11. Januar 2014 – Samstag

An der Pazifikküste entlang fahren wir durch den Nationalpark Pan de Azukar. Im Gegensatz zu gestern scheint bereits früh die Sonne. Die Temperaturen sind deutlich wüstenmäßiger, besonders wenn der kühlende Fahrtwind in den Pausen fehlt. Auch haben sich die Farbenspiele meinen Wünschen angepasst, da fehlen nur noch die sichelförmigen Sanddünenfelder, mal sehen. Entlang der Ruta 5 und der Ruta 1 erreichen wir Taltal am Pazifik gelegen. Ab hier fahren wir auf einer guten Asphaltstraße kurvenreich, entlang einer zerklüfteten, steil ins Meer abfallenden Steinküste. Blauer Himmel, braungraue Gesteinsformationen, tiefblauer Pazifik, weiß schäumende Brandung. Das späte losfahren, in Kombination mit den ausgedehnten Pausen, die uns die aufregende Landschaft abverlangt, müssen wir entscheiden eine anspruchsvolle Pistenstrecke am Pazifik entlang zu fahren, oder durchs landesinnere die Ruta 5.

Zunächst führt die Ruta 5 von Meeresspiegel in mehreren langgestreckten Serpentinen auf ein Höhenniveau von 1300 Meter, um dann ständig geradeaus auf endlosen Kilometern auf über 2000 Meter anzusteigen. Die Africa Twin rackert sich ganz schön ab. Oben angekommen ähnelt die Umgebung einer Marslandschaft. Die alles beherrschende Farbe ist ein helles rot, darüber der dunkelblaue Himmel. Das schnurgerade, schwarze Asphaltband trennt den Boden symmetrisch in eine rechte und linke Hälfte. Ich versuche die Landebahn zu meiner rechten in meinem Kopf zu verarbeiten. Mit dem auf dem Hinweisschild genannten Observatorium, fallen mir Joachim Bublath und Ranga Yogeshwar blitzartig ein. Ich drehe und will die Wissenschaftshochburg zumindest mal sehen. Nach weiteren 300 Höhenmeter hindert mich eine Schranke ans erreichen der Observatorien, die auf dem höchsten Punkt der Umgebung stehen. Ich parke die Twin, brenne die Stimmung auf den Kamerachip. Der Pförtner scheint Motorradnarr zu sein und vor Langeweile umzukommen. Ich erkundige mich nach Besucherterminen und eventuellen Vorführungen. Die seien immer samstags, also heute und starten gegen 14 Uhr. Strike! Haarscharf verpasst denke ich mir, jetzt um 16 Uhr. Doch Lois, mein Pförtner und wichtigster Mann der EOS überrascht mich. Er zeigt mir das Besucherhaus, in dem auf zahlreichen Leuchttafeln die Entstehung und Arbeitsweise des Observatoriums und natürlich spektakuläre Sternaufnahmen präsentiert werden. Anschließend lässt er sich nicht lange zu einem gemeinsamen Foto mit mir und meinem Motorrad überreden. Er würde sich über die Fotos freuen und gibt mir seine Email Adresse.

Jetzt ist es aber spät geworden. Insgeheim hatte ich gehofft meine Amigos hier oben am Observatorium zu treffen. Der Zielort Antofagasta ist mir zwar bekannt, doch weiß ich nur ungefähr, wo das Hostal von Daniel liegt. Ich beschließe, die von Garmina angekündigten 125 Kilometer in einem durchzufahren, in der Hoffnung so noch Rainer und Theo einzuholen. Doch 40 Kilometer vor Antofagasta warten sie an einer Abzweigung.

Daniel freut sich seinen Langzeitgast Rainer wiederzusehen, auch Tho und mich begrüßt er freundschaftlich. Er bereitet abends ein leckeres Assado, und wir genießen die angenehmen Temperaturen auf Daniels Terrasse bis spät in die Nacht.

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10. Januar 2014 – Freitag

Direkt hinter dem Ortsausgang von Huasco biegen wir links in eine unscheinbare Straße ab. Die C470 ist eine neue Erfahrung für mich. Ich hatte bereits von mehreren Leuten gehört, wie diese Art von Straßen gebaut werden. Also es ist keine Asphaltdecke. Die Fahrbahnoberfläche erscheint anthrazit schwarz und glänzt als sei sie nass. Mein Auge rät mir langsam zu fahren, um nicht wegzurutschen. Ich drehe vorsichtig das Gas auf. Die Twin beschleunigt wie gewohnt. Ich bremse etwas fester, zuerst hinten. Kein wegrutschen oder ausbrechen, alles wie gewohnt. Nach fünf Kilometer Eingewöhnung hält Rainer, der diese Strecke bereits im Oktober gefahren war, an, beobachtet unsere Mienen.  Es ist ungewohnt auf diesen Wegen zu fahren, die in der oberen Schicht aus einem Salz-Sand Gemisch bestehen, das angefeuchtet von einer Walze verdichtet wird und bei der fast ganzjährigen Trockenheit eine dauerhaft sehr glatte, feste Fahrbahn bietet. Rainer gibt noch die Anweisung immer auf dieser Strecke zu bleiben, auch wenn unser Navi uns auf die durchs Landesinnere verlaufende Ruta 5 führen will.

Wir sind mitten drin in der Atacama, eine der trockensten Wüsten der Welt. Ich weiß nicht so recht was ich von ihr halten soll. Einerseits bin ich Wüstenfan, liebe die unterschiedlichen Farben der Gesteine, die weichen Formen der Dünen, das tiefe Blau des Himmels im Kontrast mit den braunrot Tönen der Landschaft. Das gibt es hier heute nicht. Der Himmel ist bedeckt. Der hellgraue Boden, bewachsen mit fast schwarzen niedrigwüchsigen Büschen, hebt sich nur ansatzweise von dem etwas dunkler grau ruhig daliegenden Pazifik ab. Ich lasse die Twin mit 70 bis 90 Stundenkilometer laufen. Die Wolkendecke lichtet sich. Bei einem Stopp schaue ich mir einige Meter abseits der Piste einen blühenden Kaktus an. Ich empfinde ihn als ein winziges aber hübsches Lebenszeichen in der endlos scheinenden monotonen Landschaft. Mal fahre ich nahe der Gebirgsausläufer durch vom Wind und Sand geschliffenen Gesteinsfelder, dann durch eine topfebene in der Ferne durch Bergketten und Horizont begrenzte Ebene hellen Bodens mit dunklem Buschwerk.

In Chanaral, einer von der Minenindustrie geprägte Stadt, betanken wir unsere Motorräder und kaufen Proviant für die geplante Zeltübernachtung im Nationalpark Pan de Azucar. Rainer führt uns zu einem idyllischen Strand, wo wir eine überdachte Sitzgelegenheit und eine Grillfeuerstelle nutzen können. Bevor ich mein Zelt aufstelle, möchte ich mir die karstige Landschaft des Parks im langwelligen Abendlicht anschauen. Ich finde Hinweisschilder zu einem 10 Kilometer entfernten Mirrador. Meine Fahrt endet an einer Schranke. Ein junger Ranger erklärt mir, dass mich ein halbstündiger Fußmarsch zum Aussichtspunkt bringen würde. Ich bin ja nicht fußfaul, aber die schon vorgerückte Stunde lässt mich einen Quängelversuch beim Parkhüter starten. Er darf mich aber nicht mit meinem Motorrad zum Mirrador fahren lassen. Enttäuscht drehe ich, nehme mir in einiger Entfernung von den Rangern noch ein paar Minuten, um Fotos zu schießen. Der Rangerpickup kommt auf mich zugefahren. Mein junger Amigo hat für mich eine Erlaubnis zum Befahren der Piste zum Mirrador bei seinem Chef erwirkt.

