11. Januar 2014 – Samstag

An der Pazifikküste entlang fahren wir durch den Nationalpark Pan de Azukar. Im Gegensatz zu gestern scheint bereits früh die Sonne. Die Temperaturen sind deutlich wüstenmäßiger, besonders wenn der kühlende Fahrtwind in den Pausen fehlt. Auch haben sich die Farbenspiele meinen Wünschen angepasst, da fehlen nur noch die sichelförmigen Sanddünenfelder, mal sehen. Entlang der Ruta 5 und der Ruta 1 erreichen wir Taltal am Pazifik gelegen. Ab hier fahren wir auf einer guten Asphaltstraße kurvenreich, entlang einer zerklüfteten, steil ins Meer abfallenden Steinküste. Blauer Himmel, braungraue Gesteinsformationen, tiefblauer Pazifik, weiß schäumende Brandung. Das späte losfahren, in Kombination mit den ausgedehnten Pausen, die uns die aufregende Landschaft abverlangt, müssen wir entscheiden eine anspruchsvolle Pistenstrecke am Pazifik entlang zu fahren, oder durchs landesinnere die Ruta 5.

Zunächst führt die Ruta 5 von Meeresspiegel in mehreren langgestreckten Serpentinen auf ein Höhenniveau von 1300 Meter, um dann ständig geradeaus auf endlosen Kilometern auf über 2000 Meter anzusteigen. Die Africa Twin rackert sich ganz schön ab. Oben angekommen ähnelt die Umgebung einer Marslandschaft. Die alles beherrschende Farbe ist ein helles rot, darüber der dunkelblaue Himmel. Das schnurgerade, schwarze Asphaltband trennt den Boden symmetrisch in eine rechte und linke Hälfte. Ich versuche die Landebahn zu meiner rechten in meinem Kopf zu verarbeiten. Mit dem auf dem Hinweisschild genannten Observatorium, fallen mir Joachim Bublath und Ranga Yogeshwar blitzartig ein. Ich drehe und will die Wissenschaftshochburg zumindest mal sehen. Nach weiteren 300 Höhenmeter hindert mich eine Schranke ans erreichen der Observatorien, die auf dem höchsten Punkt der Umgebung stehen. Ich parke die Twin, brenne die Stimmung auf den Kamerachip. Der Pförtner scheint Motorradnarr zu sein und vor Langeweile umzukommen. Ich erkundige mich nach Besucherterminen und eventuellen Vorführungen. Die seien immer samstags, also heute und starten gegen 14 Uhr. Strike! Haarscharf verpasst denke ich mir, jetzt um 16 Uhr. Doch Lois, mein Pförtner und wichtigster Mann der EOS überrascht mich. Er zeigt mir das Besucherhaus, in dem auf zahlreichen Leuchttafeln die Entstehung und Arbeitsweise des Observatoriums und natürlich spektakuläre Sternaufnahmen präsentiert werden. Anschließend lässt er sich nicht lange zu einem gemeinsamen Foto mit mir und meinem Motorrad überreden. Er würde sich über die Fotos freuen und gibt mir seine Email Adresse.

Jetzt ist es aber spät geworden. Insgeheim hatte ich gehofft meine Amigos hier oben am Observatorium zu treffen. Der Zielort Antofagasta ist mir zwar bekannt, doch weiß ich nur ungefähr, wo das Hostal von Daniel liegt. Ich beschließe, die von Garmina angekündigten 125 Kilometer in einem durchzufahren, in der Hoffnung so noch Rainer und Theo einzuholen. Doch 40 Kilometer vor Antofagasta warten sie an einer Abzweigung.

Daniel freut sich seinen Langzeitgast Rainer wiederzusehen, auch Tho und mich begrüßt er freundschaftlich. Er bereitet abends ein leckeres Assado, und wir genießen die angenehmen Temperaturen auf Daniels Terrasse bis spät in die Nacht.

