhelm samt Motorradbrille angezogen gelassen, versuche ich die maximal 1000 Meter gegen den Sturm zum Mirrador zu gelangen. Einzelne Böen schmeißen mir aufgewirbelte Steinchen einer fünf Millimeter Körnung entgegen. Ich liege gefühlte dreißig Grad gegen den Wind. Horror. Den Fotoapparat kann ich nicht stillhalten. In der Zoomeinstellung versuche ich den gewünschten Bildausschnitt zu treffen. Ich stütze auf der Brüstung des Aussichtspunktes belaste mit meinen Knien den Tankrucksack, um sein wegfliegen zuverhindern. Ich krabble in Richtung eines Strauches hinter dem ich etwas Schutz finde. Ander Besucher quälen sich noch hierher. Der Sturm scheitelt die Frisuren ständig neu, die Kleidung wird so an den Körper gepresst, dass jedes zu viele Gramm sich zeigt. Der Gedanke, dass das Motorrad umgefallen sein könnte, lässt mich den Rückweg angehen. Wieder und wieder erwischen mich Böen, die mich vorantreiben, nur schwerlich kann ich ein stürzen verhindern. Die AT steht noch. Mit dem Wandern ist für heute Schluss. Auf dem Rückweg finde ich doch noch ein geschütztes Plätzchen, an dem ich die turbulente Umgebung entspannt miterleben kann.

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09. Dezember 2013 – Montag

Ich lasse den Tag geruhsam angehen, da ich von maximal 120Tourkilometer ausgehe. Den Schlamm am Motorrad von der gestrigen Lehmetappe möchte ich an einer Tankstelle entfernen. Der Tankwart deutet auf einen Wasserschlauch, den ich zur Reinigung verwenden darf. Gut das ich den Regenkombi anhabe. Ich drehe auf maximalen Druck, doch der Schlamm bleibt wo er ist. Mehrminütiges einweichen hilft auch nicht weiter, da muss wohl mechanische Arbeit geleistet werden. Schwamm oder Bürste? Beides nicht greifbar. Dann eben manuell. Nach einer dreiviertel Stunde liegt der Schlamm unter der Twin und auch ihre anderen Oberflächen sind lange nicht mehr so sauber gewesen.

Ich besuche noch das Fährenbüro, um einen alternativen Rücktransport Richtung Valparaiso zu prüfen. Beide Mitarbeiter sind beschäftigt. Warm unter dem Regenkombi warte ich draußen vor der Office. Es dauert. Ich hole den Fotoapparat raus und knipse. Endlich kommt der kräftige in Motorradsachen gekleidete Kunde aus dem Gebäude. Er wollte auch sein Motorrad nach Puerto Montt verschiffen, erklärt mir das Vorgehen teils auf Spanisch teils auf Englisch. Ich bekomme einen Aufkleber von ihm und seine Email Adresse. Jetzt gerade, wo ich mir den Aufkleber erstmals bewusst anschaue, bin ich ein wenig fassungslos. Der Aufkleber trägt die Überschrift RUTA DE LOS LIBERTADORES 2013-2014. Der südamerikanische Kontinent ist abgebildet. Ein schwarzer Streckenverlauf durch sämtliche Länder ist erkennbar. Unten steht Venezuela Ushuaia drauf. Ein Motorrad mit seinem Namen gekennzeichnet und einige spanisch klingende Namen mit Büsten von Persönlichkeiten vergangener Tage sind erkennbar. Ist das seine Aufgabe für dieses und das nächste Jahr?

Während des Gesprächs ist schon wieder jemand in die Hafenoffice gegangen. Irgendwie möchte ich doch mal loskommen nach Torres del Paine. Endlich an der Reihe bestätigt mir Parcival Ramirez in perfektem Deutsch, was ich zuvor von dem hilfsbereiten Cesar schon erahnt hatte.

