20. Februar 2014 – Donnerstag

Von San Pedro de Atacama führt uns die Ruta 27 zum Jama Pass hinauf. Bei 3200 Höhenmetern schauen wir auf unsere Oase, die uns viermal eine Übernachtung bot. Die Strecke steigt ständig fast geradlinig bis auf fast 4800 Meter Höhe an. Die Luft wird schon wieder verdammt dünn. Sofort beginne ich zu hecheln, wenn ich die Sitzbank des Motorrades verlasse. Ich schaue nochmal nach Bolivien herüber, wo wir uns so anstrengen mussten. Eigentlich sehe ich nur Wüste, doch die paar Tage Abstand in der Stadt reichen aus, um die Landschaft wieder faszinierend zu empfinden. Das Altiplano bleibt uns lange erhalten. In den Senken sammelt sich vereinzelt Quellwasser, das ein wenig pflanzenwuchs zulässt. Die Gewässerränder sind weiß von ausgeschwemmten Mineralien. Das sich hier Guanacos aufhalten, grenzt an ein Wunder. In Lagunen, die nicht von Touristenströmen überlaufen sind, spiegeln sich die karstigen Gebirgszüge. Ich halte oft, um die Eindrücke aufzunehmen.

Zur modernen Grenzstation, die sich Chilenen und Argentinier teilen, werden wir schnell abgefertigt. Der Zöllner draußen sammelt nur den Kontrollzettel ein und winkt mich durch. Unser Planziel Susques, es liegt voll im Nichts, erreichen wir gegen halb fünf. Bei der Ortsbesichtigung via Motorrad, auf der Suche nach einer Unterkunft, rennt mal wieder ein Hund bellend hinter mir her. Doch der meint es diesmal ernst und schnappt in meine Wade. Was bin ich in diesem Moment froh die lästigen Knieschützer zu tragen, die jetzt Schlimmeres vermieden haben. Die Auswahl an Übernachtungsmöglichkeiten ist stark eingeschränkt. Wir rollen zurück Richtung Tankstelle, an der unsere Motorräder mit neuem Kraftstoff versorgt werden. Direkt daneben finden auch wir ein Bett für die Nacht. Draußen vor dem Hotel genieße ich bei einem Bier den nahenden Sonnenuntergang in einer Wildwestromantik.

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19. Februar 2014 – Mittwoch

Schon wieder Wellblechpiste. Doch diesmal fürchte ich nicht, dass mein Motorrad in seine Einzelteile zerlegt wird, nein, ich sitze im Touristenbus. Gegen drei Uhr stand ich auf, um ab kurz vor vier auf den Bus zu warten.  Aus meiner Hostelanlage waren weitere zwei Familien für den Trip startklar. Ich stand mal wieder am längsten auf dem Wartegleis, doch man hat mich nicht vergessen. Fast 100 Kilometer ist das Geothermiefeld  von San Pedro entfernt.  Der Sprinter ist bis auf einen Platz voll. Bevor es zum El Tatio geht, hält Roger, unser Tour Guide und Fahrer, an einer Servicestation. Beim Aussteigen beginnt die Kälte gleich unter meine Kleidung zu kriechen. Minus sieben Grad sind es hier in 4400 Meter Höhe. Zehn Minuten später erreichen wir das erste zu besichtigende Geysirfeld. Mein rein spanischer Guide erklärt offensichtlich den geologischen Hintergrund eines Geysirs und unseren Weg durch den präparierten Sprudelpark. Es ist immer noch absolut dunkel. Ich versuche mit dem Kamerablitz, die bis zu einen Meter hohen Fontänen aufzunehmen. Meist habe ich nur die dichten Dampfschwaden auf dem Foto. Meine Finger frieren trotz der Motorradhandschuhe, die ich im letzen Augenblick noch eingesteckt hatte.

Hinter dem Vulkan Tatio, Namensgeber des Geysirfeldes und das Plateau zu einer Seite hin abschließend, kündigt sich mit einem hellblauen Schimmer der Sonnenaufgang an. Roger hat ein provisorisches Frühstück für seine Truppe auf einer Steinmauer vorbereitet. Der heiße Kaffeebecher bringt wieder Gefühl in meine Finger. Im Bus werden wir zum nicht weit entfernten zweiten Feld chauffiert. Mit weiteren Infos, auch zur versuchten aber gescheiterten Nutzung der Energie, betreten wir das nicht präparierte Feld. Es steigen dichte Dampfschwaden in die eiskalte Luft, überall blubbert heißes Wasser aus Erdlöchern. In der ersten Helligkeit wird die große Anzahl der Erdöffnungen aus denen das heiße Wasser und der Dampf entweicht ersichtlich. Ich gehe durch das mystische Szenario wartend auf mehr Licht für meine Aufnahmen.

Jetzt wird es ernst. Roger hat mich als Längsel, auf das er bei der Weiterfahrt immer warten muss, weil es sich nicht von der Umgebung losreißen will, als den Alemane deklariert. Auf der Fahrt zum Naturbecken ruft er durch den Bus, ob ich auch darin baden wolle. Der von einer eifrigen, kleinen Sprudelquelle gefüllte Bassin, hat Nähe der Quelle 33 Grad, am Abfluss 28 Grad. Das ist mir eigentlich viel zu kühl, gerade bei den immer noch frostigen Außentemperaturen. Doch unsere ganze Truppe beobachtet mich. Ich schlüpfe in die Badehose und genieße das nach zwei Minuten angenehme trübe aber nicht nach Schwefel riechende Bad.

Auf der Rückfahrt zeigt und erklärt uns Roger noch vieles von der hiesigen Natur und steuert noch das Touristenpueblo Machuca an. Trotz meiner leichten Übelkeit kaufe ich dem geschäftstüchtigen Eingeborenen einen überteuerten, frisch gegrillten Fleischspieß ab, der mir gut mundet. Gegen Mittag lädt uns Roger in San Pedro de Atacama aus seinem Touribus um mit der nächsten Truppe das Nachmittagsziel anzusteuern. Ich lege mich erschöpft aber zufrieden nochmal ins Bett.

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18. Februar 2014 – Dienstag

Wir wollen das einige Kilometer entfernte Valle de Luna besuchen. Vorher brauchen wir einen Geldautomaten und Kraftstoff, den guten mit 95 Oktan. Schnell stellen wir fest, dass San Pedro nicht für Individualverkehr ausgelegt ist. Einigen Straßen sind dafür gesperrt. Also parke ich mein Motorrad und laufe drei Blöcke weiter zum Bankautomaten. Den scheinen viele zu lieben, ich warte 15 Minuten in der Mittagshitze. Den guten Sprit kriegen wir tatsächlich.

Raus aus der Stadt fahren wir zunächst die offizielle Zufahrt zum Valle. Erst werden wir vor einem Minenfeld gewarnt, dann stehen wir vor einer verschlossenen Schranke, hinter der das Valle de Luna beginnt. Wir kehren um und finden einen Abzweig, der uns bis an die Kannte des Canyons führt. Wir sind zu früh, erst das warme Licht der untergehenden Sonne bringt die Farben zur Geltung. Für morgen habe ich ein Ticket. Da soll es um 4 Uhr morgens mit einer Reisegruppe zum Geysirfeld el Tatio gehen.

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16. Februar 2014 – Sonntag

Gestern beim Abendessen glaubte ich neben spanischer und englischer Sprache auch deutsche Stimmsegmente wahrgenommen zu haben. Heute morgen sitze ich, nachdem die Tour Guides ihre Fracht in die Jeeps geladen haben, nur noch alleine im Frühstücksraum. Andreas und Florian aus Österreich, Vater und Sohn, sind ebenfalls in einem Geländewagen auf der Lagunentour unterwegs. Sie starteten in Alaska vor vier Monaten und wollen in zwei Monaten Ushuaia, ihr Ziel, erreichen. Sie hatten gestern mit einem der einheimischen Guides über den uns heute bevorstehenden Lagunenteil gesprochen. Er soll leichter befahrbar sein. Nur, denke ich, sehen Motorradfahrer und Autofahrer das unterschiedlich. Beim Durchfahren steiniger Bereiche hat das Einspurfahrzeug Vorteile, weil die kräftezehrende Wankbewegung nicht auftritt. In Sandpassagen dagegen liegen die Vorteile beim leistungsstarken Allradler, der sich seine Spur in den weichen Untergrund drückt, ohne die Gefahr des Umkippens zu haben.