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10. Januar 2014 – Freitag

Direkt hinter dem Ortsausgang von Huasco biegen wir links in eine unscheinbare Straße ab. Die C470 ist eine neue Erfahrung für mich. Ich hatte bereits von mehreren Leuten gehört, wie diese Art von Straßen gebaut werden. Also es ist keine Asphaltdecke. Die Fahrbahnoberfläche erscheint anthrazit schwarz und glänzt als sei sie nass. Mein Auge rät mir langsam zu fahren, um nicht wegzurutschen. Ich drehe vorsichtig das Gas auf. Die Twin beschleunigt wie gewohnt. Ich bremse etwas fester, zuerst hinten. Kein wegrutschen oder ausbrechen, alles wie gewohnt. Nach fünf Kilometer Eingewöhnung hält Rainer, der diese Strecke bereits im Oktober gefahren war, an, beobachtet unsere Mienen.  Es ist ungewohnt auf diesen Wegen zu fahren, die in der oberen Schicht aus einem Salz-Sand Gemisch bestehen, das angefeuchtet von einer Walze verdichtet wird und bei der fast ganzjährigen Trockenheit eine dauerhaft sehr glatte, feste Fahrbahn bietet. Rainer gibt noch die Anweisung immer auf dieser Strecke zu bleiben, auch wenn unser Navi uns auf die durchs Landesinnere verlaufende Ruta 5 führen will.

Wir sind mitten drin in der Atacama, eine der trockensten Wüsten der Welt. Ich weiß nicht so recht was ich von ihr halten soll. Einerseits bin ich Wüstenfan, liebe die unterschiedlichen Farben der Gesteine, die weichen Formen der Dünen, das tiefe Blau des Himmels im Kontrast mit den braunrot Tönen der Landschaft. Das gibt es hier heute nicht. Der Himmel ist bedeckt. Der hellgraue Boden, bewachsen mit fast schwarzen niedrigwüchsigen Büschen, hebt sich nur ansatzweise von dem etwas dunkler grau ruhig daliegenden Pazifik ab. Ich lasse die Twin mit 70 bis 90 Stundenkilometer laufen. Die Wolkendecke lichtet sich. Bei einem Stopp schaue ich mir einige Meter abseits der Piste einen blühenden Kaktus an. Ich empfinde ihn als ein winziges aber hübsches Lebenszeichen in der endlos scheinenden monotonen Landschaft. Mal fahre ich nahe der Gebirgsausläufer durch vom Wind und Sand geschliffenen Gesteinsfelder, dann durch eine topfebene in der Ferne durch Bergketten und Horizont begrenzte Ebene hellen Bodens mit dunklem Buschwerk.

In Chanaral, einer von der Minenindustrie geprägte Stadt, betanken wir unsere Motorräder und kaufen Proviant für die geplante Zeltübernachtung im Nationalpark Pan de Azucar. Rainer führt uns zu einem idyllischen Strand, wo wir eine überdachte Sitzgelegenheit und eine Grillfeuerstelle nutzen können. Bevor ich mein Zelt aufstelle, möchte ich mir die karstige Landschaft des Parks im langwelligen Abendlicht anschauen. Ich finde Hinweisschilder zu einem 10 Kilometer entfernten Mirrador. Meine Fahrt endet an einer Schranke. Ein junger Ranger erklärt mir, dass mich ein halbstündiger Fußmarsch zum Aussichtspunkt bringen würde. Ich bin ja nicht fußfaul, aber die schon vorgerückte Stunde lässt mich einen Quängelversuch beim Parkhüter starten. Er darf mich aber nicht mit meinem Motorrad zum Mirrador fahren lassen. Enttäuscht drehe ich, nehme mir in einiger Entfernung von den Rangern noch ein paar Minuten, um Fotos zu schießen. Der Rangerpickup kommt auf mich zugefahren. Mein junger Amigo hat für mich eine Erlaubnis zum Befahren der Piste zum Mirrador bei seinem Chef erwirkt.

Aus über 300 Meter Höhe schaue ich auf die Meeresbucht, an der wir heute unser Zelt aufbauen. Neben mir nutzen noch drei hübsche Chicas die beeindruckende Kulisse um Urlaubserinnerungen aufzunehmen. Sie bieten mir ihre Hilfe an mich abzulichten und ich staube noch ein Foto von mir mit zweien der Feen im Arm ab. An der Playa habe ich noch das Glück eine Badenixe beim Beschwören der Brandung zu beobachten.