Aus über 300 Meter Höhe schaue ich auf die Meeresbucht, an der wir heute unser Zelt aufbauen. Neben mir nutzen noch drei hübsche Chicas die beeindruckende Kulisse um Urlaubserinnerungen aufzunehmen. Sie bieten mir ihre Hilfe an mich abzulichten und ich staube noch ein Foto von mir mit zweien der Feen im Arm ab. An der Playa habe ich noch das Glück eine Badenixe beim Beschwören der Brandung zu beobachten.

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09. Januar 2014 – Donnerstag

Komatsu liefert drei neue Mulden an die Minenindustrie aus. Die Mulden mögen eine Breite von acht Metern haben, sie beschatten komplett beide Fahrspuren der Ruta 5, die nördlich von La Serena nur zweispurig verläuft. Vorneweg ein Polizeifahrzeug das den entgegenkommenden Verkehr stoppt, dann ein Komatsu Begleitpickup, die drei riesigen Mulden auf den Schwertransportern, dann die Nachhut. Wir kämpfen hinter der Nachhut im zäh dahin kriechenden Verkehr um jeden Meter. Die drei Muldentransporter nutzen eine entsprechend große Parkfläche, um zunächst den Gegenverkehr und anschließend auch den rückwärtigen Verkehr passieren zu lassen. Ich ärgere mich, dass ich nicht zum fotografieren komme. Endlich wieder Fahrtwind, der mir und der Twin Kühlung bringt. Für unsere anschließende Rast haben wir offensichtlich zu wenig Kilometer Vorsprung zum Konvoi herausgefahren. Aus dem Polizeifahrzeug ertönt eine Durchsage. Wir wollen noch schnell auf die Motorräder, aber da sehen wir bereits aus der Ferne die gelbe Flotte anrollen. Statt zu starten zupfe ich die Kamera.

Wir sind in der Atacama. Es ist heiß. Die bergige Landschaft zeigt sich in hellgrauen, blasgelben und blasgrünen Farben. Dürres Buschwerk, mancherorts sehe ich große Kakteen. In Vallenar nehmen wir Sprit auf. Die beiden BMWs, die uns grüßend bei unserer Rast überholt hatten sitzen im Gastraum der Tankstelle. Ich gehe kurz hin. Johann begrüßt mich sofort in Deutsch. Der Chilene mit schweizer Vorfahren hatte eine deutsche Schule in Chile besucht und zudem vier Jahre in der Schweiz gelebt. Er ist mit seinem Kumpel auf zweiwöchiger Motorradtour in den Norden Chiles unterwegs. Falls wir Probleme mit irgendetwas hätten, wobei er helfen könne, sollen wir ihn per Email beachrichtigen.

Wir erreichen zeitig Huasco, ein Touristenstädtchen an der Küste. Rainer war auf seiner Nordrunde im letzten Oktober bereits hier. Auf dem Umweg zum Supermarkt zeigt er mir die Playa, die sehr schön angelegte Promenade und den malerischen Fischerhafen. Die spätnachmittag Sonne taucht die Umgebung in eindrucksvolle Farben. Die Krönung sind die Pelikane, die am Landungssteg der Fischerboote hoffen leckere Fischabfälle ergaunern zu können.

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08. Januar 2014 – Mittwoch

Spät starten wir in Pichidangui. Wieder fahren wir die Ruta 5 Richtung Norden. Die Autobahn führt hier durch eine hügelige Landschaft. Bäume gibt es nur wenn mal ein Wasserlauf es schaffen sollte, den Pazifik zu erreichen und dann nur in Nähe des Flusses. Erinnerungen an die argentinische Pampa kommen mir in den Sinn. Der Himmel ist wolkenverhangen, heute Morgen ließ mich der auskühlende Wind frösteln. Ein Tankstopp, dann 60 Kilometer erreichen wir Tongoy. Um die 200 Kilometer in gut drei Stunden, Autobahn geradeaus, es gibt schöneres fürs Bikerherz. Doch die Entfernungen hier sind nicht europäisch. Wir sind noch 1000 Kilometer von Antofogasta entfernt. Dort wollen wir in einem bekannten Hostal mehrere Nächte verbringen, bevor wir San Pedro de Atacama auf 2500 Meter über dem Meer gelegen ansteuern. Dann soll es nach einer Aklimatisierungspause ins Altiplano gehen, hoffentlich schaffen wir es bis Machu Pichu. Doch vorher wollen wir eine Etappe der Dakar miterleben.

Ich nutze die frühe Ankunft für einen Playabesuch mit anschließendem Stadtbummel. Erstaunlich viele Strandbesucher baden im Pazifik. Beim Strandspaziergang wate ich durch die Ausläufer der Brandung, meine Füße trauen ihm hier um die zwanzig Grad zu, vielleicht tauche ich ja doch noch einmal komplett in seine Fluten.

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07. Januar 2014 – Dienstag

Wir sind wieder on the road. Fünf Nächte habe ich Rafaels und Karins Gästehaus nutzen dürfen, jede Menge wichtiger anstehender Aufgaben konnten wir in fast heimischer Umgebung erledigen. Gegen zwölf verlassen wir das Anwesen. Die Ruta 5 führt uns nach Pichidangui, einer Touristenhochburg an der Pazifikküste. So gestalten sich auch die Preise für die Cabanas, unserer bevorzugten Übernachtungsart. Kurzerhand entschließen wir die Zelte auszupacken. Meines ist schnell aufgebaut, ich eile in Badehose und mit meinem Handtuch zur Playa. In Bodennähe weht kaum Wind, die schon tiefstehende Sonne wärmt noch ordentlich. Auf dem Meer werden Waghalsige auf einem aufgeblasenen Bananenboot hinter einem leistungsstarken Motorboot gezogen. Andere versuchen sich im Surfen, noch andere im Wellenreiten. Mich juckt es doch mal in die Fluten des Pazifiks zu springen, aber auch heute schaffen es nur die Fußsohlen sein Wasser zu spüren. Das Restaurant des etwas vom Zentrum entfernten Campingplatzes hat heute offensichtlich Ruhetag. Ich habe wenig Lust auf eine notdürftige Mahlzeit. Ich führe die Twin nochmal ins Zentrum von Pichidangui, sie darf sich den Pazifik ansehen, während ich sie und den Pazifik von meinem Restaurantplatz beim genüsslichen speisen beobachten kann. Gleich geht es in den Schlafsack.