Nach einem ausgedehnten Frühstück, die Sonne hat die frostigen Temperaturen mittlerweile vertrieben, wagen wir uns an die Weiterfahrt. Aus einiger Entfernung knipse ich nochmal, die im goldenen Sonnenlicht getauchte Nobelabsteige, bevor wir auf die breite, mit unzähligen Autospuren versehene Piste abbiegen. Das Kreuz von gestern liegt wieder auf unseren Schultern. Die festgefahrenen Hauptspuren möchten wieder das Motorrad zerlegen, neuere Spuren sind teilweise so weich, dass sie dem Motorrad deren Richtung aufzwingen wollen. Mir fallen einige Spuren auf, die in einem 30 Grad Winkel zur Hauptrichtung verlaufen. Ich mache es ihnen nach. Mutig am Gasgriff drehend, belaste ich auf den Fußrasten stehend, deren Linke bis meine Africa Twin den gewünschten Kurs eingeschlagen hat. Vom Gefühl her fahre ich um die 60 Sachen, hundert vielleicht zweihundert Meter bringt mich und das Motorrad durch belasten der rechten Fußraste in die andere Richtung, in die ich wieder mehrere hundert Meter vorwärts komme. Es ist anstrengend, aber ich verspüre nicht mehr das durch die Spurrillen verursachte Schlingern, sondern ich bestimme meinen Kurs. Nach einigen Hin- und Herpassagen halte ich, um Theo zu orten. Es ist absolut still, kein Vogelgezwitscher, kein Windgeräusch, einfach lautlos. Meine Augen suchen den Horizont nach der BMW ab, können aber nichts entdecken. Ich trinke einen Schluck Wasser, mache rasch ein paar Fotos, die mittlerweile alle beinahe gleich aussehen. Dann weit entfernt sehe ich mikroskopisch klein Theo mit seinem Motorrad. Ganz leise dringt das quälende Boxergeräusch zu mir. Ich versuche ihn über die Cardo, unsere Bluetooth Gegensprechanlage, anzusprechen, doch die maximale Reichweite scheint nicht auszureichen. Er zieht an mir vorbei. Ich ruhe mich noch etwas aus bevor ich meinen Zickzack-Kurs fortsetze.

Tatsächlich hört die Quälerei nach 30 Kilometer auf. Auf einer akzeptablen Piste erreichen wir die Laguna Colorada. Hier befindet sich auch der offizielle Anfang des Eduardo Avaroa Parks. Der Parkwächter schickt mich, bevor ich die Parkschranke passiere, noch zu dem Mirador, von dem die rotleuchtende Lagune am besten zu betrachten sei. Es ist wie so oft auf dieser Reise. Man muss viele Strapazen ertragen, um dann kurzzeitig paradiesische Eindrücke genießen zu können. Ich setze mich mit meiner Wasserflasche auf einen Stein und lasse das saftige Grün der Uferzone, das grelle weiß der Salzkruste, das purpurrot der Wasseroberfläche, das tiefe Blau des Himmels und die rotbrauntöne, der die Lagune umgebenen Berge auf mich wirken. Hier von meinem erhöhten Aussichtspunkt wirken die hunderte Flamingos wie kleine rosa Punkte. Erst nach dem Hinuntersteigen an die Uferzone und mit Nutzung des Zooms der Kamera, kriege ich die an die raue Umgebung angepassten Schnabeltiere, gut erkennbar aufgenommen.

Zurück zum Parkwächter müssen in seinem Büro die Passdaten aufgenommen und das Eintrittsgelt entrichtet werden, bevor die Schranke die Zufahrt für uns freigibt. Wieder liegen zahlreiche Pistenkilometer vor uns, bevor wir das Geysirfeld  Sol de Manana erreichen. Hier dampft die Erde. Über 4000 Meter hoch erlebe ich mein erstes Geysirfeld. Von einem Gebäude auf einem Plateau, in dem offensichtlich das heiße Wasser in ein Rohrsystem einspeist wird, erkenne ich weit unter mir eine dominierende Dampfwolke, in deren Nähe einige Touristenjeeps parken. Den eigentlichen Zufahrtsweg verlassen, fahre ich geradlinig darauf zu. Dabei komme ich an einer Fangowanne vorbei. Die graue, teigige Masse brodelt, stechender Schwefelgeruch liegt in der Luft. In der Richtung, in der die Dampfschwaden abziehen haben sich am Boden farbige Ablagerungen gebildet. Sie schimmern gelblich und grünlich. Die Atmosphäre mutet bedrohlich, interessant an. An dem Dampfspot angekommen, höre ich lautes Zischen und lautes blubbern des unter der Oberfläche kochenden Wassers. Nahe an dem Geysirfeld sehe ich viele kleine Erdöffnungen aus denen kleinere Dampfschwaden entweichen. Einige Schilder warnen vor dem zu nahen herangehen an die Eruptionsorte.

Der tiefe, leistungszehrende Sand hat den Verbrauch unserer Motorräder in die Höhe getrieben. Theo hat bereits fünf Liter aus einem Kanister nachgefüllt. Ohne zusätzlichen Kraftstoff wird die BMW nicht San Pedro de Atacama erreichen. Gemächlich, kraftstoffsparend rollen wir weiter bis zur Lagune Chalviri. Dort befindet sich schon der Zollposten, der unser Fahrzeugdokument entgegennimmt. Wir fragen die beiden ansässigen Familien nach Sprit, kriegen jedoch keinen. Die Lagune wird mit thermalem Wasser gefüllt, das in einem Becken geleitet zum Baden einlädt. Nur kurz will ich hingehen, um die Temperatur zu erfühlen. Ein Touristenpaar trocknet sich im Badehaus. Die junge Französin erkennt mich wieder. Wir hatten vor etwa zweieinhalb Monaten in Patagonien miteinander gesprochen. Die beiden waren in Calafate mit ihren Fahrrädern gestartet, und haben bis hierher über 4000 Kilometer im Sattel verbracht. Welch ein netter Zufall. Ich beschreibe beiden was ihnen auf der Lagunentour erwartet und mahne ausreichend Wasser mitzunehmen. Doch wer bis hier gefahren ist weiß schon was er kann. Wir wünschen uns suerte.

Das hat Theo und mir geholfen. Ein von uns zum Anhalten aufgeforderter Jeep gibt uns die Info, dass in 15 Kilometer in einem Hotel auch Sprit verkauft wird. Mit den letzten drei Litern erreichen wir nach 25 Kilometer das Hotel, demgegenüber gleich die Zollstation ist. Uns wird der Ausreisestempel von dem Bolivianer in den Reisepass gedrückt. Zehn Liter sollten bis San Pedro reichen. Der Schlagbaum, der Bolivien von Chile trennt, macht ein Lastwagenfahrer selber auf. Es sei kein Zöllner im Büro meint er zu uns. Wir schlüpfen mit ihm aus dem Land, das mich, vor Peru, am meisten mental beschäftigt.

Die Streckenbeschreibung des Geländewagenfahrers hat wie Faust aufs Auge gepasst. Nüchtern hat er beschrieben, was ich angespannt, beängstig, intensiv erlebt habe. Als Motorradfahrer sollte man Geländeerfahrung im steinigen und sandigen Gelände haben, ausreichend Sprit mitführen für einen 30 bis 50 Prozent  höheren Verbrauch, ausreichend Wasser mitführen und eine Portion Glück gehört immer dazu. Die Lagunentour wird von vielen Jeeps befahren, die hier im Nichts sicherlich Hilfe geben. Es war ein intensives, bleibendes Erlebnis.
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15. Februar 2014 – Samstag

Seit Tagen schwirrt die Lagunentour durch meinen Kopf. Ein Reisebericht von einem Geländewagenfahrer beschreibt diese 420 Kilometer lange Strecke als äußerst anspruchsvoll, rät zu mindestens drei Übernachtungen im bolivianischen Hochland, bei denen die Temperaturen in bis zu 4700 Meter Höhe deutlich unter dem Gefrierpunkt fallen. Belohnt werden soll man mit herrlichen Ausblicken, auf mit Flamingos bevölkerten Lagunen, die in unterschiedlich Farben leuchtenden und auf zahlreiche Vulkane.

Wir wollen den Begriff anspruchsvoll unseres Autoren, der diese Tour im Oktober 2013 erlebt hat, testen. Die Ruta 5 führt uns unbefestigt aus Uyuni Richtung Südwesten in eine ebene, steppenhafte Landschaft. Zunächst werden wir auf der alten Piste geleitet, die unmittelbar neben der der neuen, in Bau befindlichen Trasse liegt. Ich verpasse wohl das Umleitungsende, das mich auf die gut befahrbare Piste zurückführt hätte. Mit einem Mal wird der Untergrund dunkler und mein Motorrad fängt beängstigend an zu schlingern. Ich schaffe es vor einem Entwässerungsgraben die Africa Twin zu stoppen. Unter meinen Stiefelsohlen haftet klebriger Matsch. Ein Landcruiser Fahrer auf der Piste hält an, steigt aus seinem Wagen und leitet mich auf die Piste.