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09. Januar 2014 – Donnerstag

Komatsu liefert drei neue Mulden an die Minenindustrie aus. Die Mulden mögen eine Breite von acht Metern haben, sie beschatten komplett beide Fahrspuren der Ruta 5, die nördlich von La Serena nur zweispurig verläuft. Vorneweg ein Polizeifahrzeug das den entgegenkommenden Verkehr stoppt, dann ein Komatsu Begleitpickup, die drei riesigen Mulden auf den Schwertransportern, dann die Nachhut. Wir kämpfen hinter der Nachhut im zäh dahin kriechenden Verkehr um jeden Meter. Die drei Muldentransporter nutzen eine entsprechend große Parkfläche, um zunächst den Gegenverkehr und anschließend auch den rückwärtigen Verkehr passieren zu lassen. Ich ärgere mich, dass ich nicht zum fotografieren komme. Endlich wieder Fahrtwind, der mir und der Twin Kühlung bringt. Für unsere anschließende Rast haben wir offensichtlich zu wenig Kilometer Vorsprung zum Konvoi herausgefahren. Aus dem Polizeifahrzeug ertönt eine Durchsage. Wir wollen noch schnell auf die Motorräder, aber da sehen wir bereits aus der Ferne die gelbe Flotte anrollen. Statt zu starten zupfe ich die Kamera.

Wir sind in der Atacama. Es ist heiß. Die bergige Landschaft zeigt sich in hellgrauen, blasgelben und blasgrünen Farben. Dürres Buschwerk, mancherorts sehe ich große Kakteen. In Vallenar nehmen wir Sprit auf. Die beiden BMWs, die uns grüßend bei unserer Rast überholt hatten sitzen im Gastraum der Tankstelle. Ich gehe kurz hin. Johann begrüßt mich sofort in Deutsch. Der Chilene mit schweizer Vorfahren hatte eine deutsche Schule in Chile besucht und zudem vier Jahre in der Schweiz gelebt. Er ist mit seinem Kumpel auf zweiwöchiger Motorradtour in den Norden Chiles unterwegs. Falls wir Probleme mit irgendetwas hätten, wobei er helfen könne, sollen wir ihn per Email beachrichtigen.

Wir erreichen zeitig Huasco, ein Touristenstädtchen an der Küste. Rainer war auf seiner Nordrunde im letzten Oktober bereits hier. Auf dem Umweg zum Supermarkt zeigt er mir die Playa, die sehr schön angelegte Promenade und den malerischen Fischerhafen. Die spätnachmittag Sonne taucht die Umgebung in eindrucksvolle Farben. Die Krönung sind die Pelikane, die am Landungssteg der Fischerboote hoffen leckere Fischabfälle ergaunern zu können.

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08. Januar 2014 – Mittwoch

Spät starten wir in Pichidangui. Wieder fahren wir die Ruta 5 Richtung Norden. Die Autobahn führt hier durch eine hügelige Landschaft. Bäume gibt es nur wenn mal ein Wasserlauf es schaffen sollte, den Pazifik zu erreichen und dann nur in Nähe des Flusses. Erinnerungen an die argentinische Pampa kommen mir in den Sinn. Der Himmel ist wolkenverhangen, heute Morgen ließ mich der auskühlende Wind frösteln. Ein Tankstopp, dann 60 Kilometer erreichen wir Tongoy. Um die 200 Kilometer in gut drei Stunden, Autobahn geradeaus, es gibt schöneres fürs Bikerherz. Doch die Entfernungen hier sind nicht europäisch. Wir sind noch 1000 Kilometer von Antofogasta entfernt. Dort wollen wir in einem bekannten Hostal mehrere Nächte verbringen, bevor wir San Pedro de Atacama auf 2500 Meter über dem Meer gelegen ansteuern. Dann soll es nach einer Aklimatisierungspause ins Altiplano gehen, hoffentlich schaffen wir es bis Machu Pichu. Doch vorher wollen wir eine Etappe der Dakar miterleben.

Ich nutze die frühe Ankunft für einen Playabesuch mit anschließendem Stadtbummel. Erstaunlich viele Strandbesucher baden im Pazifik. Beim Strandspaziergang wate ich durch die Ausläufer der Brandung, meine Füße trauen ihm hier um die zwanzig Grad zu, vielleicht tauche ich ja doch noch einmal komplett in seine Fluten.