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06. Januar 2014 – Montag

Rafael kam gestern Abend spät vom See zurück. Er erkundigte sich nach unserm Tag und will uns Morgen bei der Erledigung einiger technischer Dinge helfen. Meine Versteifungsbleche werden von Rafaels Mitarbeiter aus einem zwei Millimeter Stahlblech ausgebrand. Bevor ich die zur Befestigung notwendigen Bohrungen am Motorrad abgreife, fährt Rafael mit Theo und mir nach Rancagua. Rainers Bremsscheibe soll geplant werden, Theo braucht eine neue Batterie und ich Handschuhe, die meine Hände gegen Sonne und Steinschlag schützen und nicht wärmen. Rafaels Fahrstil ist ganz schön sportlich. Ich bewundere, wie er den massigen Doge Ram im dichten Stadtverkehr bewegt und eigentlich zu kleine Parklücken nutzt, indem Teile des Gehweges und der Grünflächen befährt. Die Bremsscheibe soll gegen 12:30 fertig sein, nachdem der erste Kfz Zubehörladen Theos Batterie nicht im Sortiment hat, warten wir am Zweiten auf Bedienung. Bingo, die neue Batterie hat die gleichen Abmessungen wie die Originale, nur vier Amperestunden weniger Kapazität. Wir starten durch zu einem Motorradladen. Bis halb eins müssen wir bei der Fräserei die Bremsscheibe abholen, danach ist bis fünf Siesta. Ich spurte in den Laden finde auf Anhieb mir gefallende Handschuhe, leider in L. Der Verkäufer holt aus dem Lager die benötigten Xl er. Pagar und rein ins Stadtgewühl. Kurz nach halb eins holen wir die geplante Bremsscheibe ab. Bei der Rückfahrt zu Farm werden noch Geschäftstelefonate erledigt. Rafael, ein Manger aus dem Lehrbuch.

Ich freue mich über die handwerklich perfekten Bleche, übertrage das Bohrbild und habe nach der Montage ein gutes Gefühl die nächsten 10000 Kilometer damit keinen Ärger mehr zu bekommen. Rainer kämpft heute wie Theo und ich gestern mit der Hitze und dem Motorrad. Wir diskutieren schon seit der Ankunft, wie wir uns für diesen liebenswerten, wie sich heute gezeigt hat, grandiosen Service bedanken können. Wir möchten von seiner Firma Aufkleber auf unsere Motorräder anbringen. Ich betrete sein Büro, und nutze die Zeit während er telefoniert die aufgehängten Bilder anzuschauen. Die meisten zeigen ihn und seine Jungs mit Enduros während der Fahrt und in Pausen. Eines ist unterschrieben mit Championat Chile 1984. Pokale und Medallien zieren andere Bereiche des Büros. Bevor ich nach den Aufklebern frage, ist mir schon klar, dass das Foto, das wir heute Abend schießen werden auch mal hier hängen wird. Rafael, Danke für alles.

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05. Januar 2014 – Sonntag

Morgens gegen acht fange ich an, die Africa Twin für den Nordteil der Reise zu präparieren. Reifen vorne und hinten, Ölwechsel, Zündkerzentausch, der Luftfilter sieht für die extreme Staubbelastung, die er durchgemacht hat noch erstaunlich gut aus, wird natürlich erneuert. Das Koffersystem wird demontiert. Alles gereinigt wird wiederzusammengebaut. Schwub ist der Tag vorbei. Die Reparatur der wiederum eingerissenen Heckverstärkungen verlege ich auf morgen.

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04. Januar 2014 – Samstag

Siebenuhrdreißig. Ich verlasse das noch schlafende Anwesen. Angenehme Temperaturen tragen mich schnell bis Santiago. Abgezweigt Richtung Westen verfärbt sich der makellos blaue Himmel in eine beigebraune Smogglocke. Offensichtlich scheinen Wald und Wiesenflächen zu brennen. Je näher ich an Valparaiso herankomme desto dichter wird die Rauchwolke. Es kühlt kräftig ab. Vor elf Uhr macht mir Theo an der Villa die Motorradzufahrt auf. Rainer sitzt mit Julia und Hardy beim Kaffeetrinken. Das Paar beendet hier an der Villa seine Reise. Julia startete im Juni letzten Jahres in Alaska und traf ihren Lebensgefährten in Las Vegas, von wo aus sie Mexiko, Mittelamerika Kolumbien, Ecuador, Peru, Bolivien und Chile kennenlernten. Ich versuche ihre Ausstrahlung, die sie jetzt kurz vor der Heimkehr verbreiten, zu erfassen. Beide, noch mehr Julia, zeigt Stolz die Unternehmung angegangen zu sein, freut sich aber auch auf die Heimat. Wie werde ich mich in wenigen Monaten fühlen, wenn mein Abenteuer zu Ende ist?

Theo und ich verlassen die Villa gegen zwei. Gegen siebzehn Uhr sind wir wieder in Lo Miranda. Durch das angekündigte Familienfest am See, haben wir uns aus dem Dorf Verpflegung mitgebracht. Rafael hat schon seine Motorradmontur angezogen. Er wird heute Abend noch am See erwartet. Heute Abend sind nur Sebastian, Rafaels jüngster Sohn mit seiner Freundin und wir zu Hause. Bevor wir uns selbst verpflegen können werden wir zu Sebastians Freundin zum Asado eingeladen. Wir kommen aus dem Staunen nicht heraus, als wir in eine dreigeteilte riesige Scheune eintreten. Lanz Bulldog, mehrere Eicher, International Havester Company, John Deere, ein privates Traktormuseum. Dann folgt Tor Nummer zwei. Allradgetriebene Motorräder, eine originale KTM Rallye Maschine, die den Platz 3 im Jahr 2001 bei der Dakar erreicht hatte, Ein Käfer aus den Sechzigern, ein wohl ebenso alter Volvo. Hinter Tor drei verbergen sich Zerlegte Indien Motorräder eines wohl aus den Zwanziger. Arbeit satt für Generationen brummt Theo in seinen Bart, der im Geiste die Restaurationsaufwand abschätzt. Lange sitzen wir mit der Gastgeberin und ihrer aufgeschlossenen Familie auf der Veranda, werden mit schmackhaftem, auf dem Grill zubereiteten Fleischhappen beköstigt, genießen den Wein vom eigenen Weingut, erzählen über Europa, Südamerika, Machu Pichu und den Kölner Dom. Ich stelle fest, dass die Familienmitglieder, die eine Europatour unternommen haben, mehr von Europa gesehen haben als ich, der die Ziele quasi vor der Haustüre hat. Sebastians Freundin hat uns einen erlebnisreichen Abend geschenkt.

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03. Januar 2014 – Freitag

Gegen 11 Uhr nimmt mich Karin, ihre Tochter und Enkel Rafael  in ihrem Auto mit nach Rancagua. Der Versuch meine Kamera repariert zu bekommen scheitert. Plan B, der Neukauf eines Fotoapparates stellt sich jetzt gerade nach Weihnachten mit stark eingeschränktem Sortiment als sehr aufwändig dar. Wir durchstreifen mehrere Shoppingmals. Mein skeptischer Blick einem fremden Modell gegenüber wird von Karin mehrmals mit dem Versuch ein anderes Geschäft noch aufzusuchen entzerrt. Schlussendlich werden die Bemühungen doch mit dem Fund eines Models belohnt, welches meiner Kamera von der Bedienung sehr nahe kommt. Herzlichen Dank, Karin.

Erst knapp vor vier erreichen wir Rafaels Farm in Lo Miranda. Rainer und Theo sind erwartungsgemäß schon nach Valparaiso aufgebrochen, um die dort lagernden Ersatzteile für die Motorräder abzuholen. Mindestens eine Übernachtung war dort eingeplant, bevor wir von Rafaels Angebot, seine Werkstatt für unseren Motorradcheck zu nutzen, annehmen wollten. Es ist furchtbar heiß, der kühlende Pool lockt und ein paar Probeaufnahmen mit der neuen Kamera benötigen auch etwas Zeit. Ich beschließe am nächsten Morgen ganz früh erst nach Valparaiso aufzubrechen.  Am Wochenende fährt Rafaels Familie zu einem See hinaus. Ich verabschiede mich heute Abend bereits von Karin, die ich vor unserer geplanten Abreise wohl nicht mehr sehen werde. Im Dunkeln gehe ich nach einem Abendessen im Familienumfeld zum Gästehaus zurück. Die Zeit hier scheint mir im Fluge zu vergehen.