Schnell geht es die Ruta 9 nach Castillo zurück. Die folgen vierzig Kilometer bis in den Parkt sind zunächst gut ausgebaut. Ich nutze die, im Gegensatz zur argentinischen Pampa, jetzt frische lebhafte Landschaft für viele Fotopausen. Ich werde Teil eines Viehtriebs. Zwei hoch zu Ross sitzende Farmer steuern hunderte Rinder mit einer Hundemeute entlang der Straße auf frische Weiden. Entgegenkommende Fahrzeuge wurschteln sich durch die Herde. Dann tuckere ich auf das Herdenende zu, bin schnell Teil der Herde und froh als ich alle Rindviecher hinter mir habe. Am Kassenhäuschen des Nationalparks erhalte ich auch einen Plan des Parks und die Wächterin beschreibt mir die Lage der Hostelari Tyndall. Diese wurde uns in Trancillo, von unserm Cabanavermieter Christian empfohlen. Wir suchten sie vergeblich in Calafate. Abends fand Rainer eine Bezeichnung in seiner Karte, die diese Hostelari im Gebiet des Torres del Paine anzeigt.

Der Himmel ist aufgelockert, ab und an kann ich einige Torresspitzen komplett sehen, große Guanakoherden säumen den Weg, fast unbeeindruckt vom Motorengeräusch meiner AT. Ich erreiche den Lago Pehoe. Der Lago liegt rechts meiner Piste, die mich mal von oben auf den See blicken lässt, mal  auf Seeniveau fahren lässt. Vor mir sehe ich eine Insel im See, auf der mehrere Gebäude errichtet sind. Die Häuser sind über eine stählerne Fachwerkrücke zu erreichen. Nach jeder Kurve eröffnet sich ein neues Panorama, welches mich wieder anhalten lässt. Südlich von Pehoe sollte sich dann auch mein Tagesziel finden. Ich komme an eine Ansammlung von gleichartigen Häusern, die eher einem Bergwerksdorf als einem Touristendomizil erinnern. Auf Nachfrage eines Ortskundigen beschreibt dieser mir den Weg. Ich fahre mehrere Kilometer übelster Piste ohne dass sich eine Bebauung findet. Ich halte ein entgegenkommendes Fahrzeug an. Der Fahrer gibt mir die Hoffnung in fünf Kilometer am Ziel zu sein. Ich erreiche das Hotel Rio Grey. Eine junge Senora schickt mich die zermürbende Strecke zurück, nennt mir den Ortsnamen Serrano, wo ich nach einem doch sehr langen Tag endlich die Hostaleri Tyndall finde.

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08. Dezember 2013 – Sonntag

Gegen zehn Uhr tanke ich die Twin voll. Die Insassen des vor uns an der Polizeikontrolle stehenden Autos werden peinlich genau kontrolliert. Rainer zückt schon seinen Reisepass heraus und nimmt seinen Helm ab. Nein nicht schon wieder den Pass aus meinem Rückentäschchen klamüsern. Um daranzukommen muss ich den Regenkombi, den ich wegen der wärmenden Wirkung trage, die Motorradjacke, die Protektorjacke und den Faserpelzeinteiler öffnen und dann umständlich das Säckchen herauszerren. Doch heute scheint mich jemand zu mögen. Rainer fährt nach dem durchwinken der Polizistin, rechts heran, packt alles wieder ein. Der Wind hält sich heute zurück. Die Ruta 40 steigt südlich von Calafate auf fast 900 Meter über Meeresniveau an. Der Himmel hat sich zugezogen. Einige Wolken berühren in der Ferne den Boden. Es ist klat. Vielleicht nach einhundert Kilometer Stehen wir an der Abzweigung, die uns gute 60 Kilometer asphaltierte Strecke einsparen kann. Es ist aber eine Piste. Hier hatte es kürzlich geregnet. Die Piste ist so zwar staubfrei, aber der Boden besteht aus einer klebrigen tonähnlichen Oberfläche. Als ich anhalte sehe ich den Dreck am Motorschutz und unter dem vorderen und hinteren Kotflügel kleben. Auf Asphalt angekommen haben wir fast die argentinisch chilenische Grenzstation Cerro Castillo erreicht. Beim Fahren macht mein vorderer Kotflügel eigenartige Schwenkbewegungen, als wenn er sich gelöst hätte. Alles ist fest nur die drei Kilo Schlamm hatten ihn bei jeder Unebenheit ungewohnt schwingen lassen. Ich kratze den Melm so gut es geht ab.