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07. Januar 2014 – Dienstag

Wir sind wieder on the road. Fünf Nächte habe ich Rafaels und Karins Gästehaus nutzen dürfen, jede Menge wichtiger anstehender Aufgaben konnten wir in fast heimischer Umgebung erledigen. Gegen zwölf verlassen wir das Anwesen. Die Ruta 5 führt uns nach Pichidangui, einer Touristenhochburg an der Pazifikküste. So gestalten sich auch die Preise für die Cabanas, unserer bevorzugten Übernachtungsart. Kurzerhand entschließen wir die Zelte auszupacken. Meines ist schnell aufgebaut, ich eile in Badehose und mit meinem Handtuch zur Playa. In Bodennähe weht kaum Wind, die schon tiefstehende Sonne wärmt noch ordentlich. Auf dem Meer werden Waghalsige auf einem aufgeblasenen Bananenboot hinter einem leistungsstarken Motorboot gezogen. Andere versuchen sich im Surfen, noch andere im Wellenreiten. Mich juckt es doch mal in die Fluten des Pazifiks zu springen, aber auch heute schaffen es nur die Fußsohlen sein Wasser zu spüren. Das Restaurant des etwas vom Zentrum entfernten Campingplatzes hat heute offensichtlich Ruhetag. Ich habe wenig Lust auf eine notdürftige Mahlzeit. Ich führe die Twin nochmal ins Zentrum von Pichidangui, sie darf sich den Pazifik ansehen, während ich sie und den Pazifik von meinem Restaurantplatz beim genüsslichen speisen beobachten kann. Gleich geht es in den Schlafsack.

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06. Januar 2014 – Montag

Rafael kam gestern Abend spät vom See zurück. Er erkundigte sich nach unserm Tag und will uns Morgen bei der Erledigung einiger technischer Dinge helfen. Meine Versteifungsbleche werden von Rafaels Mitarbeiter aus einem zwei Millimeter Stahlblech ausgebrand. Bevor ich die zur Befestigung notwendigen Bohrungen am Motorrad abgreife, fährt Rafael mit Theo und mir nach Rancagua. Rainers Bremsscheibe soll geplant werden, Theo braucht eine neue Batterie und ich Handschuhe, die meine Hände gegen Sonne und Steinschlag schützen und nicht wärmen. Rafaels Fahrstil ist ganz schön sportlich. Ich bewundere, wie er den massigen Doge Ram im dichten Stadtverkehr bewegt und eigentlich zu kleine Parklücken nutzt, indem Teile des Gehweges und der Grünflächen befährt. Die Bremsscheibe soll gegen 12:30 fertig sein, nachdem der erste Kfz Zubehörladen Theos Batterie nicht im Sortiment hat, warten wir am Zweiten auf Bedienung. Bingo, die neue Batterie hat die gleichen Abmessungen wie die Originale, nur vier Amperestunden weniger Kapazität. Wir starten durch zu einem Motorradladen. Bis halb eins müssen wir bei der Fräserei die Bremsscheibe abholen, danach ist bis fünf Siesta. Ich spurte in den Laden finde auf Anhieb mir gefallende Handschuhe, leider in L. Der Verkäufer holt aus dem Lager die benötigten Xl er. Pagar und rein ins Stadtgewühl. Kurz nach halb eins holen wir die geplante Bremsscheibe ab. Bei der Rückfahrt zu Farm werden noch Geschäftstelefonate erledigt. Rafael, ein Manger aus dem Lehrbuch.

