10. März 2014 – Montag

Der lange spannende Abend gestern hatte zum Abschluss noch eine kleine Überraschung für mich. In meinem Zimmer hatte sich ein weiterer Weltreisender eingefunden. Tobias, eine Internetbekanntschaft, die unsere amerikanischen Freunde aus Potosi herbestellt hatten, wacht heute Morgen auch hier in der Villa auf. Er zu mir, bist du deer Frank, ich zu ihm, bist du deer Tobias, den ich in Potosi treffen wollte. Curtis, einer der Amerikaner hatte mir den Hühnen so angedeutet, wie er jetzt neben mir steht. Seit eineinhalb Jahren ist Tobias unterwegs, gestartet im Osten der USA, dann Alaska, dann neues Motorrad, heute in Vlparaiso und bald in Ushuaia.

Doch heute ist Verpackungstag. Ich missbrauche meinen neuen Freund sofort um beim spannenden Kistenzusammenbau zu helfen. Gegen zehn liegt die in sechs Einzelteilen auf der Ladefläche des roten Nissan Pickup vor mir. Ich folge ihm die zwanzig Kilometer bis zum Trockenhafenbereich, in dem wir die die Africa Twin zunächst auf die Bodenpalette fest zurren. Jetzt werden die Seitenteile angeschraubt. Die Seitenteile und der Deckel lassen sich erstaunlich gut zusammenfügen. Die die Kiste verschließende Frontseite weist doch einige Schlitze auf.

Am frühen Nachmittag erreichen wir wieder die Villa. Thomas, auch ein Alleinreisender aus der Nähe von Frankfurt, bittet um eine Unterkunft und kurz danach erreichen uns Alesandro mit Fabrizio, die sobald ihre Africa Twins im Hafen ankommen, ihre Dreimonatstour starten. Der ganze Haufen wird abends von Ivo, meiner Bekanntschaft aus San Pedro de Atacama, der in nahegelegenen Vina del Mare wohnt, durch Valparaiso geführt. Verdammt, ist Abschied nehmen anstrengend.

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08. März 2014 – Samstag

48414 Kilometer zeigt der Tacho meiner Africa Twin. Um viertel nach vier rollen wir von der Quebrada Verde in die Einbahnstraße Vista Hermosa, natürlich wieder in unzulässiger Fahrtrichtung. Das Tor zum Hof der Villa Kunterbunt wird mir von Martina, der Chefin, geöffnet. Laut Tachostand fuhr die Twin mit mir 21407 Kilometer in 113 Tagen durch vier Länder Lateinamerikas.

Für die heutige kurze Etappe von Los Andes nach Valparaiso plane ich einen Besuch des Parque National la Campana. Noch sind die Temperaturen erträglich. Die menschenleeren Gebiete gehören jetzt auch der Vergangenheit an. Neben der von mir befahrenen Ruta 60 befinden sich immer wieder Siedlungen, Restaurants, Souvenirsbuden. Eine sorgt dafür, dass mein eingeschränktes Packvolumen minimiert wird.

Ich biege in die Zufahrt meines Zwischenzieles ein. Der Parkwächter erklärt mir den 30 minütigen Fussweg zum Mirador. Nach einer Obst und Wasserpause unter einem vor der Sonne schützenden Schattenplatz, entschließe ich mich, einen Teil meiner Motorradkluft beim Ranger zu deponieren und den beschwerlichen Weg in Angriff zu nehmen. Der trockene Landstrich zeigt nach dem langen trockenen Sommer viel verdorrtes Gestrüpp. Richtig glücklich scheinen mir nur die in Blüte stehenden Kakteen und natürlich die sehr alten Palmen zu sein. Der Ranger gibt mehrere hundert Jahre als Alter der Boliden an.

Die letzten Kilometer steuert mich meine Garmina über die Autobahn Richtung Valparaiso. Die Busse, die hier halten, um Fahrgäste aussteigen zu lassen, die Verkaufsstände am Straßenrand, vor denen Autos auf dem Standstreifen halten, um einzukaufen, Fahrradfahrer, die den Standstreifen als ihre Fahrspur betrachten, oder Passanten, die über die Mittelabsperrung klettern, um die andere Autobahnseite zu erreichen. Alles das, was ich vor vier Monaten für unfassbar hielt, registriere ich nur noch unterbewusst.