Unser Weg führt uns über Vila Vila nach San Christobal, wo wir nochmal die Motorradtanks füllen. Nach weiteren 60 Kilometer gut und zügig  zu befahrener Piste erreichen wir Vila Alota. Dort scheint ein Anfahrpunkt, der von Uyuni operierenden Geländewagentouren zu sein. Eine holländische Touristin ist heute Morgen in San Pedro de Atacama gestartet und wurde über die Lagunenroute hierher chauffiert. Von dieser gut ausgebauten Piste zweige in 30 Kilometer ein steiniger, anstrengend zu befahrener Weg ab. Auch die Gesichter der anderen Mitfahrer der Holländerin machen einen geräderten Eindruck auf mich.

Wir biegen also nach den 30 Kilometern auf den holprigen Track ab. Trialmäßig zirkeln wir die schweren Motorräder um Felsbrocken zunächst bergab, um dann langsam an Höhe zu gewinnen. Ein mulmiges Gefühl schleicht sich in meine Magengegend. Wie leicht kann ein Sturz in diesem abgelegen Gelände zu enormen Problemen führen, wie bekommt man einen Defekt am Motorrad oder gar eine Verletzung von uns gehändelt. Wie weit sollen wir in den Track hineinfahren in der Hoffnung, dass wir auf ein wieder gut befahrbares Stück stoßen?

Tapfer rackern wir uns 20 Kilometer bis zur ersten Lagune Canapa. Ich fahre bis an den Uferbereich und sehe tatsächlich zahlreiche Flamingos, die seelenruhig mit ihren Schnäbeln das seichte Wasser nach Beute absuchen. Sie lassen mich auf wenige Meter an sich heran, wohlwissend dass der komische Tourist nicht ins kalte Wasser hereinkommt. Mit einigen schönen Bildern auf dem Chip holpern wir weiter.

Der Pistenzustand verbessert sich nicht. Die Tourjeeps versuchen immer wieder neue Pfade in die weitläufige Landschaft anzulegen, um den für die Insassen strapaziösen und fürs Fahrzeug materialmordenden Untergrund zu umfahren. So stehen uns zahlreiche Spuren zur Auswahl. Manche scheinen zu einem anderen Ziel zu führen, aber die seitlichen Bergketten lassen nur eine Richtung zu.

An der zweiten Lagune namens Hedionda befindet sich eine Unterkunft. Der körperlichen Anstrengung und der Tageszeit nach wäre hier ein optimales Tagesziel erreicht. Die verschlossene Eingangstür lässt mich um das Gebäude nach Personal rufend gehen. Zwei junge Männer scheinen das Lagunenhotel zu betreuen. Mir wird ein Zimmer gezeigt und die Abendspeise erklärt. Theo hatte zwischenzeitlich mit einem Guide eines Tourjeeps Kontakt, der zur Weiterfahrt bis zum über 30 Kilometer entfernten Hotel Desierto riet.

Die steinigen Pfade verwandeln sich in zahlreiche sandige, von den Jeep Reifen geprägten Spuren. Es sind nicht fünf oder zehn, es sind hunderte Spuren. Hauptspuren, die uns einen festen Untergrund geben, weisen häufig eine Wellblechstruktur auf, die beim Überfahren das Motorrad zu zerlegen scheinen. Plötzlich auftauchende Weichsandstücke versuchen mir den Lenker aus den Händen zu reißen. Die sinkende Sonne wirft lange Schatten in die tief eingefahrenen Spuren. Ich kann durch das getönte Brillenglas meine Fahrspur nicht mehr einschätzen. Häufig beginnt die Twin zu tänzeln, jeden Muskel angespannt versuche ich einen Sturz entgegenzuwirken. Der Schatten eines nahen Vulkankegels taucht die mehrere hundert Meter Breite Piste in Dunkelheit. Ich möchte am liebsten die Brille ausziehen, doch dazu müsste ich anhalten und käme in den unstabilen Bereich des Motorrades. Noch mehr eiere ich durch das Sandmeer. Endlich ist der Schattenbereich überwunden. Ich erreiche ein Hinweisschild.  Zum Hotel Desierto geht es rechts entlang und soll  nach zwei Kilometer erreicht sein. Ich warte auf Theo, nach den schnell gemachten Fotos höre ich lang, gespannt nach seinem Boxer. Beunruhigt setze ich den Helm auf, um zurückzufahren. Mit dem sehe ich Mann und Maschine hinter der Sandkuppel auftauchen. Kurz danach blicken wir auf die Hotelanlage, die einzige Zuflucht in der Weite in mehr als 4600 Meter Höhe.

Wir beziehen ein beheiztes, geräumiges, fast ausschließlich aus Granitsteinen der Umgebung gebautes Zimmer. Selbst der Bettunterbau ist stabil aus Gesteinsbrocken gefertigt. Die draußen geparkten Jeeps haben knapp 30 Gäste hierher kutschiert, mit denen wir gemeinsam zu Abend essen. Leider steht der Mond, fast voll, hoch am Himmel. Ich hätte gerne in dieser Höhe die volle Pracht des Sternenhimmels angeschaut.

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14. Februar 2014 – Freitag

Ich verlasse das mit Unmengen an Abgasen belastete Potosi in Richtung Süden und mache ein letztes Foto. Aus dieser Perspektive sieht man der Stadt nicht ihre Verschmutzungen durch den umweltbelastenden Minenbau an. Wie bereits gewohnt, will ich an der Mautstation rechts neben dem Zahlhäuschen passieren. Doch einer der kräftigen Wegelagerer zwingt mich zum Anhalten. Zehn Bolivianos, ungefähr ein Euro, will er. Ich mache ihn glücklich.

Ab hier fahre ich durch ein Bolivien, das ich nicht mehr erwartet hatte. Die Fahrbahn ist neu, führt kurvenreich durch eine farbenprächtige Landschaft, die vom tiefblauen Himmel mit buschig weißen Wölkchen begrenzt wird. Die Kräfte der Natur haben zahlreiche Canyons geschaffen, die sich tief in die Oberfläche eingearbeitet haben. Immer wieder fahre ich an einzelne oder zu einem Pueblo zusammengestellten Behausungen vorbei, die sich mit ihren Lehmsteinen und Schilfdächer harmonisch in die Umgebung integrieren. In den saftig grünen Ebenen weiden stattliche Viehherden, wobei Alpakas neben einigen Kühen, Pferden und Esel, am häufigsten vertreten sind. Meine Pausen sind viel zu kurz, um die Eindrücke greifen zu können.

Doch heute heißt das Ziel Uyuni. Wie oft habe ich zu Hause mir Bilder des Salar angeschaut, beeindruckende Videos in youtube angeschaut und Beschreibungen in Reiseberichten aufgesogen. Für mich ein Highlight dieser Reise. Hinter der letzten Kehre schaue ich nun hinunter auf Uyuni. Rechts von mir hängt tief ein Gewitter in den Bergen, der Donner mahnt mich weiterzufahren. Doch eine kurze Pause muss sein, um die im Sonnenlicht blinkenden Blechdächer der Hochlandstadt in der weiten kargen Landschaft zu betrachten. Trotz meiner erhöhten Position kann ich den Salar nur erahnen.

Am Ortseingang treffe ich Theo, mit dem ich zunächst auf Unterkunftsuche gehe. Das stadttypisch schmutzig anmutende Uyuni hat durch den Touristenmagnet einiges an Hostals und  Hotels zu bieten, was die Suche nicht verkürzt. Letztendlich finden wir was passendes für die Motorräder und uns. Schnell deponieren wir einen Teil des Gepäcks im Hotelzimmer, um noch zum, wie wir an der Rezeption erfahren, 30 Kilometer entfernten Salar zu fahren.