Ich freue mich über die handwerklich perfekten Bleche, übertrage das Bohrbild und habe nach der Montage ein gutes Gefühl die nächsten 10000 Kilometer damit keinen Ärger mehr zu bekommen. Rainer kämpft heute wie Theo und ich gestern mit der Hitze und dem Motorrad. Wir diskutieren schon seit der Ankunft, wie wir uns für diesen liebenswerten, wie sich heute gezeigt hat, grandiosen Service bedanken können. Wir möchten von seiner Firma Aufkleber auf unsere Motorräder anbringen. Ich betrete sein Büro, und nutze die Zeit während er telefoniert die aufgehängten Bilder anzuschauen. Die meisten zeigen ihn und seine Jungs mit Enduros während der Fahrt und in Pausen. Eines ist unterschrieben mit Championat Chile 1984. Pokale und Medallien zieren andere Bereiche des Büros. Bevor ich nach den Aufklebern frage, ist mir schon klar, dass das Foto, das wir heute Abend schießen werden auch mal hier hängen wird. Rafael, Danke für alles.

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05. Januar 2014 – Sonntag

Morgens gegen acht fange ich an, die Africa Twin für den Nordteil der Reise zu präparieren. Reifen vorne und hinten, Ölwechsel, Zündkerzentausch, der Luftfilter sieht für die extreme Staubbelastung, die er durchgemacht hat noch erstaunlich gut aus, wird natürlich erneuert. Das Koffersystem wird demontiert. Alles gereinigt wird wiederzusammengebaut. Schwub ist der Tag vorbei. Die Reparatur der wiederum eingerissenen Heckverstärkungen verlege ich auf morgen.

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04. Januar 2014 – Samstag

Siebenuhrdreißig. Ich verlasse das noch schlafende Anwesen. Angenehme Temperaturen tragen mich schnell bis Santiago. Abgezweigt Richtung Westen verfärbt sich der makellos blaue Himmel in eine beigebraune Smogglocke. Offensichtlich scheinen Wald und Wiesenflächen zu brennen. Je näher ich an Valparaiso herankomme desto dichter wird die Rauchwolke. Es kühlt kräftig ab. Vor elf Uhr macht mir Theo an der Villa die Motorradzufahrt auf. Rainer sitzt mit Julia und Hardy beim Kaffeetrinken. Das Paar beendet hier an der Villa seine Reise. Julia startete im Juni letzten Jahres in Alaska und traf ihren Lebensgefährten in Las Vegas, von wo aus sie Mexiko, Mittelamerika Kolumbien, Ecuador, Peru, Bolivien und Chile kennenlernten. Ich versuche ihre Ausstrahlung, die sie jetzt kurz vor der Heimkehr verbreiten, zu erfassen. Beide, noch mehr Julia, zeigt Stolz die Unternehmung angegangen zu sein, freut sich aber auch auf die Heimat. Wie werde ich mich in wenigen Monaten fühlen, wenn mein Abenteuer zu Ende ist?

Theo und ich verlassen die Villa gegen zwei. Gegen siebzehn Uhr sind wir wieder in Lo Miranda. Durch das angekündigte Familienfest am See, haben wir uns aus dem Dorf Verpflegung mitgebracht. Rafael hat schon seine Motorradmontur angezogen. Er wird heute Abend noch am See erwartet. Heute Abend sind nur Sebastian, Rafaels jüngster Sohn mit seiner Freundin und wir zu Hause. Bevor wir uns selbst verpflegen können werden wir zu Sebastians Freundin zum Asado eingeladen. Wir kommen aus dem Staunen nicht heraus, als wir in eine dreigeteilte riesige Scheune eintreten. Lanz Bulldog, mehrere Eicher, International Havester Company, John Deere, ein privates Traktormuseum. Dann folgt Tor Nummer zwei. Allradgetriebene Motorräder, eine originale KTM Rallye Maschine, die den Platz 3 im Jahr 2001 bei der Dakar erreicht hatte, Ein Käfer aus den Sechzigern, ein wohl ebenso alter Volvo. Hinter Tor drei verbergen sich Zerlegte Indien Motorräder eines wohl aus den Zwanziger. Arbeit satt für Generationen brummt Theo in seinen Bart, der im Geiste die Restaurationsaufwand abschätzt. Lange sitzen wir mit der Gastgeberin und ihrer aufgeschlossenen Familie auf der Veranda, werden mit schmackhaftem, auf dem Grill zubereiteten Fleischhappen beköstigt, genießen den Wein vom eigenen Weingut, erzählen über Europa, Südamerika, Machu Pichu und den Kölner Dom. Ich stelle fest, dass die Familienmitglieder, die eine Europatour unternommen haben, mehr von Europa gesehen haben als ich, der die Ziele quasi vor der Haustüre hat. Sebastians Freundin hat uns einen erlebnisreichen Abend geschenkt.