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02. Januar 2014 – Donnerstag

Abschiedsfoto mit Anna Maria und Victor. Der Abschied fällt immer etwas schwerer, wenn man sich wohlgefühlt hat. Wie wird das unbekannte Neue? Einiges steht jetzt zur Halbzeit der Reise an. Die Motorräder benötigen eine Inspektion, samt Reifenwechsel. Die Ersatzteile hatten wir bereits aus Deutschland mit in die Überseekiste gepackt und bei Enzo in Valparaiso eingelagert. In Puerto Natales, kurz vor dem Ende der Welt, sprach Rafael, ein Motorradfetischist aus der Nähe von Santiago vor einem Supermarkt Theo auf seine GS 1000 an. Beide fachsimpelten als ich den Einkauf in die Packtaschen lud. Email Adressen wurden ausgetauscht, und Rafael Sprach eine Einladung aus, die auch eine Wartung unserer Motorräder in seiner Werkstatt beinhaltete. Wir sind heute Morgen noch knapp über 400 Kilometer von Rafael entfernt. Nach Theos letzten Mailaustausch stand das Einladungsangebot noch und wir würden mit Freude erwartet.

Trocken, angenehm kühl, blauer Himmel und nett kurvenreich genießen wir die ersten 150 Tageskilometer, um gegen 14 Uhr auf die Ruta 5, eine autobahnähnliche Strecke in Richtung Rancagua abzuzweigen. Der vierspurige Highway ist mit Leitplanken zwischen den Fahrtrichtungen gesichert, scheint aber offensichtlich  nicht nur für den Kraftfahrzeugverkehr freigegeben zu sein. In am Standstreifen angrenzenden Ständen werden Obst und Gemüse angeboten, das auf den dahinterliegenden Feldern geerntet wurde. Busse halten auf dem Standstreifen. Die ausgestiegenen Fahrgäste nutzen die größerer Verkehrslücken, um die Fahrbahnen samt der Mittelleitplanke zu überqueren. Drei Chicas zu Fuß und mehrere Fahrradfahrer nutzen den Standstreifen, um vorwärtszukommen. Wir rauschen mit 90 Sachen an ihnen vorbei. Einfahrten zu Wohnhäusern werden vom Standtreifen aus befahren. Lärmschutzwände Fehlanzeige. Das ist schon exotisch.

Rafael ist nicht leicht zu finden. Die Koordinaten, die er uns gesendet hat führen uns bis in das Dorf Lo Miranda. Ich frage den Besitzer einer Tienda nach dem Wohnsitz unseres Freundes . Karin, seine deutschstämmige Frau hatte heute noch in seinem Laden eingekauft. Er beschreibt mir den Weg. Auf Rafaels Farm werden wir herzlichst begrüßt. Sein Pool bietet eine guttuende Abkühlung. Rafael zeigt uns seine geräumige Cabana, die er uns zur Verfügung stellt. Auf seiner Veranda genießen wir Willkommensgetränke und reichhaltige, liebevoll dekorierte Vorspeisen. Danach sind wir zum Abendessen eingeladen. Es tut richtig gut an einer stilvoll gedeckten Tafel mit leckeren, erfrischenden Salaten, Avocados und einer Reisplatte mit Asado, mit lieben Menschen das Mahl zu teilen. Das Tischgespräch handelt vom Motorradfahren, Reiseziele auf dem südamerikanischen Kontinent, speziell in Richtung Atacamawüste, in der Rafael Junior mehrere Jahre gearbeitet hatte und quasi alle dortigen Gegenden schon bereist hat. Rafael Senior beschreibt von den Widrigkeiten auf seinen Alleinreisen, plötzliche Temperaturstürze mit einsetzendem Schneegestöber, das Problem der Tankstellensituation vornehmlich in Argentinien. Aber immer tauchen Auswege auf. Karin kommentiert, sie sei Froh ihren Rafael nach einer jeden Tour wieder Heil zurückbekommen zu haben. Einer der schönsten Abende für mich.

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01. Januar 2014 – Mittwoch

Neujahrsausfahrt. Nach dem Sonnenbad an der Playa möchte ich doch Gewissheit haben, ob mein Motorrad noch genug Batterieleistung zum Starten hat. Doch wie befürchtet wird die Kurbelwelle kein Grad gedreht. Ich schlüpfe in die frisch gewaschene Motorradkluft. Rainer und Theo schieben mich an und ich schlängel mich mit den Ausflüglern durch den dichten Feiertagsverkehr von Dichato. Nach der Ortsausfahrt treffe ich auf eine stark lädierte Schotterpiste. Staubend, das ganze Motorrad wird durchgeschüttelt, ich fahre langsam entlang der kurvenreichen Strecke. Als ich auf einer Brücke über einen seichten Flusslauf stehenbleibe, klärt sich die Frage des heftigen Verkehrs. Entlang des Ufers haben zahlreiche Chilenen ihre Zelte aufgebaut. Kinder planschen im Fluss, Grillfeuer bereiten das nahende Abendessen vor. Ich drehe mein Mädchen, um die Dichatobucht auch noch in der anderen Richtung zu erkunden. Die vielen Fahrzeuge, die vielfach nur Schrittgeschwindigkeit zulassen, nerven mich heute nicht. Hauptsache der Motor läuft und die Lichtmaschine lädt die Batterie. Es herrscht Ebbe. Auf den jetzt freiliegenden Steinplatten suchen riesige Möwenschwärme nach Leckereien. Meine gewählte Piste endet in einem Fischereihafen. Zahlreiche in blau, gelb und rot angemalte offene und mit Kajüte versehene Fischerboote wogen sich mit denseichten Wellen des Pazifiks. Eine  motorradbegeisterte Seniora drückt ihrer Freundin ihr Handy in die Hand bevor sie mich um Fotoerlaubnis bittet. Nur wenn auch ein Foto mit meiner Leihkamera gemacht wird, setze ich als Preis. Muy grande staunt sie beim Aufsteigen. Wie im Flug sind beinahe zwei erlebnisreiche Stunden vergangen, die mir entgangen wären, hätte mein Laptop nicht die Batterie der Twin leergesogen.comp_IMGP2390 comp_IMGP2395 comp_IMGP2398 comp_IMGP2408

 

 

31. Dezember 2013 – Dienstag

Rainer wäscht, Theo und ich lassen waschen. Ich wage nochmals den Versuch meinen nicht gerade als unempfindlich zu bezeichnenden Fahreranzug, von Profis reinigen zu lassen. In einem heißen Spülbad reinige ich mein arg verfettetes Campingkocherset. Das in Ushuaia beschädigte Laptopkabel hat mich hier in Chile wieder eingeholt. Die argentinischen Dreipolschlitzstecker passen jetzt natürlich nicht mehr. Ich lade den Laptop an meiner Motorradsteckdose, ohne laufenden Motor. Bei der dritten Abzapfung  des Akkustroms fürs Laptop deutet die veränderte Blinkfrequenz der Twin an, dass ich zu viel des guten Stroms entnommen habe. Hoffentlich geben mir die Jungs Schiebestart. An der Playa wird eine Bühne für die Silvester Fiesta vorbereitet. Die Lautsprecherproben höre ich bereits am frühen Nachmittag bis zu unserer Cabana. Ein gemütlicher Kaffee mit von Rainer mitgebrachten Puddingteilchen, leitet bei uns den genüsslichen Teil des Jahresschlusses ein. Anna Maria und Viktor bringen uns noch den großen Wäschesack mit der gereinigten Wäsche zurück. Anna Maria teilt mir mit einem ernsten Gesichtsausdruck mit: lavar ropa mucho trabajo. Ich stimme ihr zu und entschuldige mich mit der langen Reisedauer. Das Ergebnis ist wiederum perfekt. Der Anzug fast neuwertig. Auch Theo hätte das Waschergebnis nicht für möglich gehalten.