Noch 30, noch 20, noch 10 Kilometer. Ich fahre dem Ende eines lang gehegten, jetzt tatsächlich erlebten Traumes entgegen und ich fühle mich leer, müde und antriebslos. Die Gashand lässt die Twin eher mit 70 statt 80 Stundenkilometer tuckern, fast dass sie missmutig untertourig bockt. Lastwagen überholen uns elanvoll.

Und was nun?

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07. März 2014 – Freitag

Die Safaritour in den nahegelegenen Parque Rio Blanco, den mir Andres, mein Hotelwirt, mit einem Videovortrag schmackhaft gemacht hat, findet heute leider nicht statt. Alternativ beschließe ich den Cerro la Virgen zu erklimmen. Der kleine Hügel liegt direkt am Stadtrand, so dass ich direkt vom Hotel Genova losgehen kann. Hätte mir Andres nicht den Weg durch das  Büchereigelände beschrieben, wäre ich wohl nicht auf den Aussichtspunkt gelang. Verunsichert lasse ich mir von einer uniformierten Senora den Camino zum Cerro la Virgen bestätigen.

Es ist schon verdammt heiß und der Camino hat nur wenige Abschnitte die im Schatten verlaufen. Die Marienstatue erscheint schon fast greifbar, doch kann ich noch einige Serpentinen erkennen, die ich noch erklimmen muss. Oben angekommen bietet sich mir nicht nur der Blick auf Los Andes, nein ich kann auch weit nach Osten blicken, bis zu den schneebedeckten Gipfeln der Anden. Ein schattenspendender Funkmast lässt mich lange verweilen und Details der Landschaft beobachten. Gegen zwei erreiche ich wieder mein Hotel.

Dann breche ich doch noch mal auf, um mit der sauberen Twin den Rio Blanco Park auf eigene Faust zu erkunden. Auch auf dem Motorrad ist die Hitze nicht besser zu ertragen. Ich bummele die 30 Kilometer. Der Weg, der in den Park führt, ist natürlich nicht asphaltiert. Ich krieche den Weg entlang, um nicht mehr als nötig Staub aufzuwirbeln. Doch nach zwei Kehren versperrt eine Schranke die Weiterfahrt. Auch eine zweite Piste, die an der Parkgrenze entlang verläuft ist für die Öffentlichkeit versperrt. Nicht wirklich enttäuscht halte ich an Souvenirständen und ergattere eine Kleinigkeit.

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06. März 2014 – Donnerstag

Gestern hatten Georg und ich einen deutschen Abend in Los Andes verbracht. Es tat gut, mal eine missverständnisfreie Konversation über fundierte Themen führen zu können. Der knapp vierzigjährige Kraftfahrzeugmeister hatte in Deutschland, Kalifornien, Guatemala und Chile gelebt. Seine derzeitige Wunschheimat ist Chile. Er schätzt die wirtschaftliche Entwicklung, gerade in der Minenbranche als positiv ein. Lange hatte er für Porsche Chile gearbeitet, ist nun aber in die Minenindustrie gewechselt. Wieder habe ich diesen Kontinent ein wenig mehr kennengelernt.

Heute wollte ich richtig arbeiten. Die Africa Twin muss ihren Urlaubsspeck los werden, bevor sie in ihrer Kiste für die Rückfahrt verzurrt wird. Wir haben zwar noch 120 Kilometer vor uns, aber das spätsommerliche Wetter sieht nicht nach Regen aus, deshalb will ich eine gründliche Vorwäsche durchführen. Der extrem verfettete Kettenbereich soll ein Autopflegeteam am nahen Supermarkt mit Hochdruck reinigen, bevor ich mit der Feinarbeit beginne.