An der dem größeren Grenzortklappt unsere Abfertigung rasch. Schnell lässt sich die gute Betonstraße nach Puerto Natales fahren. Hier in Chile sind die Weiden wieder saftig grün, Baumgruppen unterbrechen die Monotonie der Landschaft, schneebedeckte Berge begrenzen unseren Blick in die Ferne. Puerto Natales, die kleine malerische Hafenstadt, empfängt uns mit einer spiegelebenen Meeresoberfläche. Umliegende Berge und der bewölkte Himmel kommen mir so noch erhabener vor. Der gut beschäftigte Mitarbeiter der Touristeninformation erklärt uns den Weg zu einer heute noch nicht belegten Cabana. Sie stellt nicht unser Ideal dar, doch für eine Nacht soll es reichen.

Da wir nun wieder in Chile sind und entsprechend wieder Landeswährung benötigen, wollten wir schnell die nächste größere Stadt, also Puerto Natales anfahren. Dabei sind wir am Torres del Paine Nationalpark, einer der größeren Attraktionen auf dem Weg nach Ushuaia , vorbeigefahren. Ich beschließe für mich diesen Morgen anzusteuern. Rainer und Theo möchten lieber Ushuaia schnell erreichen, um von dort noch Tagestouren zu fahren.

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07. Dezember 2013 – Samstag

Heute fahre ich kein Motorrad. Ich arbeite die Tagebucheinträge auf. Verteile Geburtstagsgrüße. Pablo, unser Cabanavermieter bringt unsere Wäsche zurück, die Marina, seine Frau für Theo und mich gewaschen hat. Ich war so dreist ihr meinen mittlerweile stark verschmutzten weißen Fahreranzug zur Reinigung anzuvertrauen. Die Gefahr, dass ich ihn zwar sauber aber einige Konfektionsgrößen kleiner zurückerhalten könnte, sah ich erst nachdem ein stornieren des Waschauftrages unmöglich war. Ohne meine Aufregung beim Auspacken des Wäschesackes zu zeigen, nehme ich zunächst die Jacke heraus. Sie erscheint mir wie neu, selbst die stark verschmutzten Ärmelbündchen sind wieder weiß geworden. Ein voller Erfolg. Ich bedanke mich überschwänglich bei Marina, die mir alle Tricks, die sie angewendet hat beschreibt, leider ohne dass ich die Details verstehe.

Nachmittags besuchen wir die die Einkaufs- und Touristenmeile von Calafate. Ich freue mich auf einen Kaffee mit einem Stück Torte. Meine Suche nach einem Konditor wird leider nicht von Erfolg gekrönt. Ist ja  auch nicht Heimbach. Ich bummle an den zahlreichen Souvenierläden vorbei, versuche die Preise unterschiedlicher Artikel mit heimischen zu vergleichen und ende im Supermarkt, in dem ich den Proviant für unser Abendmahl besorge. Dort kaufen auch Anabela und Jorge, das in Luxembourg lebende Paar, ein. Die Beiden hatte ich in El Chalten an der Tankstelle kennengelernt. Sie sind auch auf dem Weg nach Ushuaia. Wir tauschen unser Erlebtes und unsere Planung aus.