Die neue schnurgerade Straße ist soweit vorbereitet, dass in Kürze die Asphaltdecke aufgetragen werden kann. Doch wir genießen noch die ursprüngliche Piste. Die uns entgegenkommenden Touristenjeeps wirbeln ordentlich Staub auf, der uns kurzzeitig  die Sicht raubt. In Cochani zeigt uns ein Hinweisschild, dass wir rechtsabbiegen müssen und noch fünf Kilometer zum Salar fahren müssen. Das Licht ist trotz der leicht getönten Motorradbrille schon gleißend. Die Umgebung erscheint surreal, so als hätte man die Erde verlassen und einen anderen Planeten betreten. Ein Mahnmal auf einen Parkplatz lässt uns anhalten. Hier befindet sich die Zufahrt auf den Salar, über den eine offizielle Piste verläuft. Aber der Salar steht unter Wasser. Sind noch unsere Bekannten aus Valparaiso, Günter und Detlef, im Oktober über den Salar zur Insel Incahuasi gefahren und haben dort im Zelt übernachtet, hat seitdem die Regenzeit den Salar geflutet. Nur die Touristen Guides karren Unmengen an Schaulustigen in und auf den Dächern der Jeeps durch das 20 bis 30 Zentimeter tiefe Wasser über den Salar. Ich hatte auch zu Hause davon geträumt, zu erfahren wie lange man sich traut mit geschlossenen Augen sein Motorrad weiterzufahren oder die skurrile Insel zu besichtigen. Doch die Stimmung hier am Rande des Salar de Uyuni ist schon überwältigend. Ich versuche die Eindrücke in die Kamera zu bekommen und eine nette auf dem Fahrrad reisende Amerikanerin hilft mir bei meinen recht geglückten Perspektivfotos.

Ein rundum geglückter Reisetag.

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13. Februar 2014 – Donnerstag

Um zehn vor neun frage ich an der Rezeption nach einer Besichtigungstour der hiesigen Silberminen. Um kurz nach neun sitzen Theo und ich mit dem Fahrer und unserem Guide in einem Microbus. Weitere fünf Chilenen picken wir an einem Hotel auf und schaukeln gemächlich zwischen dem ersten und zweiten Gang die äußerst holprigen Pflastersteinstraßen bergan.

Zunächst ziehen wir eine minengerechte Kluft über. In Gummistiefel laufen wir über den Minerosmarkt um Geschenke für die Minenarbeiter zu beschaffen. Wichtig seien die Kokablätter, die den Arbeitern Kraft und Durchhaltevermögen verleihen. Mit bestimmten Beschleunigern wir die Wirkung der Kokablätter noch verstärkt. Auch in eigenartigem Papier eingetütete selbstgedrehte Zigaretten mit Spezialtabak gehören in die Geschenktüte. Roger, unser Tour Guide, erklärt uns bis zu welcher Zusammenstellung der hier vertriebene Sprengstoff ungefährlich ist und welche Stoffe die Explosion verstärken. Auch der wird gerne von den Mineros ausgepackt. Jeder von uns Touris mit einer Geschenktüte auf dem Rücken, karren in dem Kleinstvan die Minenstraße hoch.

Es ist alles andere als eine für Touristen sauber präparierte Vorführung. Schnell wird uns bewusst, dass wir ein Teil des hiesigen Alltags werden. Im Matsch stehend erklärt uns Roger die Verladung der behelfsmäßig anscheinenden Rampen. Lastwagen fahren dann das Minengut in umliegende Fabriken, die die reinen Produkte erzeugen. Rein geht es in unseren Stollen. Wir tapsen zwischen den Schmalspurschienen, die die handgedrückten Loren führen, durch Matsch und tiefe Pfützen. Ein Zeremoniell, dass jeder Minenarbeiter vor Arbeitsbeginn an einer Teufelsfigur durchführt, um reichlich Ausbeute zu machen, wird uns erklärt. Auch ich schließe mich diesem Brauchtum an, wird schon nicht schaden. Bald schon komme ich nur gebückt vorwärts. Teilweise zerborstene Holzkonstruktionen sollen den Stollen abstützen. Roger erklärt die Gesteine und welche Mineralien sie enthalten. Vor fast 500 Jahren seien die Silberschichten zwei Meter dick gewesen, heute werden 3 Zentimeter Schichten abgebaut. Zur Zeit der Spanier waren die Mineros sechs Tage ohne Pause im Berg, heute wird zwischen 8 und 15 Stunden im Berg gearbeitet. Unser Guide lässt uns durch einen schmalen Kanal hochsteigen, zu den Mineros, die neben seinen Erklärungen, mit Hammer und Meißel eine Zinnader abbauen. Nochmals nehmen wir an einem Ritual teil, in dem zur Ehrung des Teufels kein 98 prozentiger Alkohol konsumiert wird sondern ein schmackhafter Schnaps. Der Abstieg gestaltet sich etwas leichter als der Aufstieg, doch bin ich froh, dass das Ritual genutzt hat. Wir stehen wieder im Tageslicht. Nicht für 10000 Bolivianos würde ich hier arbeiten wollen, kommentiert Theo.

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12. Februar 2014 – Mittwoch

Vollgetankt, mit acht Liter zusätzlich im Reservekanister verlassen wir Oruro. Die Ruta 1 führt geradlinig durch eine baumlose Graslandschaft. Die Wolken hängen tief, die gute, nur mit seltenen Schlaglöchern versehene Fahrbahn ist trocken. Bei der ersten Verschnaufpause grüßen uns hupend drei Motorradfahrer. Dem Gepäck nach zu urteilen sind sie auf ähnlich großer Tour wie wir. In Challapata zweigt die Ruta 1 in einem langgezogenem Bogen nach Potosi ab. Geradeaus wären es noch ungefähr 200 Kilometer bis zum Salar de Uyuni. Hinter dem Abzweig führt unsere jetzt kurvenreiche Strecke in eine Gebirgslandschaft.  Wir holen die drei Motorradfahrer, die auf in der USA angemeldeten Motorräder unterwegs sind. Sie nutzen ihren Urlaub, um Etappenweise von Alaska nach Ushuaia zu reisen. Nach meist zwei Wochen Motorradfahren deponieren sie die Motorräder, um nach ein wenig Arbeit in der Heimat ihre Weiterfahrt aufzunehmen. Wie wir erfahren, eine Reise mit ganz besonderen Tücken. Ihre Motorräder waren neun Tage über die zulässigen 90 visumsfreien Tage in Peru. Bei der jetzt notwendigen Ausreise nach Bolivien, weigert sich der Zoll Ausreisedokumente für die Motorräder auszustellen, stattdessen will er sie konfiszieren. Die drei kehren um, wählen einen kleineren Grenzübertritt, kombiniert mit einer Fährverbindung über den Titicacasee, drücken 400 Dollar Bakschisch ab bevor die geplante Fahrt fortgeführt werden kann.

Die Strecke verläuft durch einen Canyon mit vielen fotogenen Szenen. Ich muss mich zwingen weiterzufahren. Hinter jeder Kehre sehe ich ein neues Panorama, welches ich wieder aufnehmen will. Bereits an unserem Einreisetag durchfuhren wir eine Landschaft, die erodiert vom vielen Regen vereinzelt mehrere Meter hohe Skulpturen hinterlassen hat. Damals hatte unser Benzinproblem mich am häufigen Anhalten gehindert. Heute wollte ich möglichst viele Eindrücke einfangen.

Ich erreiche Potosi und vermisse meinen Reisebegleiter. Der wird schon zum Hotel sein, so meine feste Überzeugung. Da unser ausgewähltes Hotel sich nicht im Verzeichnis der open street map befindet, hatte ich gestern die ungefähre Lage in Theos Navi als Favorit gespeichert. Eine Umleitung lässt mich lange durch das Einbahnstraßennetz Potosis irren. Als ich mich neu orientiere treffe ich die Amerikaner wieder, die zusammen mit Theo neuen Sprit an einer Tankstelle gezapft haben. Theo hatte in seinem Navi deren Unterkunft gefunden und aufgrund der geringen Entfernung zu unserem Hotel, sich mit ihnen für den Abend unverbindlich verabredet. Sie haben Probleme ihr Hostal zu finden und bitten mich sie zu ihrem Hostal zu leiten. Auch ich finde ihre Unterkunft in meinem Navi. Die eigentlich kurze Strecke wird im dichten Stadtverkehr zur Geduldsprobe. Endlich im Hotel angekommen vermisse ich Theo. Der hat mich per SMS gesucht, doch bevor ich antworten steht er auch vor dem Hotel, griesgrämig darüber, dass ich ihn an seiner Tankstelle übersehen habe.

Ich kläre in der Rezeption den von Oruro organisierten Benzinkauf ab. Die hilfsbereite Senora schickt mich zur 100 Meter entfernten Tankstelle. Ich bemerke bereits beim auffüllen der Tanks den Polizisten, der das hiesige Geschehen beobachtet. Der hintere Tank fast knapp 12 Liter, also scheint das Zählwerk der Zapfsäule zu stimmen. 82 Bolivianos zeigt die Betragsanzeige. Der Tankwart tippt auf einem Taschenrechner und will 185 Bolivianos. Ich habe nur noch 160 im Portemonnaie. Der Tankwart geht damit zum Polizisten, der nickt zustimmend.