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03. Januar 2014 – Freitag

Gegen 11 Uhr nimmt mich Karin, ihre Tochter und Enkel Rafael  in ihrem Auto mit nach Rancagua. Der Versuch meine Kamera repariert zu bekommen scheitert. Plan B, der Neukauf eines Fotoapparates stellt sich jetzt gerade nach Weihnachten mit stark eingeschränktem Sortiment als sehr aufwändig dar. Wir durchstreifen mehrere Shoppingmals. Mein skeptischer Blick einem fremden Modell gegenüber wird von Karin mehrmals mit dem Versuch ein anderes Geschäft noch aufzusuchen entzerrt. Schlussendlich werden die Bemühungen doch mit dem Fund eines Models belohnt, welches meiner Kamera von der Bedienung sehr nahe kommt. Herzlichen Dank, Karin.

Erst knapp vor vier erreichen wir Rafaels Farm in Lo Miranda. Rainer und Theo sind erwartungsgemäß schon nach Valparaiso aufgebrochen, um die dort lagernden Ersatzteile für die Motorräder abzuholen. Mindestens eine Übernachtung war dort eingeplant, bevor wir von Rafaels Angebot, seine Werkstatt für unseren Motorradcheck zu nutzen, annehmen wollten. Es ist furchtbar heiß, der kühlende Pool lockt und ein paar Probeaufnahmen mit der neuen Kamera benötigen auch etwas Zeit. Ich beschließe am nächsten Morgen ganz früh erst nach Valparaiso aufzubrechen.  Am Wochenende fährt Rafaels Familie zu einem See hinaus. Ich verabschiede mich heute Abend bereits von Karin, die ich vor unserer geplanten Abreise wohl nicht mehr sehen werde. Im Dunkeln gehe ich nach einem Abendessen im Familienumfeld zum Gästehaus zurück. Die Zeit hier scheint mir im Fluge zu vergehen.

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02. Januar 2014 – Donnerstag

Abschiedsfoto mit Anna Maria und Victor. Der Abschied fällt immer etwas schwerer, wenn man sich wohlgefühlt hat. Wie wird das unbekannte Neue? Einiges steht jetzt zur Halbzeit der Reise an. Die Motorräder benötigen eine Inspektion, samt Reifenwechsel. Die Ersatzteile hatten wir bereits aus Deutschland mit in die Überseekiste gepackt und bei Enzo in Valparaiso eingelagert. In Puerto Natales, kurz vor dem Ende der Welt, sprach Rafael, ein Motorradfetischist aus der Nähe von Santiago vor einem Supermarkt Theo auf seine GS 1000 an. Beide fachsimpelten als ich den Einkauf in die Packtaschen lud. Email Adressen wurden ausgetauscht, und Rafael Sprach eine Einladung aus, die auch eine Wartung unserer Motorräder in seiner Werkstatt beinhaltete. Wir sind heute Morgen noch knapp über 400 Kilometer von Rafael entfernt. Nach Theos letzten Mailaustausch stand das Einladungsangebot noch und wir würden mit Freude erwartet.

Trocken, angenehm kühl, blauer Himmel und nett kurvenreich genießen wir die ersten 150 Tageskilometer, um gegen 14 Uhr auf die Ruta 5, eine autobahnähnliche Strecke in Richtung Rancagua abzuzweigen. Der vierspurige Highway ist mit Leitplanken zwischen den Fahrtrichtungen gesichert, scheint aber offensichtlich  nicht nur für den Kraftfahrzeugverkehr freigegeben zu sein. In am Standstreifen angrenzenden Ständen werden Obst und Gemüse angeboten, das auf den dahinterliegenden Feldern geerntet wurde. Busse halten auf dem Standstreifen. Die ausgestiegenen Fahrgäste nutzen die größerer Verkehrslücken, um die Fahrbahnen samt der Mittelleitplanke zu überqueren. Drei Chicas zu Fuß und mehrere Fahrradfahrer nutzen den Standstreifen, um vorwärtszukommen. Wir rauschen mit 90 Sachen an ihnen vorbei. Einfahrten zu Wohnhäusern werden vom Standtreifen aus befahren. Lärmschutzwände Fehlanzeige. Das ist schon exotisch.