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06. Dezember 2013 – Freitag

Knapp 4000 Kilometer habe ich in den letzen 22 Tagen abgespult. Ein Viertel davon war Piste, von gut fahrbar bis brutal holprig mit losen Schotteranteilen. Dabei haben, ich und die Twin reichlich Staub geschluckt. Die Beanspruchung hat die Heckverstärkung meines Motorrades brechen lassen. Nichts dramatisches, aber die Befestigung meines Topcase wird durch die stärkeren Schwingungen des Kennzeichens stärker beansprucht. Daher befürchte ich, dass bei vielen weiteren Kilometer auf Pisten, die uns bevorstehen, die Topcasebefestigung brechen wird.

Unser Vermieter, Pablo, schickt mich zu einer Schlosserei am Stadtrand von El Calafate. Ich beziehe mich auf die Empfehlung Pablos und beginne mein Problem der technisch versierten Geschäftsfrau zu erklären. Ich habe den Eindruck, dass meine stümperhaften verbalen Erklärungen ihr imponieren. Sie versteht das technische Problem, bestätigt mir das Vorhandensein des Materials und leitet mich weiter an ihre Mitarbeiter Juan sowie Marco. Marco scheint mir eine Art Vorarbeiter. Er blickt schnell worum es geht. Die gebrochenen Alubleche werden als Schablone genutzt. Marco schneidet mit einer Blechschere die Kontur aus, Juan bohrt die notwendigen Löcher mit einer selbstschneidenden Blechschraube. Mit ein bisschen Nacharbeit passt das Bohrbild. Juan verschraubt die neuen Bleche mit Motorradrahmen und Kennzeichenhalter. Die beiden lassen sich zum Abschluss noch mit mir und der Baustelle ablichten. Ich erkenne schon ihren Stolz, mir geholfen zu haben. Das Foto verspreche ich ihnen an ihre Mailadresse zu senden.

Glück gehabt. Die Werkstatt macht nach dem Eingriff an mein Motorrad nicht Siesta, nein heute ist Freitag und offensichtlich früh Feierabend. Mit Verspätung, aber ich bin auf dem 70 Kilometer Weg zum Perito Moreno. Ich nähre mich der Andenkordillere. Die graubraunen Flächen werden grüner. Rechts der Asphaltstraße grast eine stattliche Schafherde und auf der Riesenweide links laufen die künftigen argentinischen Steaks herum. Wiedermals werde ich zum Anhalten aufgefordert. Mehrere senkrecht in Betonfundamenten verankerte Baumstämme kennzeichnen den Anfang des Nationalparks Los Glaciares. Man will den Tarif für ausländische Touristen von mir. Hundertdreißig argentinische Pesos, um die zwanzig Euro. Im Gegenzug bekomme ich eine Informacion general, eine Mülltüte in der ich meine Abfälle sammeln und wieder mitnehmen soll und das Eintrittsticket welches auf Verlangen den Rangern vorzuzeigen ist.

Das Asphaltband schlängelt sich kurvenreich an einem Arm des Lago Argentinos entlang. Geschwindigkeitsbeschränkt auf durchwegs vierzig, der vielen Touristen wegen. Ich halte auf den verbleibenden Kilometern häufig an, und versuche die Eindrücke fotografisch einzufangen. Beim ersten Anblick des größten Gletschers Südamerikas, kommt mir die zerklüftete Eisfläche wie die Seeoberfläche des Lago Argentino vor, nur vom Niveau her höher gelegen. Immer noch mehr als zehn Kilometer vom Perito entfernt empfinde ich seine Ausmaße nicht als atemberaubend. Erst als ich einen Mirrador anfahre und die Ausflugsboote, die die Touristen nahe an die Gletscherwand heranbringen, sehe, begreife ich die gigantischen Ausmaße der hier in den Lago endenden Gletscherzunge. Von einem Sammelparkplatz aus, an dem ich die Africa Twin stehen lassen muss, werde ich zum  aufwändig präparierten Besichtigungsarenal befördert. Ich bin der einzige Fahrgast in dem Kleinbussprinter. Der Fahrer gibt mir einen Tipp, wie mich am besten zurechtfinde.