Den Abend verbringen wir mit unseren amerikanischen Freunden, tauschen Reiseerfahrungen aus, vergleichen Nordamerika mit Europa und wünschen uns viel Glück für die Weiterfahrt.

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11. Februar 2014 – Dienstag

Ihr braucht gar nicht erst nach Bildern zu suchen, es gibt sie heute nicht, oder hätte ich Tankstellen knipsen sollen, die an Ausländer keinen Sprit ausgeben. Auf dem Weg nach Potosi wollen wir nach der quälenden Stadtausfahrt noch rasch volltanken, um ein erneutes Malheur, wie gestern auszuschließen. Der vor uns betankte Wagen macht uns den Weg zur Zapfsäule frei, doch der Tankwart will Theo nicht bedienen. Wir versuchen die nächste Tankstelle, an der wir auch keinen Sprit bekommen. Wir drehen, um eine Tankstelle im Innenstadtbereich aufzusuchen. Deren Zapfsäulen sind demontiert. An einer Weiteren warten von jeder Seite der Zapfsäule fünf Autos darauf, dass der Tankwagen mit dem Befüllen des Erdtanks fertig wird. Ich wundere mich, dass der in die Jahre gekommene Tankwagen mit der Vorderachse auf Holzrampen steht. Auf meine Frage wie lange es noch dauert, wird mir die Hoffnung genommen hier Benzin zu bekommen. Der nette Tankwart macht mir noch eine Skizze, wo sicherlich noch 20 Liter für uns übrig wären. Also zurück durch die Stadt und mein Gefühl hatte recht, wir stehen wieder an der zweiten Station von vorhin. Nada. Doch gleich daneben befindet sich noch eine Tankstelle. Bei erneuter Ablehnung werde ich langsam kribbelig. Der Tankwart verweist mich an den Chef. No combustible privada, fractura national. Er bemüht sich mir die Situation zu erklären. Ich verstehe nur, es gibt keinen Sprit für Touristen. Von der nächstgelegenen Grenze zu Chile sind wir mindestens 200 Kilometer entfernt, und das ist eine Piste, deren Zustand durch die vielen Regenfälle in schlechtem Zustand sein kann. Über Asphaltstraße sind es gar 350 Kilometer, die mit Glück zu schaffen wären. Ich gehe nochmals zum Chef, um lumpige 20 Liter zu erquängeln. Der wiederholt sich und bleibt hart.

Ich frage einen Autofahrer dessen Fahrzeug gerade betankt wird, ob er mir privat Sprit verkaufen wolle. Er versteht meine Situation und fragt nach einer Flasche, in die der Tankwart während des Tankvorgangs Sprit abfüllen würde. Erleichtert eile ich, um Theos Reservekanister zu holen. Als ich mit diesem auf den Tankwart zugehe, wirft er mir eine Handbewegung zu, die mich mit dem Kanister abdrehen lässt. Der Autofahrer gibt mir beim Verlassen der Tankstelle einen Wink, ihm zu folgen. Er drückt mir quasi im Fahren einen roten Behälter in die Hand und will 30 Bolovianos. Die vier Liter sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich verhandle nochmals mit meinem korrupten Tankwart. Doch der weist auf die Kontrolleure in der Nähe der Tankstelle und vertreibt mich mit dem Kanister. Eine viertel Stunde später fragt ein anderer Tankwart nach meinen Kanistern und füllt diese tatsächlich nochmal. Versteckt unter seiner Jacke bringt er uns die sieben Liter und will 60 Bolovianos. Er kriegt 50 von mir. Jedes unserer Motorräder sollte nun fast 400 Kilometer weit kommen, doch es ist schon fast drei Uhr, zu spät um ein entferntes Ziel anzugehen. Zurück im Hotel, buchen wir erneut eine Übernachtung. Bei der Spritbeschaffung ist uns das Personal behilflich.

Hab doch noch Bilder.

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10. Februar 2014 – Montag

Wieder mit meinen ganzen Utensilien bepackt, sitze ich auf der Africa Twin und fahre bei sonnigen aber kühlen Wetter den gestern bereits bewunderten Bereich des Lauca Parks. Die mitunter stark beschädigte Asphaltdecke erfordert ein konzentriertes Steuern des Motorrades. Den gestern aus der Ferne schemenhaft gesehene Vulkan Parinacota wächst heute mit jeder Straßenwindung. An den vielen, kleinen Gewässer suchen Flamingos und andere Wasservögel nach Nahrung, häufig kreuzen Vicunas und Lamas die Straße. Große Herden von den Vierbeinern weiden in der mit Hochlandgras bewachsenen Ebene. Doch für mich ist der wahre Champion des Lauca Parks eben der Parinacota mit seinem Lago Chungara, in dem er sich bei Windstille spiegelt. Ich weiß nicht, wie oft ich den Vulkan heute aus verschiedenen Perspektiven abgelichtet habe. Doch dieses Grenzgebiet nach Bolivien beheimatet insgesamt vier Vulkane, die über 6000 Meter messen. Einer davon, der Vulkan Guallatire, bläst Rauch ab. Er soll einer der aktivsten Vulkane der Anden sein.

Meine Ausreise aus Chile, an dem kleinen Grenzübergang in 4600 Meter Höhe, ist Formsache und in zehn Minuten erledigt. Bis zur bolivianischen Grenzstation sind es vielleicht 15 Kilometer. Auf der Fahrt dorthin passiere ich eine vier Kilometer lange Lastwagenschlange. Die auf die Abfertigung wartenden Fahrer unterhalten sich in kleinen Gruppen, schauen nach ihren Fahrzeugen oder dösen im Fahrerhaus. Beim Vorbeifahren wünschte ich für einige Stunden mit ihnen tauschen zu können. Dann würde ich die erhabene Atmosphäre genießen.

Bolivien, mal was Neues. An der Zollstation treffe ich Theo, der seit längerem mit dem Zöllner versucht, seine BMW für Bolivien zu registrieren. Es scheitert offensichtlich an einem Computerprogramm, das heute nicht so richtig will. Letztendlich führt uns ein Kollege unseres Bearbeiters zu einem Speditionsbüro, in dem eine junge, hilfsbereite Senora die fehlenden Kontrollnummern im System heraussucht und alle Unterlagen für die Einreise vorbereitet. Die 20 Bolivianos kann ich ihr erst nach der Tauschaktion mit einer in Trachten gekleideten Senora, die mir von einem Polizisten empfohlen wird, zahlen. Eigenartige Wechselstube, denke ich mir und fühle mich übers Ohr gehauen.

Mit unserem Startkapital gehen wir auf die Suche nach einer Tankstelle. Die in der Grenzstadt Tambo Quemado führt wenn überhaupt nur Diesel. Die nächste Tankstelle soll im über 200 Kilometer entfernten Patacamaya sein. Das ist zu weit. Wir können nicht glauben, dass an einer Hauptverbindungsstraße kein Sprit zu bekommen sein soll, also fahren wir los. Als nach etwa 100 Kilometer die BMW nach neuem Kraftstoff ruft, fahren wir an einem Rastplatz an. Auf dem großen, unbefestigten Parkplatz sind unsere Motorräder die einzigen Fahrzeuge. Neben dem Gebäude steht ein Auto. Die Wirtin bietet uns fünf Liter, die sie aus ihrem PKW abzapft an. Damit schaffen wir es bis zwei Kilometer vor der geplanten Tankstelle. Als ich den Reservekanister füllen will, fragt mich einer der vier sich unterhaltenden Tankwarte, wie viel ich für einen Liter zahlen will. Wie bei der Wechselsenora fühle ich mich unsicher. Der Tankwart fängt mit 10 Bolivianos an. Ich stutze und wage cinco zu sagen. Ich fülle den Kanister für 10 Bolivianos mit 2,6 Liter. Als ich kurz danach mit Theo zum Auftanken der Motorräder an die Tankstelle rolle, fülle ich zunächst den Hecktank, in dem genau 12 deutsche Liter passen. Hier werden 13,4 Liter eingefüllt. Der Gesamtbetrag wird nicht an der Zapfsäule abgelesen, sondern die Literzahl mit den ausgehandelten 5 Bolivianos multipliziert. Normalerweise läge der Touristenpreis bei neun Bolivianos. Erzürnt über diese Behandlung suchen wir mit vollen Tanks eine Unterkunft.