Wen von den drei Washboys auf dem ersten Bild würdet ihr als letztes für eine Motorradreinigung auswählen? Genau der übernimmt die Arbeit. Emsig aber mit Verstand setzt er den Hochdruckreiniger ein, dann helfen die anderen beiden der Twin ein Schaumbad zu verpassen, bevor mein fehleingeschätzter Teamkollege eine liebevolle Trocknungsaktion mit abschließender Spezialbehandlung der schwarzen Plastik und Gummiteile vornimmt. Irgendwie glaube ich es der Twin anzusehen, dass sie ihre wohlverdiente  Wellnessfarm genießt. Um die letzten Wassertropfen abzuschütteln führe ich sie kurz aus der Stadt. Ein Winzer lässt uns auf sein Weingut, um das proper, saubere Motorrad vor reichlich tragenden Weinreben in Szene zu setzen.

Nur ich schaue in die Röhre, anstatt in die Ritze und Spalte der Twin mit meinem Küchenschwamm kriechen zu können, sitze ich relaxend am Hotelpool.

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05. März 2014 – Mittwoch

Heute soll mich die Africa Twin über den Pass bringen, mit dessen Überquerung ich vor fast vier Monaten meine Reise beginnen wollte. Die sich in gutem Zustand befindende, aber auch vielbefahrene Verkehrsader zwischen der Hafenstadt Valparaiso und dem Norden Argentiniens führt mich Richtung Westen. Die wärmende Morgensonne im Rücken strahlt gleichzeitig das vor mir liegende Andenpanorama mit den weißen Gipfeln und den in zahlreichen Farbnuancen schimmernden Felsformationen an. Die tiefblaue Atmosphäre komplettiert die perfekt gestaltete Eisenbahnlandschaft, durch die ich, wie ein auf Spur Z geschrumpftes Objekt, fahren darf. Ich erinnere mich an den Parque Torres de Paine, bei dessen Durchquerung ich hinter jeder Wegbiegung ein neues Panorama erblickte, dass mich wieder anhalten ließ. Ich nutze die noch ruhige Verkehrslage, um oft die Straße zu queren, steige vom Motorrad und inhaliere die vermutlich letzte Andenquerung meines Lebens. Nur zäh gewinne ich an Höhe, dafür das ich mich ganz in der Nähe des höchsten Berges der Welt, außerhalb Asiens, dem Aconcagua befinde. Seine Besichtigung soll heute mein Highlight werden.

Hinter Punta de Vacas, einem Kuhdorf, holt mich die hiesige Geschichte ein. Ein schreckliches, elektronisches, lärmendes Geräusch, einer ausgelösten Autoalarmanlage gleich, kündet mein Befahren des Museumparkplatzes an. Erst an Flucht denkend, traue ich mich doch das Blubbern der Twin verstummen zu lassen. Vor mir steht eine Sitzgruppe unter einem Coca Cola Sonnenschirm hinter der eine offene Tür in ein kleines Haus einlädt. Eine junge Senora kommt aus einer entfernteren Behausung zu mir herüber. Ich frage nach dem Museum. Es sei ein mit Audio und Plakaten untermalter Rundgang, der eine dreiviertel Stunde dauern würde. Sie wolle mir mit ihrem Englisch Erläuterungen geben. Nachdem ich mein Motorrad aus dem Sichtfeld der Ruta 7 hinter einer Hauswand versteckt habe, öffnet sich eine Klapptüre nach oben und gibt den Eintritt in einen Kuppelraum frei, in dem zwölf Personen auf Stühlen Platz finden. Ich bin alleine mit der jungen Museumswächterin. Sie schließt die Klapptüre, nur durch die provisorische Abdichtung fällt noch spärlich Licht ein. Rote, weiße, grüne und blaue Lichtblitze und Donnergrollen eröffnet eine spannende Atmosphäre. Dann tragen zwei tiefe Männerstimmen einen Dialog vor. Eine zweite Tür öffnet sich, durch die ich einen Raum betrete, in dem zwei lebensgroße, in antiker Militäruniform gekleidete maskuline Puppen beratschlagen. Mir wird klar, dass die historische Befreiungsschlacht mit dem argentinischen General San Martin und sein chilenischer Verbündeter General O’Higgins in Szene gesetzt wird. Noch mehrere liebevolle, aber mit primitiven Hilfsmitteln gestaltete Räume, durchlaufe ich, kriege dabei noch die geologische Erklärung für die Vielfarbigkeit der Bergwelt präsentiert.