Ich habe vier verschiedene Wandermöglichkeiten, allesamt mit Gitterroststegen und Brüstung befestigt. Es gibt sogar einen Aufzug, um auch älteren und gehbehinderten Menschen dieses Naturschauspiel aus nächster Nähe erleben zu lassen. Schnell finde ich meinen Beobachtungspunkt, von dem aus ich lange Zeit die riesige Gletscherwand betrachte. Hier und da knackt es mal und kleine Eisstücke fallen in den Lago. Von meinem Aussichtspunkt kann ich das nördliche Ende des Moreno einsehen. Einige Touristen kommen fotografieren sich und den Gletscher, verweilen zehn, fünfzehn Minuten, sprechen französisch, englisch, spanisch. Ein deutschsprachiges junges Paar lässt der Effektfotographie freien Lauf. Im Panoramamodus möchte er sie zu Beginn der der Sequenz ablichten. Dann muss sie schnell einen Platzwechsel machen, so dass sie auch auf der letzten Sequenz zu sehen ist. Das unmittelbar kontrollierbare Foto wird diskutiert. Ein, zwei weitere Versuche folgen, bevor sie die Idee verwirft. Meine Kamera ist weiter auf die Eiswand ausgerichtet. Fast schon mechanisch drücke ich leicht den Auslöser, um die Abschaltautomatik außer Kraft zu setzen. Auf der Südseite hat es bereits zweimal tosend Gekracht, einem Donnerschlag aus nächster Entfernung ähnlich. Danach höre ich das bewundernde Staunen einer Menschenmenge. Ich schaue auf meine Handyuhr. Viertelnachfünf habe ich mir als mein Timeout für dieses Foto meines Lebens gesetzt. Ein spatzengroßer Vogel sitzt maximal zwei Meter links vor mir in einem Strauch und zwitschert was das Zeug hält. Mein Ultimatum ist überschritten. Enttäuscht nehme ich meine Kamera, richte sie Richtung Vogel, klicke leise. Wie ein Echo, nur infernalisch laut  hallt es vom Perito Moreno Gletscher zurück. Er lässt einen Eisbrocken in den Lago fallen. Ich krieg leider nur die Tsunamiwelle aufs Bild, die sich halbkreisförmig von der Eintauchstelle her ausbreitet.

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05. Dezember 2013 – Donnerstag

Schon gestern hatten wir von unserer Cabana Vermieterin erfahren, dass die Modultankstelle Nachschub bekommen hatte. Also erst mal Auftanken. Es ist ein gutes Gefühl morgens schon eine so wichtige Aufgabe erledigt zu haben. Das 220 Kilometer entfernte Calafate sollte nun locker erreichbar sein. Die Reichweite unserer Motorräder liegt zwischen 300 und 450 Kilometer abhängig vom unterschiedlichen Tankvolumen und Verbrauch der Motoren. Liegen längere Etappen vor uns ohne Nachschöpfmöglichkeit, so können wir zusätzlich zwischen sechs und zwölf Liter Kraftstoff je Motorrad in Zusatzbehälter mitzuführen. Das reicht dann für bis zu über 600 Kilometer Reichweite.