Rafael ist nicht leicht zu finden. Die Koordinaten, die er uns gesendet hat führen uns bis in das Dorf Lo Miranda. Ich frage den Besitzer einer Tienda nach dem Wohnsitz unseres Freundes . Karin, seine deutschstämmige Frau hatte heute noch in seinem Laden eingekauft. Er beschreibt mir den Weg. Auf Rafaels Farm werden wir herzlichst begrüßt. Sein Pool bietet eine guttuende Abkühlung. Rafael zeigt uns seine geräumige Cabana, die er uns zur Verfügung stellt. Auf seiner Veranda genießen wir Willkommensgetränke und reichhaltige, liebevoll dekorierte Vorspeisen. Danach sind wir zum Abendessen eingeladen. Es tut richtig gut an einer stilvoll gedeckten Tafel mit leckeren, erfrischenden Salaten, Avocados und einer Reisplatte mit Asado, mit lieben Menschen das Mahl zu teilen. Das Tischgespräch handelt vom Motorradfahren, Reiseziele auf dem südamerikanischen Kontinent, speziell in Richtung Atacamawüste, in der Rafael Junior mehrere Jahre gearbeitet hatte und quasi alle dortigen Gegenden schon bereist hat. Rafael Senior beschreibt von den Widrigkeiten auf seinen Alleinreisen, plötzliche Temperaturstürze mit einsetzendem Schneegestöber, das Problem der Tankstellensituation vornehmlich in Argentinien. Aber immer tauchen Auswege auf. Karin kommentiert, sie sei Froh ihren Rafael nach einer jeden Tour wieder Heil zurückbekommen zu haben. Einer der schönsten Abende für mich.

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01. Januar 2014 – Mittwoch

Neujahrsausfahrt. Nach dem Sonnenbad an der Playa möchte ich doch Gewissheit haben, ob mein Motorrad noch genug Batterieleistung zum Starten hat. Doch wie befürchtet wird die Kurbelwelle kein Grad gedreht. Ich schlüpfe in die frisch gewaschene Motorradkluft. Rainer und Theo schieben mich an und ich schlängel mich mit den Ausflüglern durch den dichten Feiertagsverkehr von Dichato. Nach der Ortsausfahrt treffe ich auf eine stark lädierte Schotterpiste. Staubend, das ganze Motorrad wird durchgeschüttelt, ich fahre langsam entlang der kurvenreichen Strecke. Als ich auf einer Brücke über einen seichten Flusslauf stehenbleibe, klärt sich die Frage des heftigen Verkehrs. Entlang des Ufers haben zahlreiche Chilenen ihre Zelte aufgebaut. Kinder planschen im Fluss, Grillfeuer bereiten das nahende Abendessen vor. Ich drehe mein Mädchen, um die Dichatobucht auch noch in der anderen Richtung zu erkunden. Die vielen Fahrzeuge, die vielfach nur Schrittgeschwindigkeit zulassen, nerven mich heute nicht. Hauptsache der Motor läuft und die Lichtmaschine lädt die Batterie. Es herrscht Ebbe. Auf den jetzt freiliegenden Steinplatten suchen riesige Möwenschwärme nach Leckereien. Meine gewählte Piste endet in einem Fischereihafen. Zahlreiche in blau, gelb und rot angemalte offene und mit Kajüte versehene Fischerboote wogen sich mit denseichten Wellen des Pazifiks. Eine  motorradbegeisterte Seniora drückt ihrer Freundin ihr Handy in die Hand bevor sie mich um Fotoerlaubnis bittet. Nur wenn auch ein Foto mit meiner Leihkamera gemacht wird, setze ich als Preis. Muy grande staunt sie beim Aufsteigen. Wie im Flug sind beinahe zwei erlebnisreiche Stunden vergangen, die mir entgangen wären, hätte mein Laptop nicht die Batterie der Twin leergesogen.comp_IMGP2390 comp_IMGP2395 comp_IMGP2398 comp_IMGP2408