Das Loch mit den kleinen Bettbewohnern in Patacamaya lehne ich ab. Wir starten noch durch nach Oruro, wo wir nach eifriger Suche gut unterkommen. Es war ein langer, anstrengender Tag.

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09. Februar 2014 – Sonntag

Für heute habe ich einen Pausentag heraus gehandelt. Seit Cusco haben wir täglich auf den Sitzbänken der Motorräder sechs und mehr Stunden verbracht. Doch jetzt wo wir am Eingang zum Lauca Nationalpark unser Quartier bezogen haben, ziehe ich am späten Vormittag zu Fuß los, um etwas von der Bergwelt zu erkunden. Belohnt werde ich mit einem Blick auf den bereits erwähnten Vulkan Taapaca. Diesmal aus einer Perspektive, in der ich nicht Stromleitungen oder Kunststoffwasserbehälter ausblenden muß, sondern aus der mir noch zwei Lamas den Anden Charakter bestätigen.

Nachmittags, nach ein wenig Motorradinspektion, bummeln wir auf unseren Maschinen einige Kilometer in den Park hinein. Ein erster Blick auf die Vulkane Parinacota und Pomerate, beide über 6000 Meter hoch, soll heute Nachmittag unser Wendepunkt sein. Genüsslich mit vielen Fotopausen fahre ich wieder Richtung Putre, aber nicht ohne den Abzweig zu den heißen Quellen von Jurasi zu verpassen. Den Eintritt und den Betrag für die geliehene Badehose und Handtuch, entrichte ich mit mehreren Fotos des Kassenwartes mit meinem Motorrad. Und die Quellen haben es wirklich in sich, ich muss langsam in das über 40 Grad heiße Wasser einsteigen. Auf ein Foto, auf dem ich mir das aus dem Rohr zulaufende Wasser auf dem Kopf plätschern lasse, verzichte ich. Es ist glaubhaft über 50 Grad. Die Anlage gefällt mir deutlich besser als die von Touristen überlaufene Therme in Aguas Calientes. Ich erfahre noch von einem weiteren Besucher, der in Putre arbeitet und mich dort im Hotel bereits gesehen hat, einiges über den Bauboom in der Kleinstadt und die Lebensgewohnheiten der Einheimischen. Ein schweizer Pärchen gesetzteren Alters klettert noch zu mir in das Becken. Wir tauschen Reiseerfahrungen aus. Von der wärmenden Sonne getrocknet, quäle ich mich wieder in die Motorradkluft und verlasse diesen wunderschönen Ort.

Zurück in Putre gönne ich mir noch eine Schokoladentorte mit Kaffee, treffe meinen Gesprächspartner von der Therme nochmals. Ein erholsamer aber erlebnisreicher Sonntag, das hat gut getan.

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08. Februar 2014 – Samstag

Ich fluche innerlich. An der Grenzstation hinter Tacna soll ich meine Gepäckrolle abschnallen und durch den Röntgenapparat schicken. Bei der Einreise nach Peru hatten wir schon den zeitaufwändigsten Grenzübertritt der Reise. Jedoch hervorgerufen durch viel Lauferei um notwendige Vordrucke zu beschaffen, die Gepäckkontrolle war Formsache und mit unserer Angabe, was sich in den Koffern befindet abgehandelt. Ich beobachte, dass Theo beide Koffer öffnen muss, also nehme ich meine Sitzbank ab und öffne die drei Deckel meiner Behälter. Der Zöllner versenkt tastend seine Hand in den Inhalt meines Gepäcks, verzichtet aber darauf alles auspacken zu lassen. Ich fülle Vordrucke in vierfacher Ausführung ohne Durchschlag viermal aus, reise aus Peru aus, melde die Africa Twin ab, Reise in Chile ein, deklariere das Motorrad in Chile.

Theo gibt Gas. Vor Arica biegen wir in auf die Ruta Deserto Richtung Putre ab. Detlef, den wir in der Villa Kunterbunt in Valparaiso kennengelernt hatten, der mit seinem Begleiter Günter dieses Gebiet schon bereist hatte, berichtete mir, dass die Auffahrt nach Putre durch eine abwechslungsreiche Landschaft führe. Ich sehe zunächst nur wieder monotone Wüstenlandschaft und kämpfe beim Überholen mit den schwarzen Rauchwolken, der feste arbeitenden Lastwagenmotoren. Doch hinter dem kleinen Pueblo Zapahuira wird die Ruta 11 motorradfreundlich kurvig. In der Ferne taucht der mit etwas Schnee bedeckte Vulkan Taapaca auf. Der fokussiert meinen Blick auf den verbleibenden Kilometern bis Putre und zwingt mich mehrmals anzuhalten und zu fotografieren.

Bei einem letzten Halt auf einem Parkplatz mit Blick auf unseren heutigen Zielort, lernen wir den siebzigjährigen Günter kennen. Der Motorradfreund hat sich sofort in Theos BMW verliebt. Der mit einem Tour Guide Reisende übernachtet auch in Putre, um morgen den Lago Chungara zu besuchen. Bei meiner abendlichen Ortsbesichtigung treffe ich Günter mit Guide, auf deren Weg zum Abendessen. Kurzentschlossen lädt er uns Vagabunden zu einem feudalen Mahl ein. Es tut gut, mal wieder deutsche Themen in deutscher Sprache für einige Stunden zu erleben.

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07. Februar 2014 – Freitag

Fahren, fahren, fahren.

Heute wollen wir Tacna erreichen. Milenka reservierte uns gestern Abend ein Hostal in der Grenzstadt zu Chile hin. Wir wählen die Ruta 34 Richtung Pazifik. Diese Straße zeigt uns ein anderes Peru. Die Wohn- und Geschäftsgebäude sind europäischer, und die Polizisten warnen vor dem überholen bei zwei durchgezogenen Linien in der Fahrbahnmitte. Meistens sehe ich rechts von uns die Brandung des Pazifiks, links Wüste. Doch wir durchfahren Oasenstädte, deren grüne Vegetation mich entzückt. Vielfach wird Reis angebaut. Die Parzellen erhalten das notwendige Wasser über Bewässerungskanäle. Hier scheinen mehrere Ernten im Jahr Standard zu sein. Auf der einen Seite steht erntereifer Mais, auf der anderen gerade einen halben Meter hohe Jungpflanzen. Das Gesamtbild macht einen erheblich reicheren Eindruck als das übrige Peru, was ich erlebt habe.

Wir erreichen spät Tacna, hoffen auf ein gutes Abendessen, damit wir Morgen gestärkt bis zum  Putre Nationalpark in Nordchile kommen.

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06. Februar 2014 – Donnerstag

Es ist trocken, bewölkt und recht frisch bei meiner Abfahrt von der Hosteleria Tradicion Colca. Ich sitze bereits vor sieben Uhr auf dem Sitz meiner Africa Twin. Grund für den frühen Aufbruch sind die Condore, die am Mirador Cruz del Condor jeden Morgen aufs Neue, sich mit der durch die Sonnenstrahlen einsetzenden Thermik in die Luft schwingen, um Nahrung zu organisieren. Nach wenigen Kilometer endet die komfortabel zu fahrende Asphaltstraße. Die kommenden 30 Kilometer führen über eine streckenweise mit tiefen Schlaglöchern übersäten Naturstraße. Es herrscht bereits reger Verkehr. Zumindest die ausnahmslos weißen Kleinbusse haben das gleiche Ziel wie ich. Viele Tour Guides zeigen ihren Gruppen einige Einblicke in die zweittiefste Schlucht der Welt bevor sie zum Condor Mirador weiterfahren. Ich eile schnell möglichst durch zu meinem Tageshighlight.

Die in ihren farbenfrohen Trachten gekleideten Marktsenoras breiten noch ihre Souvenirwaren aus, als ich das weitläufige, mit vielleicht fünfzig Touristen bevölkerte, Areal des Miradors betrete. Ein aus dünnen Baumstämmen errichtetes Geländer sperrt den Zuschauerbereich von der Condor Schlucht ab. Tatsächlich findet mein Blick einen dieser Vogelriesen auf einem Felsen hockend dreißig, vierzig Meter vor mir. Er putzt sein Gefieder, dreht den Kopf mal links, mal rechts herum.