Die nahezu 100 Kilometer lange Sackgasse, die wir nach El Chalten hineingefahren waren, müssen wir jetzt zurück. Der ewig anwesende Wind in seinen unterschiedlichsten Stärken, schiebt mich angenehm an. Diesmal können sich meine Augen nicht an die näherkommende Bergwelt des Fitz Roy erfreuen. Der Blick ist Richtung Pampa gerichtet, die gute Asphaltstraße verläuft schnurgeradeaus, rechts und links von mir herrscht graubraune Steppenlandschaft vor, der Himmel ist mit Wolken in unterschiedlichen Grautönen zugezogen, die Temperatur schätze ich auf etwa zehn Grad. Meine ausgedehnte gestrige Wanderung steckt mir noch in den Knochen. Die Monotonie lässt mich mehrmals in einen Sekundenschlaf fallen. Ein Phänomen, das mich beim Autofahren schon mal überfällt, das mir beim Motorradfahren bisher vollkommen fremd war. Endlich setzt  Rainer den Blinker. Ich schnappe mir sofort einen Apfel aus dem Tankrucksack, fange an zu kauen. Ich versuche die Müdigkeit zu vertreiben. Beim Absteigen vom Motorrad wird mir noch bewusster, wie sehr ich am Fitz Roy Massiv meinen Körper überreizt hatte. Selbst den Fotoapparat herauszunehmen für das obligatorische Pausenfoto, fällt mir schwer.

Ab jetzt fahre ich wieder Ruta 40 Richtung Süden. Der Wind bläst böig, mal von vorne, mal von rechts. Ich kämpfe, versuche hinter der Verkleidungsscheibe Schutz zu finden. Wenn ein Hügel oder eine Leitplanke rechts der Ruta mir Schutz vor dem zermürbenden Wind gibt, versetzt das Motorrad beim Einfahren in die offene Landschaft seine Spur. Ich versuche mit entsprechender Schräglage auszugleichen. Ich nähere mich der Brücke über den Rio La Leona, der zig Kilometer links der Ruta 40 fließt. Ich vermindere meinen Speed auf etwa Vierzig Stundenkilometer. Beinahe auf dem Mittelstreifen treffe ich auf den Brückenanfang. Eine Böe trifft mich, das Motorrad versetzt Richtung Brüstung, ich steuere entgegen. Weg ist die Böe. Meine Schräglage lässt mich auf die andere Brüstungsseite zufahren. Wieder gegensteuern. Man ist die Brücke lang und schmal.

Von der Ruta 40 zweige ich rechts auf die RP11 nach Calafate ab. Entfernt erkenne ich Behausungen auf einer weitläufigen Fläche, in der tristen, graubraunen Landschaft. Ich werde an der Stadtzufahrt aufgefordert anzuhalten. Mein Reisepass und der internationale Fahrzeugschein werden inspiziert. Ein dickes Journalbuch wird mittig aufgeschlagen. Ich erkenne viele handschriftliche Einträge von Fahrzeugtypen, Kennzeichen und Passnummern. Meine stehen jetzt auch dabei.

Ein stundenlanger Marathon der Cabanasuche beginnt. In der um die 20000 Einwohner großen Stadt, spielt der Tourismus eine wesentliche Rolle. Wir scheinen heute Pesch zu haben. Mehrmals erfahren wir, dass die kommende Nacht ausgebucht sei. Genervt finden wir das Touristenbüro. Die hilfsbereite und verständnisvolle Mitarbeiterin sucht uns vier Optionen aus, markiert die Lage der Cabanas auf einem Stadtplan, händigt uns Bildprospekte samt Preisangaben aus. Bei der ersten angekommen, hängt dort ein Zettel im Fenster. Bin gleich wieder da, telefonisch erreichbar unter ….Wir warten eine halbe Stunde. Vergebens. Im Touristenbüro lassen wir die nächste Cabana anfragen. Der Marathon nährt sich dem Ende. Eine geräumige Cabana mit Blick auf den Lago Argentino ist für drei Nächte unsere.

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04. Dezember 2013 – Mittwoch

Klappt heute nicht mit Calafate. Gestern wollten wir die Motorräder schon betanken. Doch das moderne Tankzentrum vor El Chaten war ausgetrocknet. Die zweihundertfünfzig Kilometer bis zum nächsten Zwischenziel schafft keines unserer Motorräder mehr.