Eine Stunde vor Mitternacht, ihr habt schon drei Stunden 2014, besuchen wir die Fiesta. Über 1000 Menschen, vielleicht 3000, verkleidet mit glänzenden Augenmasken, übergroße Brillen deren implantierten LEDs in schrillen Farben leuchten, Kopfbedeckungen mit Lametta Haaren in lila, grün und silbern.  Auf der Bühne präsentiert sich ein junggebliebener Mittfünfziger. Zwei im Takt hüpfende Tanzchicas animieren das Publikum zum Stimmungsgesang ihres Chefs zu tanzen.

Kurz vor zwölf wird auf Konservenmusik umgestellt. Alle strömen an die Uferpromenade um einen guten Blick auf das Feuerwerk zu haben. Mit feliz ano kriege ich von meiner Nachbarin einen Wangenkuss, eine andere Senora setzt mir einen Plastikhut auf, eine ältere kleine Senora winkt mich zu sich herunter und schmückt mich mit einem weißen Halsband. Feliz ano höre ich überall, wünsche es auch jedem in meiner Nähe. Ich fühl mich mitten drin, in der Herzlichkeit der Chilenen.

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30. Dezember 2013 – Montag

Der Jahreswechsel steht vor der Tür. Rainer schlägt vor bis zur Villa Kunterbunt zu fahren, um dort mit anderen Weltenbummlern zu feiern. Die Antwort auf seine Nachfrage, ob Übernachtungsgelegenheiten frei wären lässt zu lange auf sich warten. Wir wollen als Alternative eine Cabana in einem Küstenort am Pazifik erreichen.

Beim Herausfahren meines Motorrades aus der Garage bemerke ich das rege Treiben in der Nachbarstraße. Es ist Markt. Ich gehe ein paar Stände entlang, um mir etwas Obst für die Fahrt zu kaufen. Vier Äpfel und zwei Bananen passen noch in den Tankrucksack.

Die grobe Richtung heißt Conception, eine Großstadt. Etwas südlich davon liegt Lota, eine kleinere Stadt an der Pazifikküste, in deren Nähe auch ein kleiner Nationalpark liegt und damit touristisch erschlossen sein sollte. Angenehme Temperaturen, leicht bewölkter Himmel, goldgelbe Getreidefelder wohin das Auge schaut, unterbrochen von großen zusammenhängenden Waldgebieten, die forstwirtschaftlich genutzt werden. Viele Holztransportlastwagen fallen mir auf. Teilweise Lastwagen mit Anhänger voll beladen, teilweise ohne Holzstämme, dann ist der Anhänger als Ladung auf dem Zugfahrzeug geschnallt. Ein riesiges Papierwerk ist offensichtlich der Grund  des regen Verkehrs. Ich fahre Kilometerlang an die Lagerflächen der Holzstämme vorbei. Dichte Rauchschwaden verlassen die Kamine der Fabrik. Die letzen 20 Kilometer nach Lota hin sind erfreulich kurvenreich, dafür ist Lota selbst eine Enttäuschung für uns, da hier nicht der erwartete Tourismus sondern die Industrie sich etabliert hat. Auch Conzepcion bietet nicht die Kulisse, in der wir einen behaglichen Jahreswechsel feiern können. Erst das nochmals mehr als 30 Kilometer entfernte Dichato ist ein Volltreffer. Neuwertige, saubere Cabana in einer Seitenstraße, Motorräder aus dem Sichtbereich der Öffentlichkeit, Waschservice organisiert durch Anna Maria, die Cabana Chefin und sogar ein Willkommenstrunk wird uns durch Victor, Mann von Anna Maria, gereicht.

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29. Dezember 2013 – Sonntag

Früh habe ich meine Ausrüstung zusammengepackt. Ich nutze die Zeit bis meine Begleiter reisefertig sind für Computerarbeit. Der Himmel hat sich zugezogen, ein kühler Wind bläst. Um den Laptop mit Strom zu versorgen lasse ich mich an einem Laternenmast nieder, an dem auch eine Steckdose angebracht ist. Den Sockel des Laternenmastes im Rücken, auf einer Plastiktüte auf dem Boden sitzend, den Blick durch Bäume hindurch zum See gerichtet suche ich nach Fotos und Worten die ich euch schicken kann. Das ist Camping. Den Spruch haben wir vor etlichen Jahren schon geprägt, als wir den Sand im Salat zwischen den Zähnen spürten, oder mitten in der Nacht aus dem vom Gewitterregen durchnässten Zelt unter den als Sonnenschutz gedachten Pavillon flüchteten und den Rest der Nacht mit den letzten Bierreserven verbrachten.

Der Motor der Twin wird nicht warm bis wir die argentinische Grenzstation am Ende von Villa Pehuenia erreichen. Die Ausreise ist schnell im Reisepass bestätigt. Ich bin froh meinen Freund den Regenkombi, eigentlich als Kälteschutz, bereits angezogen zu haben. Die Straße ist nass, Sprühregen fällt vom Himmel. Die vielleicht 15 Kilometer entfernte chilenische Grenzstation fordert mehr Geduld von uns. Ich beobachte wie eine Familie ihr gesamtes Gepäck vom Pickup laden muss. Es wird durch die Durchleuchtungsanlage der Station geschleust. Was mir auf einem Flughafen ganz natürlich vorkommt, scheint mir hier an einer Grenzstation, die nur über eine holprige Piste erreichbar ist, übertrieben. In der Warteschlange stehend, fallen mir die Äpfel ein, die Notration für den Tag. Lebensmittel dürfen nicht nach Chile eingeführt werden. Nachdem Einreisestempel und Motorraddokument erledigt sind, begleitet uns ein Zöllner und nimmt unser Gepäck pflichtbewusst aber nicht übertrieben streng in Augenschein. Einen Apfel esse ich noch vor überschreiten der Grenze, den anderen, durch mehrere Druckstellen lädierten, opfere ich der Entsorgungstonne, die sicherlich mehrmals am Tag geleert werden muss.

Die Wolken hängen tief in den rundlichen, dicht bewaldeten Bergkuppen, hier und da treffen mich Regentropfen, maximal 15 Gad. So stellte ich mir die Anden vor, so sind sie hier und jetzt. Zwar noch immer nicht lange Unterwegs zwinge ich mich zum Fotostopp. Einmal nach vorne, zur Seite, zwei durch Zoom fokussierte Bildausschnitte, weiterfahren. Nach der folgenden Kurve tauche ich in eine Nebelwand ein. Glück gehabt beim Einfangen des Augenblicks. Ich verliere an Höhe, die Wolken befinden sich wieder über mich. Ein mit 30 Stundenkilometer, die hinter sich befindlichen Verkehrsteilnehmer ausbremsender Pickup, lasse ich rechts liegen. Erst eine Baustellensperrung stoppt meine euphorische Gangart. Nach der Freigabe für unsere Fahrtrichtung durch den mit Funkgerät ausgestatteten Verkehrsmanager, endet bald die Schotterpiste. Eine kurvenreiche, gut asphaltierte Straße, weckt in mir Erinnerungen an dynamisches Motorradfahren im weit entfernten Europa.