Die berliner Reisegruppe, die ich bereits gestern auf der Passhöhe getroffen hatte, war schon vor mir hier am Aussichtspunkt. Einer aus der Gruppe, Tomas, berichtet mir, dass der Anstandscondor, der einzige hier sei und er schon eine kurze Flugrunde hinter sich hat. Mangels ausreichender Thermik habe ich noch das Glück ihn zu erleben. Ich richte meinen Fotoapparat auf den Vogel und möchte seinen Sturz in den Canyon Abgrund einfangen. Mir kommt der Perito Moreno Gletscher in den Sinn, an dem ich ein abbrechendes Stück Eis beim Eintauchen in den Lago Argentinia knipsen wollte. Damals war es ein Vögelchen, dessen hämisches Gezwitscher meiner langen Geduld ein Ende machte und mich meinen Eisblock verpassen ließ, heute ist es die Ablenkung durch ein Gespräch mit einem Landsmann, welches der Condor ausnutzt zu Starten ohne auf meinen Chip zu kommen.

Die Sonne wärmt nicht nur die Colca Schlucht auf, mir tun die wärmenden Strahlen auch gut. Immer mehr Kleinbusse füllen die Parkplätze. Pesch gehabt, denke ich mir, da seid ihr wohl zu spät. Doch ich bin froh, dass ich unrecht habe. Wie aus dem nichts inspiziert einer der Condore die Zuschauerränge. Erhaben, lautlos, unantastbar schwebt er quasi in Augenhöhe an uns vorbei. Scheinbar verweilt er kurzzeitig, um  sich einen Zuschauer besonders gut anzuschauen, bevor er seinen genussvollen Flug fortsetzt. Seine Kumpel tauchen, genau wie er aus den nicht einsehbaren Tiefen der Schlucht auf. Alle Kondore schweben auf unserer Höhe einige Runden, bevor sie von der aufsteigenden Wärme hoch in den Himmel getragen werden.

Ich schaue mir noch ein paar andere Punkte des Miradors an. An einer Stelle kann ich die im Tal fließende Colca erkennen. Es soll hier 1200 Meter tief hinuntergehen. Mit diesem einzigartigen Naturschauspiel im Bauch setze ich zusammen mit Theo die Fahrt fort. Doch der Mirador Cruz del Condor bleibt heute für mich der Höhepunkt. Wir drehen am Ende des Canyons, überwinden die Passhöhe von fast 5000 Meter ein zweites Mal und erreichen abends unser liebgewonnenes Hostal in Arequipa zum dritten und letzten Mal auf dieser Reise.

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05. Februar 2014 – Mittwoch

Dieselgeruch liegt in der Luft. Von der gegenüberliegenden Straßenseite fließt mir eine Flüssigkeit entgegen, die den ansonsten hellgrauen Asphalt pechschwarz einfärbt. Eine Menschentraube schaut gespannt dem Bergungsversuch eines auf dem Dach liegenden Lastwagens zu. Mir zeigt sich der komplette Sattelzug von unten. Der Auflieger war mit einer monströsen Baggerschaufel beladen gewesen, die das komplette Fahrzeug in der Serpentinenkurve umgerissen hatte. Ein zweiter Lastwagen liegt umgekippt dahinter. Von dessen zerborstenen Tank strömt der Diesel zu mir herüber.

Theo und ich unternehmen heute den dritten Versuch den Colca Canyon zu besichtigen. Erstaunlich schnell sind wir aus Arequipa herausgefahren. Wir überholen ein paar Fahrzeuge auf der verkehrsarmen Ruta 34a. Dann sehe ich stehende Fahrzeuge. Südamerikanisch ziehen wir gemächlich an diesen vorbei, werden jedoch gleich von einem Polizisten in eine Lücke zwischen zwei Lastwagen geleitet. Untypisch, denke ich mir. Eine Vierachszugmaschine soll vorziehen. Ich steige vom Motorrad, klettere den Berg hoch, um auf die weiterführende Straße zu blicken. Von dort sehe ich die Unfallstelle. Die Zugmaschine soll den umgestürzten Lastwagen bergen. Nachdem zwei Versuche fruchtlos bleiben, löst sich die Menschentraube in Richtung der stehenden Fahrzeuge hin auf. Die Dieselspuren sind mit reichlich Erde vom Fahrbahnrand abgestreut, die Polizei gibt einseitig den Verkehr frei.

Von der Ruta 34a zweigen wir auf die Ruta 34e. Wir sind bereits über 4000 Meter bevor wir den Abzweig nach Chivay ins Colca Tal passieren. In Arequipa fuhren wir bei sommerlichen Temperaturen und wolkenlosem Himmel los. Je näher wir der Passhöhe von beinahe 5000 Meter kommen, desto mehr friere ich. Aus den Wolken fallen vereinzelte Schneeflocken. Trotz der merklich dünnen Luft, halte ich an der Passhöhe und bitte die jüngste der vier Souvenirverkäuferinnen mich zu fotografieren. Die älteste grölt gleich zu uns, one Dollar, herüber. Die nette junge Seniorita lässt sich das nicht anmerken, versteht meinen gewünschten Bildausschnitt und findet ohne meine Erklärung den Auslöser. Ich schaue mir ihre Waren an, suche aus den Sachen, die mir alle gefallen, eine Mütze und ein Paar Handschuhe aus, die , so meine Chica, garantiert aus Alpacca Wolle und in Peru hergestellt sind. Ich drücke den geforderten Preis abgrundtief, handle noch ein Foto mit ihr heraus, während die Alte immer wieder one Dollar, one Dollar ruft.

Mit meinen Verhandlungen und Fotopausen habe ich ganz meinen Reisepartner Theo vergessen. Der kommt mir, kurz bevor ich unser ausgewähltes Hostal erreiche, bereits vorwurfsvoll entgegengefahren.

Wir beziehen rasch unser Zimmer, verschnaufen kurz bei einem Kaffee und bummeln noch durch Yanque. Ich hoffe morgen einige der hier beheimateten Kondore in Aktion zu sehen, so wie es den Touristen am Ortseigang von Chivay auf deren Wahrzeichen gelobt wird.

Abends beim Essen werden wir von der Hoteldame zu einer Tanzvorführung dreier in Trachten gekleideter Kinder aus dem Dorf eingeladen. Der Tanz soll einen jungen Mann bei der Auswahl seiner Braut darstellen. Überraschenderweise stehen die zwei französischen Gäste und ich plötzlich mit im Tanzgeschehen. Ein netter Tagesabschluss.

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04. Februar 2014 – Dienstag

Gestern hatten wir dann doch ganz schön viel Strecke abgespult, durch zum späten Nachmittag hin, von der fallenden Sonne hinter uns, stimmungsvoll ausgeleuchteten Landschaft. Kurvenreich ging es über lange Straßenstücke durch Wüstenbereiche, die mehrmals durch agrartechnisch genutzte Flussmündungen unterbrochen waren. Das plötzlich hinter einer Kurve sichtbare Grün wirkte immer wie eine Fata Morgana auf mich.

Heute wollen wir einen zweiten Anlauf auf den Colca Canyon wagen. Nachdem der erste Anlauf an der zu kurzen Akklimatisierungsphase gescheiter war, hoffen wir heute eine Unterkunft nahe Cabanaconde zu erreichen. Nach einer erholsamen Nachtruhe, einem mäßigen Frühstück sitzen wir wieder im Sattel, gestatten unserem liebsten Freund, dem Bankomaten, noch einen Besuch, geben einen Teil was er uns ausgespuckt hat gleich an den Tankwart weiter. Schnell und unspektakulär erreichen wir den Abzweig auf die Ruta 1SE. Eine Pause vor dem 150 Kilometer langen run aufs Ziel pausieren wir kurz. Bauern bearbeiten die Felder, während ich hinter einer Mauer Kühe sehe, die sich unter einem Sonnenschutz aus Stoffgewebe auszuruhen scheinen. Noch nicht mal richtig Gas gegeben endet auch schon die Asphaltstraße. Ernüchtert fahren wir widerwillig vielleicht fünf Kilometer die Piste entlang in der Hoffnung, dass gleich der Asphalt wieder auftaucht. Wir beratschlagen.

Heute fahren wir in unser bekanntes Domizil nach Arequipa. Von dort wollen wir morgen den dritten Anlauf wagen.

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03. Februar 2014 – Montag

Wüste, Wüste, Wüste. Die Erinnerungen an die lange Zeit in der Atacama bestätigen sich. Einschläfernde, monotone Geradeauspassagen, Hitze, die mit Fahrtwind noch erträglich sein mag, bei einer Rast in der prallen Sonne gleich alle Schweißdrüsen in Aktion setzt, blasse Grautöne, die den Augen keine Reizüberflutung bieten. Der Motor brummt mit 5000 Touren, automatisch schweift mein Blick alle paar Minuten auf die Naviuhr, dann auf die Wassertemperaturanzeige, dann auf die Öldruckkontrolllampe. Ein infernalischer Knall unterbricht den Fahrtrott, schwarze Fetzen fliegen vor mir durch die Luft, es qualmt blau. Die Bremsleuchten des 100 Meter vor mir fahrenden Lastwagens leuchten auf. Mit mäßigem Tempo fahre ich an den rechts heranfahrenden Lastwagen vorbei. Bei einem späteren Stopp in einer Ansiedlung hält auch der Lastwagen neben uns. Die Reste des geplatzten Reifens hängen noch an der Felge.