Ich schlage vor bis elf Uhr zu warten in der Hoffnung noch vor der Siesta, die bis fünfzehn Uhr dauert, Sprit zu ergattern, um die Etappe noch stressfrei fahren zu können. Rainer schlägt eine weitere Übernachtung in unserer liebgewonnenen Cabana vor. Wenn ich mich schnell umziehe könnte ich dann nochmals die Wanderung bis zum Gletscher wagen.

Das Wetter ist optimal. Nur vereinzelte Schleierwolken, so eine tolle Sicht auf den Fitz Roy hatten wir noch nicht erlebt. Gegen vierzehn Uhr erreiche ich zum zweiten Mal in  meinem Leben den Zeltplatz am Fuße des Berges. Dann führt der Weg erst sachte ansteigend weiter. Wie beim ersten Anlauf kommen mir viel Wanderer entgegen, sind bereits auf dem Heimweg. Der steil ansteigende, sehr schlecht präparierte, mit viel losem Geröll gespickte Camino fordert mich. Wieder froh über die Wanderstöcke meiner Vermieterin erklimme ich Meter für Meter. Schon vor dem Einstieg in den Wanderweg war mir bewusst, dass ich Rainers modische Schutzmütze vergessen hatte. Auf dem ersten Teil, der viel durch Wald führt hatte ich sie nicht vermisst, doch jetzt scheint die Sonne erbarmungslos auf meinen nur durchs kurze Haar geschützte Kopf. Der frische Wind kühlt meine Haut ab, so dass ich einen Sonnenbrand nicht bemerken kann. Einige Absteiger nennen mir Zeiten, wie lange ich denn noch klettern müsse. Das lose Geröll nimmt immer mehr zu. Die letzten geschätzten hundert Höhenmeter muss ich ein Geröllfeld durchsteigen, in dem kein direkter Weg ersichtlich ist. Schließlich erreiche ich einen Bergrücken der mir die Sicht auf zwei Bergseen freigibt. Der mir nähere Bergsee leuchtet in einem tiefen blau, es schwimmen große, vom hinter dem See liegenden Gletscher abgebrochene Eisrocken darin. Um den tiefer liegenden See und den größeren, auch von Tal aus sichtbaren Gletscher, vollends zu erblicken, muss ich einen weiteren Bergkamm erklimmen. Hier oben bläst der Wind so stürmisch, dass ich mich kaum frei hinzustellen wage, um einige Fotos zu machen. Ich finde einen windgeschützten Platz. Ich genieße das Gletschereis, das perlenförmig die steile Gebirgswand verziert. Tief darunter der türkiesgrüne zweite Bergsee, der das ausgeschwitzte Wasser des Gletschers zunächst staut bevor es den langen Weg in tiefere Gefilde antritt. Ich raste noch eine viertel Stunde und mache mich mit dem hart erkämpften Ausblick auf die imposante Kulisse auf den Abstieg.

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03. Dezember 2013 – Dienstag

Genau sechzehn Uhr habe ich gerade. Heute Morgen bin ich dem Outlook Problem auf den Grund gegangen. Mein persönliches Schutzengelchen namens Tom, hat mich Computerbanause zu Hause gedrillt und mich dazu gebracht diese Kommunikation überhaupt erst ausführen zu können. Durch einen verpennten Lockout ist mir anscheinend das Outlook beschädigt worden. Heute endlich fand ich die Zeit und Muße, mich mit extremster Anstrengung meiner grauen Zellen das Problem zu beheben. Hallo Tom, ich wünsche Dir wieder erholsame Nächte, ohne für mich nach Reparaturleitfäden zu suchen. Danke! Trotz der geringen Intensität des WIFI, welches nicht von der Cabana Vermieterin zur Verfügung gestellt wird, sondern von ihrem Nachbar, habe ich heute jede Menge Mails über meinen Verteiler an euch verschickt. Ich hasse zwar solche Arbeiten, aber jetzt bin ich froh alles erledigt zu haben.