An einem riesigen Lavagesteinsfeld des zuletzt 2009 ausgebrochenen llaima Vulkans pausieren wir. Die Wolken geben leider keine Sicht auf den Gipfel des Vulkans frei. Der Ausbruch hat die fruchtbaren Flächen in ein tristes offensichtlich totes Stück Natur umgewandelt. Bei näherer Betrachtung aber erkenne ich auf dem grobporigen Gestein bereits wieder Flechten und niedrigwachsende Pflanzen, die eine Wiederbelebung des Areals eingeläutet haben. Gewohnt geradlinig führt uns die S51 durch eine sanft hügelige, mit golden gefärbten, erntereifen Getreidefeldern gespickten Landschaft, bei mittlerweile locker bewölktem Himmel und angenehmen Temperaturen, in die Stadt Temuco. Nach lästiger Stadtquerung und weiteren guten hundert Kilometer finden wir in Tragiuen im Hostal Sonja Unterschlupf. Ein unserem Hostal nahegelegenes Restaurant versorgt uns mit Kalorien und anderem Lebenselixier.

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28. Dezember 2013 – Samstag

Kurz nach dem Losfahren erreichen wir die für den Vortag angepeilte Zielstadt Neuquen. Sie fesselt uns mit hoher Verkehrsdichte und roter Welle.Es ist heiß, der Himmel wolkenlos, ich transpiriere unter den Motorradsachen. Gerade mal angefahren stoppt uns die nächste Ampel. War doch die Pampa schön. Es scheint, halb Argentinien sei hier unterwegs. Nur sehr langsam verlassen wir den urbanen Bereich. Das lebendige grün weicht dem monotonen Steppenland, hier und da wird Öl aus dem Boden gepumpt. Die Straße steigt sachte an. Ich erreiche eine Art Passhöhe von der sich vor mir weit entfern die Andenkordilliere aufbäumt. Ein Schnappschuss ins hinter mir liegende Steppenland und weiter nach Zapala, das heutige Etappenziel. In der touristisch unterentwickelten Stadt gibt es keine Unterkunft für uns. Die nächste von Garmina prophezeite schein 115 Kilometer entfernt zu sein. Also Gas auf.

Auf Asphalt fahren wir die Ruta Provincial 13 in eine immer lebendiger werdende Andenlandschaft. Rechts unserer Strecke treiben Gauchos eine aus unzähligen Tieren bestehende Rinderherde in einen Ferch, von dem aus sie über Rampen auf Lastwagen verladen werden. Kurven lassen Motorradfeeling aufkommen. Ein Einblick in ein malerisches, saftig grünes, mit einem Wasserlauf durchzogenes Tal zur Linken. Ich erreiche ein kleines Dorf. Eine moderne landwirtschaftliche Anlage mit mehreren Silos, die nicht wirklich in die Szene hier passt, ist wohl der Grund für die befestigte Straße, die ab der Ortsausfahrt in eine Piste schlechter Qualität übergeht. Deutlich langsamer, hochkonzentriert nehme ich die kommenden 70 Kilometer Piste in Angriff. Überholende und entgegenkommende Autos und Lastwagen wirbeln dichte Staubwolken auf. Je nachdem wie der heftige Wind zur Streckenrichtung bläst, kann ich mehr oder weniger lang die Piste nicht sehen. Ich erreiche ein Hochplateau. In der Ferne erkenne ich einen schneebedeckten Vulkankegel. Bevor die Piste mich wieder in tiefere Gefilde führt, durchfahre ich eine wüstenähnliche Sandlandschaft. Mit Grasbüscheln bewachsen Dünen säumen meinen Weg. Langsam verliere ich an Höhe. Große, alte mit dicken Stämmen Araukarien stehen vereinzelt in der Landschaft. Welch ein Kontrast zu der lange erlebten Monotonie der Pampa.

Ich erreiche Villa Pehuenia. Es liegt direkt am Lago Alumine. Ein vom Tourismus lebender Ort. Wir verbringen die Nacht auf dem Camping Munipical. Christian, ein Argentinier, hat in unserer Nachbarschaft seinen Wohnwagen abgestellt, kommt zu mir herüber und fragt nach meiner Herkunft. Ich beginne meine in Spanisch wohl schon recht gut klingende Geschichte von unserem Vorhaben ihm zu erklären. Er hinterfragt auf Spanisch, lässt durchklingen das seine Vorfahren deutschstämmig sind, höre Städtenamen wie Hamburg und Danzig, vom Jahr 1943 wird gesprochen. Es wird dämmerig und mein Zelt ist noch nicht aufgebaut.

Morgens auf dem Weg zur Morgentoilette treffe ich Christian der mich mit einem Guten Morgen begrüßt. Als ich bemerke wie gut er Deutsch spricht, beschwere ich mich, dass er mich mit meinem stümperhaften Spanisch hat erzählen lasse. Er konnte meine Ausführungen verstehen und wollte meine Bemühungen mich in Spanisch auszudrücken honorieren. Leider ist die Zeit zu kurz, um mal Informationen eines Einheimischen über sein Land und die Sicht eines Argentiniers über Europa zu erkunden. Beim Austausch der Emailadressen erfahre ich, dass seine Frau Marmelade herstellt und staube daraufhin noch ein Glas köstlicher Waldfruchtmarmelade ab.

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27. Dezember 2013 – Freitag

Ich packe früh meine Zeltausrüstung zusammen. Beim Frühstückholen gehe ich nochmal bis zur Playa, um die gestern Abend versäumten Fotos nachzuholen. Als ich sehe, dass das Wasser sich weit zurückgezogen und somit große Steinplatten sichtbar gemacht hat, bin ich etwas enttäuscht. Zudem steht die Sonne auf der falschen Seite. Die Stimmung eines Augenblicks ist eben nicht reproduzierbar.

Irgendetwas von 450 Kilometer sind für heute anvisiert. Wir kommen nach elf los, müssen noch Sprit bunkern. Fünf Autos sind noch vor uns, als der Tankwart mit einer Pylone die Zufahrt zur Zapfsäule blockiert. Ottokraftstoff ist aufgebraucht. Nueve combustible en una hora mas o menos. Wir warten, um das Risiko wegen Spritmangels liegen zu bleiben zu minimieren. Ich vertreibe mir die Zeit mit Kommunikation mit dem brasilianischen Paar, dessen Auto gleich hinter uns steht und das diesmal krankheitsbeding seinen Urlaub nicht mit dem Motorrad verbringt. Sie sind vernarrt in den Südamerikanischen Kontinent. Auch Stürze mit dem Motorrad bedingt durch die extremen Winde oder die Monotonie der Pampa kann sie von ihrer Reiselust nicht abbringen. Beim besprechen unseres Routenverlauf, weisen beide immer wieder auf Sehenswürdigkeiten hin, die uns entgangen sind. Wir tauschen Kontaktdaten aus bevor wir uns vom tanken des frisch eingetroffenen Sprits  aus den Augen verlieren.