Mit einem Andenken für die Lieben daheim und einem Kaffee genossen mit einem deutschen Paar, das sich von der Empfangssirene auch nicht vertreiben ließ, erreiche ich Puente del Inca. Die Strömung des Rio Mendozas hat hier eine natürliche Brücke erzeugt, die durch den vielfarbigen, keramischen Überzug zum Touristenmagnet mutierte. Eine Therme speiste vor Jahren ein Badehaus. Doch ein Erdbeben hat die Intensität der Quelle verringert. Die baufällige Badeanstalt ist für Touristen nicht mehr zugänglich.

Mit einigen neuen Fotos erreiche ich den Aussichtspunkt auf den Aconcagua. Drei argentinische Pesos habe ich noch nach Entrichtung des Eintrittsgeldes in den gleichnamigen Parque. Die umgerechnet 20 Cent will ich großzügig dem Kassierer als Trinkgeld überlassen. Doch der wehrt sich energisch, also wird der abgenutzte Geldschein in die heimische Urlaubsvitrine wandern. Berge haben immer etwas majestätisches, so auch der Aconcagua. Doch beim Betrachten des Riesen und meiner Erfahrung mit den Höhen des Altiplano, wächst kein Wunsch in mir, einmal dort oben stehen zu wollen.

In Las Cuevas verlasse ich die Ruta 7, die weiter zum Tunnel Christo Redentor führt. Ich nehme die unbefestigte Piste zum Paso de la Cumbre. Sie lässt sich auf argentinischer Seite mit dem Motorrad gut befahren. In deutlich abgekühlter Luft gepaart mit einem stürmischen Wind erreiche ich schnell die Passhöhe. Passfoto und runter geht es auf der steilen, mit vielen engen Kehren an den Berg geschmiegten Piste.

An der Zollstation werde ich auf das in einer halben Stunde beginnende Länderspiel Chile Deutschland angesprochen. Ich wage zu erklären, dass Deutschland sicherlich gewinnen wird. Trotz meiner Prognose lassen sie mich nach einer 30 Minuten Zeremonie  einreisen. Mein zuvor ausgegucktes Hotel passt auf Anhieb, so dass ich die zweite Halbzeit der eins zu null Partie noch mit Georg, einem Deutschchilenen, zu Ende sehen kann.

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24. Februar 2014 – Montag

Der Anfang vom Ende. Es geht stramm auf März zu.

Ursprünglich war der Rückflug für den 20. März geplant. Mein erster Arbeitstag soll aber bereits der 24. März sein. Bei der Buchung vor einem dreiviertel Jahr und der aufwändigen Vorbereitung der Reise, vernachlässigte ich das Timen des Urlaubsendes und den Wiederanfang der Berufstätigkeit. So versuche ich den Rückflug um eine Woche vorzuverlegen. Einige Tage wird das erneute verpacken der Africa Twin in Anspruch nehmen. Die Zollformalitäten wird wieder Enzo, Chef der Villa Kunterbunt, erledigen. Ich befinde mich heute Abend in San Miguel de Tucuman und werde noch ungefähr 2000 Kilometer bis zum Verschiffungshafen Valparaiso fahren müssen. Also ein Ende das sich in die Länge zieht.

Mein Begleiter, Theo, nutzt die längere Reisezeit, indem er die Einladung seines Forumskollegen aus Paraguay folgt. Er hat heute Mittag den Blinker nach links gesetzt, und wird eine mehrere hundert Kilometer lange Gerade in Richtung Osten fahren.

Heute gibt es wirklich keine Bilder. Ich fuhr den ganzen Tag wie durch eine sommerliche Eifellandschaft. Rechts und links des Weges soweit die Augen blicken dichter grüner Wald, ab und an Felder und Weiden. Und jetzt gehe ich was essen.