Es ist windig, die Sonne scheint, der orangegelb blühende Ginsterstrauch zu meiner Rechten gibt mir Windschutzich, in meinem Campingstuhl sitzend betrachte ich den Fitz Roy, in der Hoffnung ihn noch wolkenlos in Abendstimmung fotografieren zu können.

 

02. Dezember 2013 – Montag

Organisieren, Waschtag, Vorräte auffüllen. Muss wohl auch sein. Ich komme erst am frühen Nachmittag auf meine bereits daheim geplante Wanderung. Morgens schneegrieselte es. Es war so lausig kalt, dass ich meinen Faserpelzeinteiler anzog. Jetzt zum Nachmittag klarte es auf. Ich packte die wärmende Unterwäsche, den Regenkombi, Handschuhe etwas Proviant in den Rucksack. Rainer leiht mir seine Kopfbedeckung mit Ohrwärmer und die Tochter der Cabana Vermieterin rät mir ihre Wanderstöcke mitzunehmen. In Wanderschuhen mit dicker Daunenjacke gehe ich los.

Natürlich für die, die mich kennen erst in die falsche Richtung. Die Sturmwarnung für morgen im Hinterkopf, beschließe ich doch noch heute die längere Wanderung in Angriff zu nehmen. Anfangs steige ich vielleicht 400 Höhenmeter einen gut präparierten, staubtrockenen camino hoch. Ich genieße einen tiefen Einblick in das sich Richtung Chile erstreckende Hochtal. Der camino führt kilometerlang auf einem Niveau. An einem mirrador beschreibt ein Lagetafel welchen torres man denn jetzt sehen kann, wenn dann die Wolken es zulassen. Andrea genießt die Aussicht. Ich frage ob sie mich vor der Gebirgskulisse fotografieren würde. Sie nimmt an einer Gruppenreise teil, die mit einem Schlafbus unterwegs sind. So kann sie tagsüber die Highlights der Region genießen und wird im Schlaf zur nächsten Attraktion gebracht. Ich gebe Stoff. Erstmals mit Wanderstöcken unterwegs kann ich mir ein Leben ohne sie gar nicht mehr vorstellen. Der Ehrgeiz, den entfernten Aussichtspunkt auf den Fitz Roy Gletscher zu erreichen hat mich gepackt. Ich gönne mir nur wenige Pausen, laufe was die Beine hergeben. Als Limit habe ich mir siebzehn Uhr gesetzt. Dann muss ich zurück, um das Risiko zu minimieren in die Dunkelheit zu kommen. Das Wetter verschlechtert sich. Der Schneegriesel von heute Morgen setzt erneut ein. Viele Wanderer kommen mir eintgegen. Einer gibt mir zu verstehen, dass ich spät unterwegs sei. Ich erreiche einen Zeltplatz, der wohl den Kletterer als Basiscamp dient. Hier warten sie auf eine Wetterlage, die ein Erklimmen der torres del pain ermöglicht. Von hier sehe ich den Aufstieg der mir bevorsteht, um den Ausblick auf den Gletscher zu erhaschen. Ein Österreicher, der hier campiert, nennt mir eine Aufstiegszeit von Minimum einer Stunde. Ich pausiere, trinke aus meiner Wasserflasche, esse eine Banane, nasche noch etwas Schokolade und kehre um.

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01. Dezember 2013 – Sonntag

Letzte Nacht haben wir in einem argentinischen Apartment verbracht. Ein Pickup Fahrer  hatte unsere Hilflosigkeit erkannt und uns zur Unterkunft geführt. Heute fahren wir mehr als 300 Kilometer nach El Chalten. Erst geht es teils teerig teils schotterisch, ermüdend langweilig, nervig stürmisch  durch die Pampa. Dann die Abzweigung zum Fitz Roy, eine 90 Kilometer lange Sackgasse. Das Fitz Roy Massiv wächst mit jeder Minute, die unsere Motoren brummen. Wir gönnen uns für die nächsten drei Nächte eine geräumige Cabana.

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