Das knappbemessene Frühstück heute Morgen beschert mir gegen Mittag  erneuten Appetit. Ich nehme den Service eines Straßenstandes in Anspruch. Zwei junge Senoritas, deren Mutter und ein gerade lauffähiger Chico scheinen von diesem Stand zu existieren. Ein huevo wird in die Pfanne gehauen, ein Panecillo aufgeschnitten, ein paar Scheiben tomates dazu, fertig ist mein schmackhaftes Mahl. Das Foto der schüchtern wirkenden Köchin ist gratis.

Nach fast 200 Kilometer erreichen wir Puerto Inka. Ein unbefestigter drei Kilometer langer Weg führt uns zu einer malerischen Pazifikbucht. Es gefällt uns so gut, dass wir überlegen hier für heute zu  übernachten und den Rest des Tages an der spärlich bevölkerten Bucht zu genießen. Mein Verhandlungsgeschick reicht jedoch nicht aus, dem Hotelmanger mein Preislimit schmackhaft zu machen. Nach ausgiebiger Pause fahren wir weiter. 200 Kilometer schaffen wir noch bis Camana.

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02. Februar 2014 – Sonntag

Gegen halb drei in der Nacht werde ich von durch mein offenes Fenster eindringende Andenmusik geweckt. Ich lausche eine Zeit lang den immer ein wenig melancholisch anmutenden Klängen, finde aber keinen neuen Schlaf. Auch das dämmen  der direkt in mein Zimmer hineinleuchtenden Straßenlaterne mit dem Vorhang hilft nicht. Jedes Geräusch auf der Plaza lässt mich aufstehen. Ein Peruaner, der eine Sackkarre über die holprige Straße schiebt, das Klocken harter Schuhsolen von Spätheimkehrern auf dem Weg nach Hause, das Schluchzen einer Senora, die von einem Mann getröstet wird. Ich glaube gerade einzudösen, als sich mein Bett bewegt. Gleich wieder hellwach, stehe ich am Fenster. Die Stromleitungen schwingen noch nach. Das war der erste Erdstoß, den ich auf dieser Reise bewusst wahrgenommen habe.

Heute fahren wir weiter Richtung Westen. Wir überqueren ein letztes Mal ein Hochplateau von über 4000 Meter Höhe. Die Vegetation wird mit jeder Stunde Fahrzeit dünner, die Temperatur steigt stetig an. Eine lange kurvenreiche Abfahrt Richtung Pazifikküste führt uns frühzeitig nach Nazca. Ein im Schatten an seinem Motorrad stehender, telefonierender Einheimischer wird mein Opfer. Als sein Gespräch beendet ist, stelle ich mich ihm vor und frage nach einer Hostalempfehlung. Hilfsbereit schickt er mich zu einem nahegelegenen Hotel. Er merkt mir meine Ablehnung an und geht mit mir ins zweite Hotel. Volltreffer. Wir können die Motorräder direkt vor unserem Bungalow parken und haben eine kleine Veranda, von der wir den üppig bewachsenen Innenhof genießen können. Schnell packen wir etwas Gepäck vom Motorrad und brechen bei hochsommerlichen Temperaturen in Richtung des Aussichtspunkts auf, von dem die Nazca Linien zu sehen sind. Mitten in einer ebenen Geröllwüste, steht  gleich neben der Panamericana ein Besucherturm, den man gegen geringes Eintrittsgeld besteigen kann. Tatsächlich, die Linien der Inka Reliefe erkenne ich bereits nach dem Ersteigen des ersten Podestes. Aus maximal 20 Meter Höhe kann ich, gekühlt von einem heftigen Wüstenwind, zwei ungefähr 100 Meter messende Figuren erkennen. Am Souvenirstand sehe ich auf Ansichtskarten eine weitere dritte Figur, die offensichtlich besser zu erkennen ist, wenn man einen Rundflug über das weitläufige Areal mitmacht.

Wir kehren schnell in die Metropole Nazca zurück, ich entledige mich meiner Motorradkluft, genieße die erfrischenden Früchte, die ich am Marktstand direkt vor dem Hotel geholt habe.

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01. Februar 2014 – Samstag

Obwohl Motorräder in Peru keine Straßennutzung entrichten müssen halte ich an der Mautstelle an. Ich will den Mautkassierer fragen ob er ein großes Reisemotorrad bereites hat passieren sehen. Der möchte jedoch erst die Soles der Lastwagen kassieren und zeigt mit einer Handbewegung zur anderen Straßenseite. Ich gehe zur telefonierenden Senora. Da ist wohl der Liebste an der anderen Hörermuschel. Ich warte kurz, dann gehe ich zu einem Obstverkaufsstand gleich hinter der Mautstation. Ja, da ist ein solches Motorrad in meiner Fahrtrichtung vorbeigefahren. Mit ein paar Aprikosen im Tankrucksack nehme ich die Verfolgung auf.

Die open street maps, die auf unseren Navis installiert sind haben keine Städtenamen auf der von uns gewählten Ruta 30a eingezeichnet, so dass Theo und ich heute keinen gemeinsamen Zielpunkt ansteuern. Die gut zu befahrende, aus endlosen herrlich geformten Kurven bestehende Ruta lässt ein flottes Tempo zu. Ich habe Theo bei einem Überholmanöver eines Sattelzuges aus den Augen verloren. Vom meinem Gefühl her, hätte ich ihn aber lange schon einholen müssen, weshalb ich mir eine Bestätigung geholt habe.  Nach weiteren 15 Minuten Fahrt habe ich meinen Amigo immer noch nicht eingeholt. Ich frage nochmals drei am Straßenrand sitzende Peruaner. Die versichern mir in der letzen halben Stunde kein Motorrad hier gesehen zu haben. Verunsichert drehe ich, fahre zur Mautstelle zurück, spreche mit einem Polizisten. Der fragt seine Kollegen, die Theo mit Sicherheit gesehen hatten. Er telefoniert mit der nächsten, 80 Kilometer entfernten Mautstelle, um dort Theo von meinem Aufenthalt zu unterrichten. Alles was umständlich ohne Handyverbindung. Ich beschließe die nächste Mautstelle anzufahren und hoffe ihn bis dahin wiederzutreffen. Und tatsächlich kommt mir Theo, der lange auf mich gewartet hatte irgendwann entgegen.

Lang steigt die Ruta 30a unauffällig auf über 3000 Meter. Das Pueblo, in dem wir übernachten wollten haben wir verpasst und steigen in vielen Kehren auf über 4500 Meter hinauf. Gebannt von der Landschaft gönne ich mir zahlreiche Fotopausen. Mein Organismus verkraftet die Höhenluft inzwischen offensichtlich deutlich besser als noch in Puno am Titicacasee. Das erreichte Hochplateau zieht sich. Ich hoffe mit jeder Serpentinenstrecke, die mir mein Navi anzeigt, endlich wieder an Höhe zu verlieren, doch die Ruta schlängelt sich um die vielen Hügel der Umgebung. Der Himmel verfinstert sich. Kurz bevor ich in die gewittrige Graupelschauer einfahre, verpacke ich mich und den Tankrucksack wasserfest. Der Graupel bedeckt die Fahrbahn. Ein vor mir fahrender Lastwagen zerdrückt mit seinen breiten Reifen den Graupelmatsch. Ich nutze die Spur. Mir ist kalt. Die Griffheizung wärmt die Innenhand, doch die Fingerkuppen sind schon gefühlslos. Nach einer viertel Stunde hört der Horror auf.

Endlich verliere ich an Höhe. Ich hole eine offene Rikscha ein. Der auf der Ladefläche rückwärts mitfahrende Beifahrer winkt mir mit einen Fisch in der Hand entgegen. Habe ich Halluzinationen? Kurz nach dem Überholen der Rikscha ohne den Fisch gekauft zu haben, treffe ich Theo am Straßenrand. Er hatte auch ein paar Hagelkörner abbekommen. Es geht bergab. In Puquio fängt uns ein geschäftstüchtiger Peruaner uns am Plaza ab. Weniger Komfort für teures Geld verkauft er uns.

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