Die Straße führt ins Landesinnere. Heiß, wollkenlos, monotone Pampa, Ölförderpumpen. In der Ferne sehe ich ein grünes Band in die Eintönigkeit verlaufen. Ein Blick zum Navi zeigt mir das ich mich dem Rio Negro nähere. Die Umgebung wird grüner, lebendiger. Kreisrunde Felder werden mit einem Radialbewässerer fruchtbar gemacht. Neben der Straße verlaufen Bewässerungskanäle.  Eine Brücke führt über den Rio Negro. So fasziniert von dem plötzlichen unerwarteten lebendigen grüntönen halte ich auf der Brücke an, fotografiere und nehme an Fahrt auf, um auf meine Begleiter wieder aufzuschließen. Eigentlich hätte ich sie schon eingeholt haben als sich die Straße gabelt. Keiner von beiden ist zu sehen, also folge ich Garminas Angaben. An einem Pförtnerhaus frage ich nach zwei anderen Motorradfahrern. Er habe sie nicht gesehen. Ein Nachbar erkundigt sich nach meinem Problem. Erbittet mich zu sich herüber. Ich solle mich in den Schatten stellen, seine Frau bringe mir Wasser. Seine vielleicht 15 jährige Tochter dolmetscht englisch spanisch. Zwei Wege führen nach der Gabelung nach Neuquen, ich bin auf dem kürzeren aber der sei nach dem Ortsausgang geschottert. Ich beschließe zu drehen. Meine hilfsbereite Familie müsse eh in meine Richtung etwas erledigen und würde mich auf den richtigen weg leiten. An einer Tankstelle erfährt mein Retter noch das zwei Motorräder vorbeigefahren seien. Wir verabschieden uns, ich bedanke mich für die liebe Hilfe. An der Polizeikontrolle an der Stadtausfahrt erfahre ich das meine Amigos fünfzehn Minuten Vorsprung haben. Irgendwann finde ich beide bei einer Pause im Schatten einer Baumreihe.

Abends finden wir einen Campingplatz direkt am Ufer des Rio Negro. Im Supermarkt wird mir empfohlen einen nahen Mirrador auf das Flusstal zu besuchen. Dort gelingen mir noch einige stimmungsvolle Fotos. Auf dem Weg zur Dusche lädt mich ein junger Argentinier zum Assado ein. Eine Klicke feiert mit einem gegrillten Lamm den Geburtstag einer hübschen 26 Jährigen Argentinierin. Das Lamm schmeckt sehr gut, Alkoholika fließen reichlich, ein gelungener Tagesabschluss.

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26. Dezember 2013 – Donnerstag

Heute ist fahren angesagt. 330 Kilometer Pampa liegen heute Morgen vor uns. Die Temperaturen liegen jenseits der 35 Grad. Es ist eintönig. Nach anderthalb Stunden liegen die ersten 100 Kilometer hinter uns. In der kurzen Pause versuche ich den Schatten meines Motorrades zu nutzen. Dafür müsste ich mich auf den Boden setzen. Zu unbequem, also lasse ich die Funktionsunterwäsche meine Schweißproduktion aufsaugen. Der beim Weiterfahren Fahrtwind trocknet meine feuchte Wäsche,kühlt dabei meinen Körper auf angenehme Temperaturen. Es ist Öde. Auf dem Schotterstreifen neben der Fahrbahn wechseln sich Tierkadaver und geplatzte Lastwagenreifendecken ab, oder sind es doch mehr Reifendecken? Der ständig blasende Wind wirbelt losen Sand zu mehrere Meter hohe Windhosen auf. Wenn das Auge über die weiten Flächen schweif, kann es irgendwo immer die beigen Sandwolken erkennen. Sekundenschlaf überfällt mich. Ich denke an Hülsmann und all die anderen Schreiber, die diesen Abschnitt zwischen Buenos Aires und Ushuaia exakt so beschrieben haben. Doch Erfahrungen kann man nicht erlesen, man muss sie erfahren, um sie ins Hirn einzubrennen. Mein Vorschlag für eine Nutzung der Pampa wäre ein Windpark, der die globalen  Energiesorgen drastisch verringern könnte.

Nach ermüdender Fahrt erreichen wir Las Grutas, bauen die Zelte auf und ich gehe noch zur nahegelegenen Playa. Der Atlantik hat Flut, das Wasser lässt wenig Platz für den Strand, an dem sich viele braune Körper sonnen und die Wellen des Meeres genießen. Über 25 Grad Wassertemperatur, vereinfachen mir das Hineinspringen in die Fluten. Im Wasser liegend, die Menschen am Strand beobachtend, die Sonnenstrahlen im Gesicht spürend, denke ich mir, dass jeder Tag auf dieser Reise immer auch einen, die Seele beglückenden, Moment geboten hat.

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25. Dezember 2013 – Mittwoch

Mein erster Weg heute führt mich wieder zur Tankstelle. Der Gastraum, der für Kunden eine wohlige Pausenumgebung bietet, öffnet leider erst in einer halben Stunde. Vor dem Laden komme ich nicht ins WiFi. Ich schlendere die eigentlich einzige Straße von Puerto Pirmides Richtung Strand. Der Wind bläst heute Morgen kühl, der Himmel ist bedeckt. Ich vermisse meine wärmende Jacke. Die liegt im Zelt. Endlich hat meine Tankstelle aufgemacht. Fabricio, der geschäftstüchtige Kaufmann, begrüßt mich wie einen Stammgast mit einem feliz navidad. Ich erfrage noch mal den inoffiziellen Tauschkurs. Ocho. Ich will diez. Wir einigen uns auf achtfünfzig. Ich handle noch einen Kaffee raus und zwei media luna. Das schlechte WiFi entschuldigt er und lässt mich über sein I-Phone mit seinem Password ins Internet. Man das geht mal richtig ab.

Mit Brot komme ich zu den Zelten zurück. Nach dem Weihnachtsfrühstück brechen Theo und ich zu einer Erkundungstour von der insula Valdez auf. Schotter führt uns 60 Kilometer zu einer Stelle, von der man Seelöwen beobachten kann. Der Hinkefuß, das Areal ist privat und wir sollen zunächst ein üppiges Mahl zu uns nehmen, um dann mit einem Guide die Meerestiere zu besuchen. Alternativ können wir nach weiteren 40 Kilometer diese Tiere ohne Schutzgebühr bewundern, teilt uns der hilfsbereite junge Mann am Restaurant mit. Auf dem Weg dahin führt die Piste einmal so nah an die Steilküste heran, dass ich anhalte, und die vielleicht 50 Meter zur ungesicherten 60 Meter steil abfallenden Küste geh. Unten liegen in beide Richtungen von mir hunderte der Seelöwen. Ihre Köpfe sind allesamt zum Land hin gerichtet. Sie kommen nur soweit aus dem Wasser, dass ihr Flossenende noch von der Brandung erreicht wird. Aus meiner Entfernung zu ihnen scheinen sie regungslos beieinanderzuliegen. Was veranlasst sie zu solch einem Verhalten, frage ich mich.

An dem für den Tourismus präparierten Seelöwenbesichtigungspunkt darf ich meine Motorradsachen beim Ranger ablegen. Befreit von der für Wanderungen ungeeigneten Motorradkleidung gehe ich den Lehrpfad entlang. Mittels Plakaten wird mir mitgeteilt, dass dieser Küstenabschnitt vor zehntausenden Jahren unter Meeresniveau lag. An der Steilküste kann ich die einzelnen Schichtungen mit unzähligen Einlagerungen ehemaliger Meeresbewohner erkennen. An die Seelöwen komme ich auf 50 Meter heran. Es wird darum gebeten den Pfad nicht zu verlassen, um die Seelöwen nicht zu stören, aber auch der eigenen Sicherheit wegen. Sollten sie mal ihre im Tonnenbereich liegende Masse in Bewegung setzen, ist man besser nicht in Reichweite. Vom Lehrpfad aus kann die Einfahrt in einen Naturhafen eingesehen werden. Diesen nutzte bereits Darwin auf seinen Entdeckerreisen. In der Ferne bemerke ich, wie mehrere Pinguine aus dem Meer an Land gehen. Drei von ihnen watscheln zielgerichtet ins Hinterland. Einer dreht in meine Richtung ab und beginnt zu meinem hoch über dem Meer gelegenen Aussichtspunkt aufzusteigen. Durch kurze Verschnaufpausen unterbrochen kommt er mir so nahe, dass wir uns fast mit Handschlag begrüßen könnten. Natürlich muss in so einer Situation wieder etwas nicht funktionieren. Der Acku meiner Leihkammara  ist leer. Auf dem Rückweg zum Rangerhaus sehe ich noch mehrere Schmuckeidechsen im gelb grün metallic Design, und Geckos in saharabeige, die sich bewegen müssen, sollte ich sie bemerken.

Roberto, der seit 23 Jahren der Chef der Station ist, lädt mich ein mich von seiner Assadoplatte zu bedienen. Er zeigt mir auf seiner Spiegelreflexkammara Bilder von einem Orka, den er heute Morgen beim Frühstücken eines Seelöwen erwischt hatte. Er selbst Stamme aus Rawson, die Stadt in der wir zuvor gecampt hatten. Er betreibt ganzjährig die Station. Jetzt im Sommer ist es sehr heiß, aber auch die Winter bleiben angenehm warm. Wir tauschen Mailadressen aus, er verspricht mir ein Orkafoto und eines mit ihm und mir vor der Africa Twin, wovon er auch mal eine besessen hatte, zu senden. Er packt noch eine vom Wind schon angefranste Argentinienfahne aus, die er mir schenkt.

Nochmal 70 nicht enden wollende Pistenkilometer fahre nach Piramides zurück. Abends beginnen Theo und Rainer mit dem grillen. Rainer holt seine Spiegelreflex und berichtet mir von einer Multikulti Veranstaltung an der Grillanlage. Deutscher Grill mittig, links von uns drei argentinische Familienväter die halbe Lämmer auf den Punkt bringe, rechts ein kolumbianisches Durcheinander von vielleicht zehn jungen Leuten. Jeder hat in einer Hand ein Gefäß mit etwas alkoholischem drin. Kolumbien favorisiert Rotwein mit Zucker und Eiswürfel in ausgehöhlter Melone. Von Argentinien muss ich Whisky Cola probieren. Unser anfänglich übersichtlicher Grillrost füllt sich mit Spenden von links und rechts. Gespräche aus einem Gemisch aus Englisch, Spanisch und Deutsch würzen den beeindruckenden Abend.

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24. Dezember 2013 – Dienstag

Ich freue mich nach der langen WiFi Abstinenz mal wieder skypen zu können. Nein, nicht der Campingplatz hat WiFi, ich muss zur Tankstelle gehen und komme dann mit dem Computer raus in die Welt. Ich gönne mir beim Kommunizieren einen Kaffee und einen media luna. Auf dem Rückweg kaufe ich Frühstück ein und nutze Rainers heißes Wasser für den zweiten Kaffee. Der Strand wird inspiziert.

Zum Abend stellen wir entsetzt fest, dass unser Metzger heute Abend wohl Heiligabend feiert. Bis auf Fleisch kaufen Rainer und ich alles fürs Festmahl ein. Er zweigt zum Campingplatz ab, ich laufe  ans andere Ende von Puerto Piramides in einen kleinen Supermercado. Anstatt mir eine Alternative zu meinem Fleischwunsch zu verkaufen, schickt er mich zu einem naheliegenden Lebensmittelladen. Um 18 Uhr mache er heute auf, so das Stück handgeschrieben Papiers hinter der Glaseingangstüre. Mas o menos tröstet mich ein Passant, der mir als Uhrzeit 18:05 anzeigt. Andere Kunden kommen, setzen sich auf den Boden vor dem Laden, oder gehen am Schaufenster des benachbarten Geschenkladens spionieren. Um 18:30 verliere ich die Geduld, laufe zum vorherigen Laden zurück. Ich finde in einer Gefriertruhe panierte Fleischlappen. Die müssen in Fett gebraten werden, so Rainers professionelles Urteil. Der Wind hat zugelegt. Hinter der Gestrüpphecke unserer Zelte ist es nahezu windstill. Mit zwei Kochern legen wir los. Nudeln mit panierten Fleischlappen heißt unser ehrgeiziges Ziel. In der Pfanne passt immer nur eins der sechs Fleischstücke hinein. Die gebratenen werden auf einem Teller liegend mit einem Topf vor Auskühlung und Sandkörnern geschützt. So richtige Festtagsstimmung will beim Essen nicht aufkommen.

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23. Dezember 2013 – Montag

Beim Zeltabbau sucht uns Juan Carlos auf. Er erkundigt sich nach unserem befinden und ob wir denn gestern Pescados bekommen hätten. Wir erzählen von dem guten Essen in der Pizzeria. Ich höre wie er mir etwas von einem regalo beizubringen versucht. Er entfernt sich in Richtung seiner kleinen Behausung. Wir haben im Schweiße unseres Angesichts aufgepackt, verdrücken die letzten Cerealien unseres Frühstückes, als Juan Carlos mit einer Tupperdose voll mit frisch entköpften Garnelen zurückkehrt. Theo ärgert sich beim Anblick der Schalentiere sein Frühstück zu früh eingenommen zu haben. Wir stopfen noch in uns hinein was geht. Ich bringe die restlichen zu ihm zurück. Dabei verabschiede ich mich von Juan Carlos, seinem Bruder und seinem Freund, die ich beim Matetrinken im Schatten der Wohnung antreffe.

Es wird heiß. Die Ruta 3 verläuft nach Puerto Madryn hin auf etwa 500 Meter über Meeresniveau. Während der Fahrt kühlt der Wind noch. Sobald wir stehenbleiben beginnt die Schweißproduktion. War doch gar nicht so schlimm mit dem kühleren Wetter denke ich mir.  Ich bin ja absolut kein Stadtmensch, aber wenn ich dann in eine hineinfahre, die Kontraste zwischen Meer, gepflegte Uferpromenade mit flanierenden Menschen, Einkaufsmeilen und Architektur erlebe, empfinde ich so etwas wie Schutz in einer Gemeinschaft in der weitläufigen überlebensschwierigen Pampa. Wir drehen ein paar ungeplante Ehrenrunden in Madryn, bevor in die  nach Puerto Piramides führende Straße einbiegen. Wir drücken die Nationalparkgebühr für ausländische Touristen in Höhe von 130 Pesos ab. Argentinier zahlen 15 Pesos. Als ich gelblich grünes Steppengras sich mit dem tiefen Blau des Atlantiks und dem wolkenlosen Himmel im Vorbeifahren wahrnehme, ziehe ich die Notbremse, drehe und genieße einen Augenblick. In Puerto Piramides landen wir auf einem Campingplatz. Die Sanitäranlagen sind neu, die Plätze naturbelassen, WiFi gibt es an der nahen Tankstelle. Auf den angelegten Grillstellen bereitet Rainer saftige Steaks und Fleischwürste, dazu gibt es Tomatensalat, alles veredelt mit ein wenig Sandkorn.

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